Dienstag, Februar 11, 2025
Am Beginn einer neuen Ära
Peter Lieber: "Wir stehen vor ­einer Phase, in der ­Technologie alles können wird." (Bild: ÖGV/Fabian Sorger)

Was bringt die KI der Wirtschaft? Peter Lieber, Geschäftsführer des Softwarespezialisten LieberLieber und Präsident des Österreichischen Gewerbevereins, über den Paradigmenwechsel im Umgang mit Technik und in der Entwicklung von Software.

Wie bewerten Sie den fortgesetzten Hype um KI? Von ihr sagt man, sie ist gekommen, um zu bleiben.

Peter Lieber: Künstliche Intelligenz ist per Definition nichts Natürliches – das heißt: Wir Menschen haben sie programmiert, wir haben sie geschaffen. Das Besondere ist: Die Large Language Models der KI-Systeme arbeiten mit statistischen Wahrscheinlichkeiten. Wenn ich aber das gesamte Wissen der Menschheit in ein System gieße, bekomme ich trotzdem mehr heraus, denn die KI füllt auch alle Leerräume. Suche ich zum Beispiel Anwendungsfälle für ein bestimmtes Thema, generiert mir eine generative KI auch Beispiele, die noch gar nicht existieren. Ob dieses Halluzinieren dann auch plausibel ist, ist eine andere Frage.

Die für mich größte Veränderung durch KI birgt aber die Anwendbarkeit mittels natürlicher Sprache. Das verändert alles, was wir bislang im Umgang mit Technik gekannt haben. Allein die Möglichkeit, Fragestellungen mittels Prompts so unterschiedlich zu formulieren, dass sich auch die Antworten in den gewünschten Nuancen voneinander unterscheiden, ist faszinierend.

Ist der Begriff der künstlichen Intelligenz überhaupt gerechtfertigt?

Lieber: Der Begriff der Intelligenz ist in diesem Zusammenhang sicherlich problematisch. Ich spreche lieber von scheinbarer Intelligenz. Es gibt die Definition des Grades von Intelligenz im Sinne der Verfügbarkeit oder des Mangels an Information. Nun hat eine KI in der Regel Zugriff auf Riesenmengen an Information in Echtzeit – ist sie deshalb besonders intelligent? Zweifellos ist sie bei der Kombination von Informationen aus verschiedenen Fachgebieten dem Menschen haushoch überlegen. Dennoch müssen wir bei den aktuellen Generationen von LLMs wachsam sein und Ergebnisse auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Das stellt gerade Jüngere vor Herausforderungen, denn sie können die Plausibilität von Aussagen mitunter noch nicht so gut einschätzen.
Was wahr ist und was nicht, ist bereits zu einem unserer größten Probleme weltweit geworden. Ich sehe aus diesem Grund auch den Journalismus als neutralen, erklärenden Vermittler von Wissen in einer wichtigeren Rollen denn je.

Was bringt die KI der Wirtschaft?

Lieber: Zunächst möchte ich betonen: Wirtschaft sind wir alle – Produzenten, Dienstleister und Konsumenten. Was bringt uns also die KI? Seit vergangenem Herbst kann mit der Sprachmodell-Version GPT-4o von OpenAI über die Stimme interagiert werden. ChatGPT spricht mit seinen Nutzer*innen, und das in verschiedenen Sprachen. Damit ist das babylonische Sprachgewirr gelöst. Ich kann mich mit einem Inder in meiner und in seiner Sprache flüssig unterhalten – die Maschine übersetzt für uns simultan.

Auch in der Steuerung von Maschinen bieten KI-Systeme völlig neue Möglichkeiten. Bisher mussten die Bewegungen eines Roboterarms in einzelnen Kommandos ausgeführt werden. Ebenso statisch war die Bildanalyse der Umgebung des Roboters. Hatte sich der Hintergrund verändert, hat es das gesamte System gewürfelt. Allein das Programmieren, wie eine Tasse oder ein Stuhl definiert wird, ist für Entwickler*innen der blanke Horror. Ein Stuhl hat meistens vier Beine, er kann aber auch nur drei haben. Die Lehnen können unterschiedlich geformt sein. Es gibt Drehsessel und unzählige Varianten, wie ein Stuhl gebaut sein kann.

Mit Millionen Bilddaten gefüttert kann eine KI heute ein Möbelstück recht zuverlässig erkennen. In meinem nächsten Projekt kann ich dann darauf zugreifen – ich muss das System nicht jedes Mal von neuem trainieren. Als Softwareentwickler schreibe ich dann einfach einen Algorithmus, der bereits auf das Objekt Stuhl in seinen zahlreichen Variationen bauen kann. Das spart enorm Zeit und Ressourcen. Wir kommen damit in eine Phase, in der Technologie alles können wird, wir können es uns vielleicht nur noch nicht vorstellen. Das war vor zehn Jahren noch völlig anders.

Was bedeutet das für künftige Softwarelösungen?

Lieber: Ich glaube, dass klassische Branchensoftware ausgedient hat. Heute benötigt man oft eine ERP-Lösung – meist SAP –, um Daten aus dem Kassensystem auszuwerten. Mit KI wird es in Zukunft möglich sein, direkt Fragen an die Kassa zu stellen und die gewünschten Antworten zu erhalten. Tatsächlich sind schon jetzt alle relevanten Daten in der Kassa verfügbar, um das Geschäft effizient zu steuern.

Auch wird die Kenntnis von Programmiersprachen nicht mehr wichtig sein. Das reine Coden übernehmen bereits automatisierte Systeme – das ist keine Zukunftsmusik mehr. Eine Entwickler*in oder auch ein IT-ferner Sacharbeiter kann sich seine App bereits im »No Code«-Modus mit der Maus zusammenstellen.

Anwendungsgebiete für KI sind meistens beim Einsparen von hohen Kosten zu finden – bei Datenanalysen für die Produktionsoptimierung, für Predictive Maintenance oder auch bei Simulationen, Einsparungen oder Leistungssteigerungen bei Verkaufsflächen oder Materialien. Aber Achtung: In der Regel haben nur größere Unternehmen auch genügend Daten, um damit KI-Systeme füttern zu können. Der kleine Tischler oder Einzelhändler wird von den Optimierungslösungen mittels KI wenig haben – er hat einfach nicht die Datenmengen.

Ein wirklich guter Einsatz für generative KI, die heute jeder nutzen kann, ist das Formulieren von Sprache. Nicht jeder ist redegewandt oder im Verfassen von Briefen oder von Reden geübt. Das Schreiben eines E-Mails mit einem vernünftigen Anfang und einem Schluss, und noch dazu mit einer persönlichen Note und in vernünftiger Zeit – das kann für viele eine große Erleichterung im Alltag bedeuten. Ich sehe damit ein neues Zeitalter von Sprachlichkeit und Korrespondenzqualität auf uns zukommen.

Das gilt auch für das Arbeiten mit wissenschaftlichen Formeln oder etwa das Diskutieren von Angeboten. Eine Angebotserstellung heute funktioniert mit LLMs bereits besser als manuell – vor allem wenn ich das System mit meinen Daten und Dokumenten speise. Achtung vor der Wahl der KI-Lösung, Stichwort Datenschutz. Ich empfehle bei sensiblen Daten die Nutzung von europäischen Lösungen, die nicht per se auf die ungefragte Sammlung von Daten ausgelegt sind.

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