In den USA fährt die Autoindustrie mit Vollgas gegen die Wand, im Rest der Welt mit angezogener Handbremse. Auch die österreichischen Zulieferer sind wie vom Blitz getroffen. Die heimische Schlüsselindustrie muss darben, obwohl sie eigentlich nicht so recht weiß warum.
Wie viele Fehler darf man eigentlich machen, bevor man als inkompetenter US-Manager in die Wüste geschickt wird? Ohne warmen Millionenregen wohlgemerkt. Das letzte Highlight: Was sich medial abspielen wird, hätte ein pensionierte Blindenhund erschnüffelt. Aber die Wunderwuzzis der US-amerikanischen Autoindustrie waren überrumpelt. Dass die Elitemanager beim ersten Canossagang nach Washington partout mit ihren Firmenjets eingeflogen wurden, kam in der Öffentlichkeit gar nicht gut an. Da flehen die »Big Three«, wie General Motors (GM), Chrysler und Ford in den USA genannt werden, den Kongress um Milliarden Steuergelder an, lassen aber jede Demut vermissen. Das ist nicht nur ein Mangel an Sensibilität, das ist auch ein Mangel an Einschätzungsvermögen und Vernunft. Selbst seriöse Wirtschaftsmedien konnten sich ätzende Kommentare kaum verkneifen und wühlten genüsslich in den Archiven. Wurde nicht das Kompensationspaket von GM-Boss Rick Wagoner erst heuer von 5,5 auf 10,2 Millionen Dollar mehr als verdoppelt und warum eigentlich? Und wurde nicht Rick Wagoners Vorgänger erst letztes Jahr mit einem finanziellen Zuckerl von 200 Millionen in die wohl verdiente Rente geschickt? War das noch ein Bonus oder schon ein Hilflosenzuschuss? Denn durch Glanztaten des Managements lassen sich die-se Fabelsummen nicht so recht erklären.
GM schreibt schon seit bald einem Jahrzehnt blutrote Bilanzen und steht nicht erst seit gestern an der Kippe zum Abgrund, auch Chrysler ist schon lange ein Patient im Dauerkoma. Lediglich bei Ford sieht die Lage wenigstens nicht ganz so dramatisch aus. Dafür wurde Ford-CEO Alan Mulally letztes Jahr auch eine Kompensation von knapp 22 Millionen Dollar gegönnt. Entsprechend gut gelaunt waren die Kongressmitglieder bei den Anhörungen, die übrigens so gut wie immer zu den Sternstunden der amerikanischen Demokratie zählen. Eine Anhörung durch den US-Kongress ist kein Honigschlecken und etwas, was selbst den abgebrühtesten Zeitgenossen einen Schrecken in die Knochen jagen kann. Wenn etwa ein Kaliber wie die Demokratin Nancy Pelosi loslegt, ist das ein ewig langes Stakkato von knallharten Fragen, eine Mischung aus Neugier, Fegefeuer und und chinesischer Tröpfchenfolter. Aber auch die Republikaner stehen dem nicht nach. Dementsprechend wurden die Big Three von allen Seiten in die Zange genommen. Nach der ersten Anhörung hieß es für die Manager zurück an den Start. Der Tenor: kein Plan erkennbar, kein sinnvolles Szenario, das ein Überleben der US-Autoindustrie plausibel machen könnte und den massiven Einsatz von Steuermilliarden rechtfertige. Der renommierte Hamburger »Spiegel« urteilte etwa harsch. Wie »Schulbuben« seien die hilflosen Manager abgekanzelt worden.
Hier spricht Air Force One
Die Spitzenmanager der Big Three konnten nicht einmal plausibel darlegen, welche Summen wirklich notwendig sind, um einen sofortigen Totalcrash abzufangen. Ein paar Milliarden da, ein paar Milliarden dort, wenige Tage später viel mehr. Wechselhafte Einschätzungen, die darauf schließen lassen, dass die US-Automanager nicht nur am Golfplatz ein Handicap haben. Eines scheint sicher: Ihre Zahlen haben sie nicht im Griff. Zuerst waren es 25 Milliarden Dollar, wenige Tage später etwa 34. Klartext sprach die Ratingagentur Moody’s, deren Chefökonom Mark Zandi die Kosten einer kurzfristige Rettungsaktion auf 75 bis 125 Milliarden bezifferte. »Aber selbst das dürfte wahrscheinlich nicht reichen«, ließ er die Abgeordneten wissen. Paul Krugman, frischgebackener Wirtschaftsnobelpreisträger, ließ von Stockholm aus vernehmen, dass man mit einem Rettungspaket »wahrscheinlich nur zwei Monate Zeit kauft«, was danach geschehe, wisse er nicht.
