Ideen zu haben, ist das Wichtigste. Dass diese unbedingt gut sein müssen, ist nur ein altvatrisches Vorurteil. Eine Ermutigung von Rainer Sigl.
Glorreiche Zeiten brechen an, eine Ära, in der das knisternde Sprühen funkelnder Ideen endlich nicht mehr vom dumpf-muffigen Geschwappe öder Realität behindert wird! Ja, endlich: Mit der Akzeptanz und Förderung der Start-up-Kultur begibt sich diese unsere irdische Zivilisation endlich vom grauen Morast des banalen Faktischen ins lichte Hoffnungsblau des surreal Möglichen. Hieß es früher noch pampig, dass sich gute Ideen mit harter Arbeit, viel Glück und begüterter Patronage schon irgendwann bis zu ihrer Realisierung durchschleppen würden, herrscht nun ein anderes Paradigma: Wenn man die langweilige Wirklichkeit nur lange und rasant genug mit einer glorreich absurden Vielzahl an Ideen beschießt, bleibt sicher mal irgendwas dran hängen – ungefähr so wie ein Al-dente-Spaghetto am Nirostakühlschrank.
Denn der der Humus des Fortschritts sind: Ideen. Und wie bei der fruchtbaren Ackerscholle ist das Naserümpfen über deren unausweichliche fäkale Bestandteile das sichere Zeichen von destruktiver Ahnungslosigkeit. Wie wär’s damit? Eine App, mit der man seine Nasenpopel fotografieren und anhand algorithmischer Analyse und Medizindatenbanken zur Reduzierung seiner Krankenkassenbeiträge nutzen kann. Ein Roboter, der die Wohnung nicht nur staubsaugt, sondern zugleich die dabei gesammelten Bakterien zur Immunstärkungstherapie in linksdrehendem Joghurt kultiviert. Ein Selftracking-Genitalpiercing, das durch leichtes Vibrieren Ihr Sexualleben mit dem TV-Programm synchronisiert. Eine Finanztransaktionsbörsen-Gamification-App, die den Reiz von Online-Poker mit der aufregenden Welt der Immobilienspekulation verbindet. Ein Social-Media-Plattform-übergreifender Pulstracker, der die politische Lage analysiert und je nach frei wählbarem Karriereziel strategisch günstig den »Gefällt mir«-Button drückt.
Eine Speed-Dating-App, die anhand von Gesichtserkennung und Infrarotkamera die Chancen auf die Erfüllung individuell konfigurierbarer romantischer Achievements berechnet. Ein Fact-Checking-Tool mit Spracherkennung, das synchron zu politischen Reden Gelächter aus der Konserve einspielt. Eine Start-up-Börse plus Entertainmentkanal, in der Gründerteams per Livestreaming-Events in der Wildnis des nördlichen Waldviertels mit genetisch modifizierten Dachsen ums Überleben kämpfen müssen. Und, und, und.
Was für Sie dabei? Überkommt Sie schon der unvergleichliche Rausch des Innovationsenthusiasmus, der genialen Ideen zu ihrem lukrativen globalen Siegeszug verhilft? Nein? Wie bitte? Ihnen gefallen diese Ideen nicht? Auch dann habe ich eine gute Nachricht: Ich hab auch noch andere. Investitionsfreudige Kapitalgeber mögen sich an die Redaktion wenden – aber Obacht: nur für kurze Zeit!