Von wegen Burnout: Nur weil man viel zu tun hat, muss man noch lange nicht weinerlich zusammenklappen.
Eine Vorstellungsrunde mit Rainer Sigl.
Na, ich find das zwar lächerlich, aber wenn’s denn unbedingt sein muss, gut: Hallo, alle miteinander, ich bin der Rainer, und ich bin Burnout-gefährdet.
Angeblich.
Also, ICH glaub das ja nicht, aber bitte, meine überbesorgte Frau die Irmi, meine hinterfotzigen Kollegen und mein Chef haben mich quasi gezwungen, hier zu dieser komischen Veranstaltung zu gehen – bitte nicht falsch verstehen, liebe Anwesenden, kann schon sein, dass ein paar von Ihnen wirklich von dieser mysteriösen Volkskrankheit befallen sind, was weiß ich, Sie da drüben, Sie schauen schon ein bisserl paniert aus –, aber es tut mir leid, ICH hab hier eigentlich nix verloren und verschwende hier nur meine Zeit, obwohl ich weiß Gott was anderes zu tun hätte an so einem Sonntagnachmittag, ich mein, ich bin ein Leistungsträger, bitteschön, die Wirtschaft kracht überall, in der Firma geht’s drunter und drüber, meine Steuer hab ich auch noch nicht gemacht, der Keller ist ein Sauhaufen und mein Golfhandicap verbessert sich auch nicht von selber. Und bevor ich vorhin mein Handy abschalten musste – übrigens, da protestiere ich nochmals aufs Schärfste, das ist unerhört! –, hab ich gesehen, dass ich 14 neue Emails habe, also wie gesagt, für so ein Burnout-Präventions-Kuscheldgruppendings habe ich echt überhaupt keine Zeit und auch keine Nerven, tut leid, so, jetzt isses raus.
Ja, ich weiß, was meine Frau Ihnen da erzählt hat, aber gut, ich mein, das sagt doch überhaupt nix aus, nur weil ich da drei-, viermal, vielleicht maximal fünfmal die letzten zwei Wochen schluchzend beim Frühstück zusammengebrochen bin, das kann doch bitteschön jedem mal passieren, oder? Und nur weil wir vielleicht die letzten sechs, sieben Monate nicht wirklich unbedingt immer jeden einzelnen Monat Sex hatten – oder, von mir aus, bitte schön, auch überhaupt keinen Körperkontakt im letzten Jahr, na schön, ich zähl da als erwachsener Mensch nicht mit – das geht doch erstens niemanden was an und zweitens muss man da doch nicht mit der Psychologiekeule kommen! Herrschaftszeiten, ich war vielleicht einfach nur rechtschaffen müde am Abend und am Morgen und am Nachmittag und bei diesem „Romantikwochenende“, das sich die Irmi da unbedingt eingebildet hat, obwohl ich ihr gesagt habe, dass sich das zeitlich bei mir nicht ausgeht! Nur weil ich mich da dann zitternd im Schrank eingeschlossen habe und mich nicht bewegen konnte, muss man mir doch noch lange nicht mit Burnout kommen, Himmel noch eins!
Ich halt das sowieso für einen Mythos, bitte, der Pribil bei uns in der Firma mit seinem angeblichen Burnout, nicht, nur weil der angeblich ein bisserl fertig war, und so halbherzig das mit den Schlaftabletten, also bitte, da muss man doch nicht ein Jahr in Krankenstand gehen und den Kollegen die ganze Arbeit aufbürden!
Ich sag Ihnen was, bei unseren Eltern, in Zeiten des goldenen Wirtschaftswunders – da gab’s so was wie Burnout noch gar nicht! Die haben da einfach jahrzehntelang ohne Probleme gehackelt und nebenbei gepfuscht und Häusel gebaut und gehackelt und Kinder gekriegt und gehackelt und sich scheiden lassen und den Rasen gemäht und gehackelt – und, hatten die etwa Burnout? Nein, mein Lieber, kein einziger Burnout, nirgends! Die sind höchstens mit 52 Jahren tot umgefallen, Herzinfarkt, Schlaganfall – ich mein, gut, das ist wenigstens was Handfestes! Aber hier und heute hat ja schon jeder Burnout, nur weil ihm fad ist im Schädel – ach so, tschuldigung, die Anwesenden, ich mein Sie nicht persönlich, Sie zum Beispiel, Fräulein, Sie schauen wirklich ein bisserl zerrüttet aus, net falsch verstehen! Aber ist doch wahr, heut ist’s sofort Burnout, Burnout, Burnout, nur weil man nach Dienstschluss vielleicht noch drei, vier Stunden starr mit einem Heulkrampf bei laufendem Motor auf dem Firmenparkplatz steht und zufällig grad kurzzeitig ein winziges, harmloses Bisschen das Gefühl hat, keine Luft zu kriegen und seine Beine nicht mehr zu spüren!
Wissen S’, was mein Problem ist? Nicht Burnout – Mobbing! Weil der Neue meinen Job will, verbreitet er da beim Chef die übelsten Gerüchte über mich, nicht, und deshalb, nur deshalb muss ich jetzt hier bei Ihnen sitzen. Nur weil ich Trottel mal in einem zwanglosen Moment der Schwäche im Aufzug ihm gegenüber so ganz augenzwinkernd erwähnt habe, dass ich auf der Autobahn bei 160 Sachen vor den großen Brückenstützen immer so aus Jux ganz kurz die Augen zumache und die Hände zum Spaß kurz vom Lenkrad nehme, weil eben alles, alles, das Leben, die Arbeit, die Menschen, die ganze Existenz, so sinnlos ist, so absolut unnütz, anstrengend und lächerlich umsonst, so leer, so leer, so leer, so sinnlos –
Kurzum: Ich bin hier falsch. Also nix für ungut, aber ich fahr jetzt wieder in die Arbeit … Hat vielleicht jemand ein Taschentuch?