Bei den 7000 amerikanischen GM-Händlern ist die Stimmung düster. Im Oktober standen ihre Autos, trotz aggressiven Rabattaktionen, wie angenagelt herum, der Absatz brach um rekordverdächtige 32 Prozent ein.
Stimmungsbilder, die bei den Politikern ihre Wirkung nicht verfehlten. Der Kongress winkte nach der zweiten Anhörung zwar ein 14-Milliarden-Notpaket durch. Aber dann geschah das Ungeheuerliche. Wie pessimistische Beobachter bereits befürchtet hatten, verweigerte der Senat die Zustimmung. Prompt rasselten etwa der Nikkei-Index, Frankfurt oder die Börse Wien in den Keller, die US-Autoaktien – ohnehin schon auf Ramschniveau – verloren dramatisch. Und – die Hoffnung stirbt zuletzt – erholten sich kurz darauf wieder. Das Kalkül der Börsianer: Barack Obama werde alles unternehmen, um seine Amtszeit nicht mit weiteren Millionen vernichteter oder gefährdeter Arbeitsplätze zu beginnen. Tatsächlich hatte der designierte US-Präsident mehrfach klar gestellt, dass er es für »keine Option« halte, die Autobauer in die Pleite zu schicken. Dramatische Stunden, die sich während des Redaktionsschlusses des Report abspielten. Wie der Überlebenskampf der US-Autoindustrie ausgeht, lässt sich nur schwer einschätzen. Obama und seine Demokraten werfen sich für die Autobauer zwar prinzipiell in die Bresche, haben aber auch im eigenen Lager Zweifler und vehemente Gegner. Die Republikaner sind zwar tendenziell gegen eine Rettungsaktion, aber auch George Bush kommt ins Grübeln. Es klingt wie ein Hollywood-Plot, zeigt aber die Dramatik der Situation. Direkt aus dem Präsidentenflieger Air Force One ließ er über seine Sprecherin ausrichten, dass man prüfe, nötigenfalls Mittel aus dem Bankenhilfspaket abzuzweigen.
New Competition
Ein Tabubruch, mit dem sich auch die Demokratin Nancy Pelosi anfreunden kann. Aber die Fronten gehen quer durch alle Lager. Auch von Nord nach Süd. Senatoren aus Alabama etwa, wo Toyota Autos baut, können Geldgeschenken an Detroit nichts abgewinnen. Wenigstens ein bisschen Spaß verbreitet Suzuki. Die Japaner schickten einen Werbespot mit einem »SUVosaurus« ins Rennen um die Gunst des US-Käuferpublikums. Ein riesiger Allradler mit dem Körper eines SUV und den Beinen und dem Kopf eines Brontosaurus säuft dort eine ganze Tankstelle leer. Das sitzt, und zeigt das ganze Dilemma der Big Three. Auch wenn bis Jahresende schnell noch ein paar Milliarden Notfallhilfe locker gemacht werden, man hat es jahrelang verabsäumt, eine moderne und Benzin sparende Modellpalette zu entwickeln. Geht die US-Autoindustrie den Bach hinunter, ist das für Washington ein Horrorszenario. Mehr als 500.000 Arbeitsplätze hängen direkt daran, mehr als drei Millionen indirekt. Leiden dürfte auch der Nationalstolz. Noch spielt die ehemals stolze Autoindustrie weltweit auf die erste Geige. Aber die Zahlen sind jetzt schon beinahe Makulatur. Selbst wenn GM die nächsten Monate überlebt, nach den jüngsten Prognosen wird Toyota spätestens 2009 den Spitzenplatz erobern. Eine Entwicklung, die nur durch eine Fusion von GM und Chrysler aufgehalten werden könnte. Aber wie sollen zwei fußmarode Kicker beidbeinige Stürmer überdribbeln?
Ein Match über volle 90 Minuten ist so kaum zu gewinnen, es sei denn der Schiedsrichter ist parteiisch. Wenn die USA freie Märkte in Gefahr sehen, wird man im Kapitol nicht müde, notfalls auch wegen des umstrittenen Exports von Chlorhühnern einen Handelskrieg anzudrohen. Praktischerweise sitzen Weltbank und IWF ja auch gleich in Washington. Ist also damit zu rechnen, dass Europa oder Asien diese Institutionen in Stellung bringt, um US-Stützungsaktionen im Auto- oder auch Bankensektor zu hinterfragen? Eher nicht. Paris greift etwa zu Verschrottungsprämien für Altautos, Berlin zu Steuerzuckerln für Autoneukäufer, Brüssel gewährt industrielle Schonfristen im Ökobereich. Letzteres sei, wie ein Insider meint, ohnehin ein »verstecktes Konjunkturpaket«. London hat als Speerspitze der Investment-bankerszene genug damit zu tun, seine maroden Banken über Wasser zu halten. Nach »New Deal« und »New Labour« wird auch der bislang geheiligte Wettbewerb neu definiert: »New Competition«. Nachdem im Bankenbereich bereits alle Schamgrenzen gefallen sind, zieht die Industrie nach. Der europäische Automobilherstellerverband ACEA wünscht sich von der EU ein niedrig verzinstes Kreditpaket von 40 Milliarden Euro, das die Entwicklung sparsamer Fahrzeuge und auf Kundenseite den Austausch älterer Autos fördern soll. Neelie Kroes, Brüssels tigerhafte Wettbewerbskommissarin, mutiert zum Bettvorleger und quält gerade noch die europäische Telekomindustrie wegen ein paar Cent SMS-Gebühren. Aber was sind schon wirklich die Alternativen?
