Dienstag, März 19, 2024
Kultur ist, was übrigbleibt, wenn es das Büro nicht mehr gibt

Anwesenheit im Büro wird vielerorts verwechselt mit Produktivität. Sie gilt als Voraussetzung für gute Kommunikation und ist der soziale Klebstoff eines ­Unternehmens. Ist das wirklich so?

Eine kritische Würdigung von Hemma und Frank Bieser, Innovation Meets Agility

Die COVID-Pandemie hat dazu beigetragen, dass eine bestehende Lücke schneller geschlossen wurde, als viele es für möglich gehalten haben. Auf der einen Seite gab es Unternehmen, die aus verschiedenen Gründen schon lange und intensiv »Remote Work« gefördert und betrieben haben. Derartige Gründe waren zum Beispiel Kostendruck, Attraktivität für Menschen mit einer nomadischen Work-Life-Einstellung oder internationale Strukturen. Dem gegegenüber standen Unternehmen, die Homeoffice erst üben mussten oder es für seltene und kurzfristige Katastrophenfälle eingeplant haben. Schließlich hat man nicht umsonst in prämierte Interieurs investiert und stolz über die großartige Zeit berichtet, die die Beschäftigten – »New Work« sei Dank – auf dem Betriebsgelände verbringen durften.

Klar ist: Wer im Büro arbeitet, ist sichtbar. Kann sich nicht verstecken. Wird sich zusammenreißen und so produktiv wie möglich sein. Ist selten abgelenkt – eventuell durch gelegentliche, aber stets sinnvolle Besprechungen. Zeigt Zugehörigkeit und Respekt nicht zuletzt durch einen Dresscode, der höher entwickelt ist als Jogginghose und Schlabberpulli. Und muss nicht nebenher auf quengelnde Kinder schauen, den Haushalt bewältigen oder am helllichten Tag spazieren gehen.

Unsere Analysen und Gespräche haben ergeben, dass hinter der Glorifizierung der Zeit im Büro oft die Angst vor Kontrollverlust steckt. Führungskräfte sollen ja Präsenz zeigen – was aber, wenn niemand da ist?

Hand aufs Herz: Verwechseln Sie nicht auch gelegentlich die bloße Anwesenheit mit Produktivität? Ein Schlüsselfaktor ist das Element Vertrauen. Wenn dieses Vertrauen vor der Zeit des verteilten Arbeitens keine große Rolle gespielt hat (weil es ja untrügliche Kennzahlen und robuste Prozesse gibt), dann ist es ohne persönlichen Kontakt sehr schwer herzustellen. Umgekehrt wächst Vertrauen immer dann, wenn gerade niemand hinschaut. Je größer der Spielraum, desto mehr muss man auf sich selbst und einander vertrauen. Es gibt leicht zu erlernende Hilfsmittel wie zum Beispiel »Delegation Poker«, mit denen man ein der Situation angemessenes Maß an wechselseitigem Vertrauen vereinbaren kann. Beim »Delegation Poker« klären Führungskräfte und Mitarbeiterinnen, welche der sieben Stufen von Delegation in einem bestimmen Kontext wünschenswert ist und dem Reifegrad der Organisation entspricht.

Klarheit fördert Vertrauen
Remote Work ist gekommen, um zu bleiben. Daher empfehlen wir Ihnen eine »Sowohl-als-auch«-Haltung: Schaffen Sie Beziehungen untereinander, die sowohl im Büro als auch im Homeoffice Bestand haben. Bei denen Hilfsbereitschaft und effektive Kommunikation ortsunabhängig bleiben. Machen Sie explizit, welche Rahmenbedingungen beim gemeinsamen Arbeiten gelten – hier wie dort. Sammeln Sie mit Ihrem Team Tätigkeiten, die bevorzugt im Homeoffice erledigt werden können, und behalten Sie diese Freiheit bei. Sie fördern damit eine Kultur, in der sich Menschen mit dem Unternehmen identifizieren und füreinander da sind – auch wenn sie gerade nicht da sind.


Veranstaltungstipp
Wer oder was sind die Gamechanger 2021? Welches Produkt, Technologie oder Unternehmen sorgt für eine radikale Änderung? Welche bisher gültigen Regeln und Mechanismen werden wodurch ersetzt? Runder Tisch am 28. Jänner 2021, veranstaltet von Agile Circle ONLINE  www.agilecircle.org


Über die AutorInnen



»Das, was heute gerne als das neue Normal tituliert wird, war vorher schon normal – aber nicht bei allen.«

Frank Bieser
ist »Executive Agile Navigator« und berät Unternehmen, die bei ihrer digitalen Transformation einen wertebasierten Führungsstil etablieren wollen.




»Vertrauen braucht kein Büro.«

Hemma Bieser
ist Expertin für Business Model Innovation und unterstützt Unternehmen dabei, den richtigen Rahmen für Innovation zu schaffen.

Unter der gemeinsamen Marke Innovation Meets Agility bieten sie Workshops, Coachings und Keynotes zu Business Agility und Innovation Leadership an: www.innovationmeetsagility.com

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