Innovation ist ein Muss, nicht bloß ein kleines Extra – gerade in Zeiten schwächelnder Konjunktur. Das erfordert Mut und mitunter einen langen Atem.
Für kleine Länder ist die Innovationskraft der Unternehmen entscheidend, um sich im globalen Wettbewerb behaupten zu können. Österreich ist grundsätzlich gut aufgestellt: Einige heimische Forschungseinrichtungen liegen im internationalen Vergleich im Spitzenfeld und unzählige »Hidden Champions« haben sich in Nischenbereichen als Weltmarktführer etabliert.
Im Global Innovation Index, der die Innovationsfähigkeit von 133 Volkswirtschaften bewertet, rückte Österreich heuer vom 18. auf den 17. Platz vor. Besonders positiv wurde die Branchenvielfalt, die hohen Bruttoinlandsausgaben für Forschung & Entwicklung und die gute Verbindung der Forschung mit der Industrie bewertet. Dennoch sieht Stefan Harasek, Präsident des Österreichischen Patentamts, deutlichen Aufholbedarf, vor allem bei der Nutzung von Patenten als immaterielle Vermögenswerte: »Es ist für innovative Unternehmen immer wichtiger, selbst geschaffene und im eigenen Unternehmen genutzte Patente in der Bilanz auch als Vermögenswert darstellen zu können, so wie es in den meisten anderen europäischen Ländern bereits der Fall ist.«
Bild: Stefan Harasek ist Präsident des Österreichischen Patentamts
Auch der Wissenstransfer zwischen Forschung und Wirtschaft verläuft nicht immer so flüssig, wie es wünschenswert und notwendig wäre. Viele Ergebnisse der Grundlagenforschung erleben sehr spät oder nie die Umsetzung in innovative Produkte oder Dienstleistungen – es fehlt zumeist am nötigen Kapital, aber auch an den Rahmenbedingungen, die solche Kooperationen fördern.
Innovationskaiser
Den Leitbetrieben in der Industrie kommt als Innovationstreibern in Österreich eine Schlüsselrolle zu. 2023 erhöhten acht der zehn Top-Unternehmen ihre F&E-Ausgaben. Vor allem die IT-Branche fiel mit starker Intensität auf, jeder siebte Umsatz-Euro wurde wieder in Entwicklung investiert.
Unangefochtener »Innovationskaiser« in Österreich ist der Technologiekonzern ams-OSRAM: Mit Ausgaben von 480 Millionen Euro hat das steirische Unternehmen zwar knapp ein Viertel (minus 24 %) weniger als im Vorjahr in Forschungs- und Entwicklungsprojekte investiert, rangiert aber dennoch 266 Millionen über dem zweitplatzierten Unternehmen Voestalpine (plus 12 %).
»Investitionen in Innovationen durch F&E sind weiterhin eine große Chance für Unternehmen – und zwar nicht nur, um marktführend zu sein, sondern um überhaupt erst Schritt mit der Konkurrenz zu halten. Gerade in schnell wachsenden und zukunftsträchtigen Bereichen sind smarte Investments bedeutend, um die Wirtschaft von morgen mitzugestalten«, erklärt Gunther Reimoser, Country Managing Partner von EY Österreich. »Österreich geht sehr langsam in die richtige Richtung – doch vergleicht man die heimische F&E-Intensität mit globalen Zahlen, so liegen wir immer noch bei der Hälfte.«
Zwei Welten
Auch Start-ups spielen als Innovationstreiber, insbesondere in der IT- und der dynamisch wachsenden Life-Science-Branche, eine wichtige Rolle. Ihre Innovationskraft und die enge Verzahnung mit Forschungseinrichtungen trägt dazu bei, dass beispielsweise neue Therapiemöglichkeiten und Technologien in der Medizin oder anderen Biowissenschaften rasch zur Anwendung kommen.
Die starke Innovationsleistung von Start-ups liegt auch in ihrer Unternehmenskultur begründet. Kleine Betriebe sind wendiger und haben das Bestreben, innovative Lösungen zu finden oder neue Bedürfnisse zu schaffen, in ihrer DNA. Sie reagieren rasch auf Marktveränderungen und können aufgrund ihrer einfacheren, kollaborativen Struktur ihre Geschäftsstruktur flexibel anpassen. In etablierten Unternehmen bremsen festgelegte Hierarchien und formale Abläufe oftmals kreative Prozesse, bremsen oder verhindern diese sogar. Zudem agieren große Unternehmen zumeist risikoscheuer, obwohl sie über deutlich größere finanzielle und personelle Ressourcen verfügen.