Sonderweg Österreich?
Zu verwoben sind globale Schuldabhängigkeiten, Produktions- und Absatzkapazitäten. Nicht einmal Peking oder Tokio denken im Traum daran, dem Dollar leichtfertig einen Todestoß zu versetzen, niemand daran, die USA weiter zu demütigen. So lässt auch Industriellenvereinigung-Boss Veit Sorger lediglich anklingen, dass Kapitalspritzen an die US-Autoindustrie möglicherweise Nachteile für die Europäer bringen könnten. Eine massive Wettbewerbsverzerrung liegt jedoch förmlich in der Luft. Die Krise verschont auch nicht die heimischen Zulieferer, eine der Perlen der österreichischen Industrie. Siegfried Wolf, Co-Vorstand von Magna International, redete kürzlich Klartext. Bis 2010 sei mit einer »Absatzflaute zu rechnen«, man müsse gemeinsam mit den Herstellern überlegen, wie man »die Durststrecke« überbrücken könne. Wolf hängt aber mit Magna besonders stark am Wohl und Wehe der US-Autoindustrie. Ein Faktor, den auch andere österreichische Zulieferer spüren, wenn auch nicht in dieser brutalen Härte. In Summe exportiert die heimische Automotive-Industrie gerade einmal elf Prozent direkt in die USA. Aber gerade weil die österreichische Zulieferindustrie extrem leistungsfähig und exportorientiert ist, ist auch das kein Ruhekissen. Fast alle internationalen Kunden litten im November unter eine Absatzflaute. »Auch bei uns sind viele Unternehmen eiskalt erwischt worden«, sagt Peter Kuen, GF der Automotive Association Service. An der heimischen Kfz-Industrie liegt das nicht, darüber sind sich alle Experten einig.
Diese schnurrte dank ihrer enormen Wettbewerbsfähigkeit noch bis in den Herbst hinein – und teilweise darüber hinaus. Spezialsektoren wie etwa die Kipper- oder Zugmaschinenhersteller für die Landwirtschaft dürften selbst über das Gesamtjahr gesehen noch wachsen. Auch der Ersatzteilbereich könnte sogar profitieren, da die Nutzungsdauer tendenziell länger wird. Andererseits, und das zeigt wie verwoben und komplex die Situation ist, könnten Ersatzteillieferanten unter dem Strich aber sogar einbüßen: Spediteure und Frächter, ihrerseits selbst Dienstleister für die Zulieferer, reduzieren ihre Flottenbewegung, was wiederum die Abnutzung von Verschleißteilen vermindert. Ist mit Staatshilfen zu rechnen? »Unterstützungsmaßnahmen für die Autoindustrie sind derzeit kein Thema«, sagt Harald Waiglein, Sprecher von Finanzminister Josef Pröll. Gegen eine Abzweigung von Mitteln aus dem Bankenpaket sprächen bereits rechtliche Gründe. Aber Österreich tickt sowieso anders. »Kurzfristige Konjunkturspritzen oder Hilfspakete würden ohnehin nur verpuffen«, meint Walzer Linszbauer, GF des WKO-Fachverbands Fahrzeugindustrie. Aber die Hebel liegen woanders. Gesicherte Kapitalzufuhr sind für kerngesunde Unternehmen etwa langfristige Investments in neue Kompetenzzentren, echte Weiterbildung für freigesetzte Arbeitskräfte und ein Mitziehen der Kommunen und Gewerkschaften auch in harten Zeiten. Das klingt alles vernünftig und fair. Verhandelt wird bereits an verschiedenen Ecken und Enden. Es ist nur zu wünschen, dass so etwas wie ein »österreichischer Weg« auch wirklich aufgeht. Kooperation statt Konfrontation ist zwar etwas lädiert, aber nicht gerade ein derangiertes Auslaufmodell. Wer möchte heute schon noch einen Grasser-Turbo zuschalten?n