Um das Beste aus beiden Welten zu verbinden, sind viele etablierte Unternehmen dazu übergegangen, innovative Ideen durch Kooperationen mit Start-ups ins Haus zu holen – diese profitieren von der schnelleren Umsetzung und Skalierung zu erfolgreichen Geschäftsmodellen.
Evomedis, ein Spin-off eines deutschen Unternehmens mit Sitz in Würzburg, siedelte sich bewusst in Graz an, um die Zusammenarbeit im Netzwerk des Campus der Medical Science City nutzen zu können. Derzeit forscht das Team an der Entwicklung neuer Therapien zur Behandlung von Verbrennungswunden. »Wir gehen davon aus, dass die Entwicklung gelingt, aber wir sind auch Realisten, weil ich in den vergangenen 25 Jahren schon einige Produktentwicklungen scheitern gesehen habe. Es gibt keine Garantie, aber manchmal muss man auch Umwege gehen«, sprach Evomedis-CEO Martin Funk bei der Diskussion »Talk am Ring« von Spirit of Styria offen die Herausforderungen an: »Im Augenblick ist die Investitionsneigung in Biotechnologie-Start-ups sehr gering. Venture-Capital-Geber sind extrem zurückhaltend. Privates Geld wäre zwar vorhanden, aber potenzielle Investoren sind besonders investitionsavers.«
Motor der Wirtschaft
Werden die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schwierig, wie gerade jetzt, wo sich das dritte Jahr Rezession ankündigt, neigen auch viele Unternehmen dazu, ihre Forschungsinvestitionen zurückzuschrauben. Die fatale Folge: Sie bremsen sich dadurch selbst aus, gleichzeitig ziehen Newcomer mit innovativen Produkten und Technologien an ihnen vorbei.
Neue Ideen brauchen mitunter Jahre, bis sie in marktfähige Business Cases münden. So manche scheitern auch und müssen nach monatelanger Tüftelei ad acta gelegt werden. Der oberösterreichische Familienbetrieb Engel Austria wurde für die konsequente Entwicklungsarbeit mit dem diesjährigen Staatspreis für Innovation belohnt. Das Maschinenbauunternehmen entwickelte ein zweistufiges Verfahren für energieeffizientes Kunststoffrecycling, das es ermöglicht, aus verunreinigten Kunststoffabfällen Produkte mit gleichbleibend hoher Qualität herzustellen. Statt die Abfälle nach dem Zerkleinern regranulieren zu müssen, können diese direkt im Spritzguss verarbeitet werden, wodurch ein kompletter, energieintensiver Prozessschritt entfällt. »Seit vielen Jahren beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema Recycling. Daher ist dieser Innovationspreis für uns und die gesamte Kunststoffindustrie ein bedeutendes Signal«, betont Johannes Kilian, Bereichsleiter Prozess- und Anwendungstechnik bei Engel Austria.
Innovationen sind der Motor der Wirtschaft – und »eine bewusste Entscheidung für Wachstum«, wie es in einer aktuellen McKinsey-Studie heißt: »Innovation bleibt ein Muss, nicht nur ein nettes Extra.« Die Strategieberatung Trendone hat mit 50 Expert*innen analysiert, wie Unternehmen Innovationsführer bleiben bzw. werden können. Trendone-Gründer Nils Müller ortet in KI und Geopolitik die entscheidenden Faktoren für Geschäfts- und Innovations-Ökosysteme: »Wir erwarten eine große globale System- und Machtverschiebung innerhalb der nächsten Dekade. In einer Welt des schnellen Wandels relevant zu bleiben, bedeutet für Unternehmen, dass sie vor die Welle kommen und dort bleiben müssen.«
Hintergrund: Mut zur Innovation
Nikolaus Franke, wissenschaftlicher Leiter des Executive MBA Entrepreneurship & Innovation an der WU Wien, führte in einem Workshop mit Führungskräften eines Hightechunternehmens folgenden Test durch. Zwei Innovationsprojekte stehen zur Auswahl:
1. Projekt A verspricht beträchtliche Profite, ist jedoch mit einem gewissen Risiko verbunden (80 % Wahrscheinlichkeit für einen Gewinn von 500.000 Euro, 20 % für einen Verlust von 100.000 Euro).
2. Projekt B ist bescheidener, aber dafür sicher (100 % Wahrscheinlichkeit für einen Gewinn von 200.000 Euro).
Objektiv betrachtet wäre Projekt A zu bevorzugen – der Erwartungswert (380.000 Euro) liegt deutlich über jenem von Projekt B (200.000 Euro), das 20-prozentige Risiko erscheint vernachlässigbar. Doch Menschen entscheiden grundsätzlich risikoavers und gewichten Risiken höher als Chancen.
So wählten alle 20 Führungskräfte – zum Entsetzen des anwesenden Vorstands – Variante B. Für das Unternehmen wäre der erwartbare Gewinn von 20 Projekten des Typs B (4 Mio. Euro) nur halb so hoch wie bei 20 Projekten des Typs A (7,6 Mio. Euro) . Das Risiko wäre in beiden Fällen jedoch gleich: nämlich (fast) null. Die Wahrscheinlichkeit für einen geringeren Erfolg beträgt nur 0,2 %, die Wahrscheinlichkeit für einen Verlust aller 20 A-Projekte liegt bei 0,000000007 %.
Sollte das Experiment das Verhalten der Führungskräfte im Business reflektieren, stellt ihnen das ein katastrophales Zeugnis aus: Ein solches Unternehmen kann im Innovationswettbewerb nicht bestehen – es fehlt schlichtweg an Mut.
Gespräch: »Technologietransfer forcieren«
Isabella Meran-Waldstein, Bereichsleiterin für Forschung, Technologie und Innovation in der Industriellenvereinigung, fordert intensive Maßnahmen, um den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Österreich zu stärken.
In welche Zukunftsbereiche sollten Unternehmen investieren, um an globale Entwicklungen nicht den Anschluss zu verlieren?
Isabella Meran-Waldstein: Die Schlüsseltechnologien der Zukunft und industrielle Kernthemen wie Künstliche Intelligenz, Mikroelektronik, Materialwissenschaften, Robotik, Weltraum- und Quantentechnologie bilden eine wesentliche Grundlage für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts. Besonders KI-Lösungen ermöglichen weitreichende Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen in der Industrie und eröffnen neue Geschäftsmodelle. Unternehmen sollten daher mutig in diesen Technologiebereich investieren, um die Möglichkeiten von KI und digitaler Lösungen für Innovation und zusätzliche Wertschöpfung zu nutzen und damit ihre Wettbewerbsposition zu stärken.
Fehlt es eher an strukturellen Rahmenbedingungen oder an Kapitalgebern, um Innovationen voranzutreiben?
Meran-Waldstein: In der Grundlagenforschung sind Europa und Österreich oftmals international führend. Die Umsetzung in erfolgreiche Produkte und Dienstleistungen wird jedoch in anderen Regionen der Welt schneller und konsequenter vorangetrieben. Daher muss der Technologietransfer von Wissenschaft und Wirtschaft massiv durch kooperative F&E zwischen Wissenschaft und Wirtschaft forciert werden. Zudem muss privates Kapital auch von institutionellen Investoren mobilisiert und als Risiko- und Wachstumskapital für die Skalierung von Schlüsseltechnologien aus Österreich heraus verfügbar gemacht werden.
Welche Impulse sollte die künftige Bundesregierung setzen, um die Wettbewerbsfähigkeit und den Wirtschaftsstandort Österreich zu stärken?
Meran-Waldstein: Die künftige Bundesregierung muss die Anstrengungen für Forschung, Technologie und Innovation (FTI) massiv erhöhen. Die Forschungsquote muss auf vier Prozent bis ins Jahr 2030 gesteigert werden. Dazu ist es erforderlich die Technologieoffensive massiv auszubauen, die Budgets der FTI-Pakte signifikant zu steigern, die Transformationsoffensive fortzuführen und die Forschungsprämie als Standort-USP zu stärken. Der Fonds Zukunft Österreich muss rasch gesichert und die Zahl der MINT-Absolventen auf 20 Prozent gesteigert werden. Auf europäischer Ebene ist der Einsatz für ein starkes zehntes EU-Forschungsrahmenprogramm mit Fokus auf angewandte und transnationale kollaborative Forschung erforderlich.
Tipps: Einen Schritt voraus
Vier Innovationen, die neue Optionen in Zukunftsfeldern eröffnen.
1. Heißer Scheiß
Phosphor ist eine wichtige Ressource, die vor allem als Düngemittel in der Landwirtschaft zum Einsatz kommt und letztlich im Abwasser landet. In einer neuen Anlage der Wien Energie wird künftig am Standort Simmeringer Haide Klärschlamm getrocknet (Bild) und somit für die Rückgewinnung von Phosphor vorbereitet. Klärschlamm besteht zu mehr als 95 Prozent aus Wasser. »Eine saubere Phosphor-Rückgewinnung aus der Asche ist nur möglich, wenn der Klärschlamm ohne Zusatzbrennstoffe, also in einer sogenannten Monoverbrennung, thermisch verwertet wird«, erklärt Projektleiterin Sophie Beausaert den Trocknungsprozess. »Da entwässerter Schlamm immer noch aus 70 Prozent Wasser besteht, wird ein Teil davon auf weniger als zehn Prozent Wasser getrocknet. Das so gewonnene Trockengut wird wieder mit dem restlichen, mechanisch entwässerten Schlamm vermischt und in den Ofen geschickt.« Rein mechanisch handelt es sich um ein bereits bekanntes Verfahren. Die Herausforderung bestand jedoch darin, es in einer industriellen Größenordnung umzusetzen, so Beausaert: »Anlagen wie den neuen Klärschlammtrockner gibt es nicht von der Stange, man muss sie für den jeweiligen Standort konzipieren und aufbauen.«
Die Rückgewinnung des Phosphors aus der Asche erfolgt derzeit noch im Rahmen von Pilotprojekten mit Industriepartnern. Die Errichtung einer eigenen Anlage wird geprüft – immerhin könnte im Endausbau der Phosphorbedarf für die Lebensmittelproduktion der gesamten Bevölkerung Wiens und Niederösterreichs abgedeckt werden.
2. Wie die Blätter eines Baums
Der diesjährige Innovations-Sonderpreis VERENA ging heuer an Siemens Mobility Austria. Das prämierte Projekt »Bionischer Wagenkasten« wurde gemeinsam mit der TU Wien entwickelt. Die Forscher Markus Seitzberger, Andreas Ruthmeier und Robert Nedelik analysierten, wie Material im Wagenkasten durch subtraktive Fertigung eingespart werden kann. Das Ergebnis ist eine bionische Struktur, die an die Blattstruktur eines Baums erinnert. Mit dieser innovativen Konstruktion kann das Rohbaugewicht eines Wagenkastens um 20 %
reduziert werden. Ein U-Bahn-Waggon wird dadurch im Schnitt um eine Tonne leichter. Die Technologie befindet sich bereits in der neuen Londoner Piccadilly Line in der Zulassungsphase. Der Start des Fahrgastbetriebs soll 2025 erfolgen.
3. Umrüsten statt entsorgen
Das Start-up Joulzen ergänzt mit einer innovativen Lösung die bundesweite Förderaktion »Raus aus Öl und Gas« und die Tiroler Landesförderung »Sauber Heizen für alle«. Die Gründer Sebastian Rigger, Florian Schellnast und Christoph Markler – alle drei sind Ingenieure an der TU Wien – entwickelten eine Methode, die es ermöglicht, bestehende Öltanks in effiziente Wärmespeicher umzuwandeln. Diese speichern überschüssige Energie aus Photovoltaikanlagen oder dem Stromnetz und machen sie für den Winter nutzbar.
Das Ergebnis: Die Heizkosten werden um bis zu 90 % gesenkt, der CO2-Ausstoß reduziert sich um bis zu 84 %. Ein weiterer Vorteil: Alte Öltanks müssen nicht mehr teuer entsorgt, sondern können umweltfreundlich umgerüstet werden.
4. Dem Elektrom auf der Spur
Cellectric, ein Spin-off des Austrian Institute of Technology (AIT), zählt zu den vielversprechendsten Unternehmen der österreichischen Life-Science-Branche. Die Forscher*innen nutzen die elektrische Ladung von Zellmembranen, um auf eine ganz neue Weise mit Zellen zu arbeiten. Diese Technologie, die sich der sogenannten Elektrodynamik bedient, könnte revolutionäre Auswirkungen auf die Biologie und Medizin haben. Durch das Erforschen und Nutzen des »Elektroms«, der elektrischen Eigenschaften von Zellen, eröffnet das junge Unternehmen neue Möglichkeiten in der Zellbiologie und Zelltherapie. Das 2021 ausgegründete Unternehmen hat ein mittlerweile mehr als zwanzigköpfiges Team aus 14 Nationen aufgebaut, u. a. mit Expert*innen der Universität Cambridge und der ETH Zürich.