Mal ehrlich: Wien hat Probleme. Da kommt der Bundeshauptstadt listiges Dirty-Campaigning von oben gerade recht. Eine Analyse von Rainer Sigl.
Eine buchstäblich Jahrtausende lange Geschichte, Hochkultur von Weltrang, überwältigende Kunstschätze, Jahr für Jahr Preise für die welthöchste Lebensqualität, Leitungswasser zum Niederknien, Grünflächen und Naherholungsgebiete, für die Paris, London und New York sowieso töten würden, Sauberkeit, große soziale Sicherheit und eine für eine Weltstadt mieselsüchtig niedrige Kriminalitätsrate: Wien hat’s nicht leicht. Jeder Hinz und Kunz kennt die zweitgrößte deutschsprachige Metropole nach Berlin, jeder Touri der Welt hat die Stadt an der Donau auf seiner Bucket List, tausende fernöstliche Reisebusinvasoren lernen genau in diesem Moment ein paar Brocken Österreichisch auswendig und in wirklich jeder deutschen Klein- und Mittelgroßstadt sitzen piefkonische Numerus-Clausus-Flüchtlinge bei einer Apfelschorle in ihrem Wohnzimmer, um den Umzug ins gelobte Studienland zu planen.
Ja, es steht schlecht um diese Stadt, denn entgegen der dauernden Positivpropaganda der bolschewikischen Rathausdiktatoren ist man als Wienerin und Wiener hier tagtäglich mit Situationen konfrontiert, die das folkloristische Granteln als nicht mehr ausreichend zur Lebensbewältigung erscheinen lassen. Horden von Ausländern, die sich mit Selfie-Sticks durch den ersten Bezirk wälzen, endlos lange Schlangen in den früher den Unsrigen vorbehaltenen Schnitzeltempeln und Heurigen, Kolonnen von Hop-on-Hop-off-Bussen, aus denen sich ungewaschene, kulturfremde junge Menschen – hauptsächlich Männer!!! – mit Traveller-Rucksäcken und Lonely Planet in der Hand in die Hipsterbars von Bobostan ergießen – und wenn man Pech hat, fressen die einem nicht nur das letzte Ziegenkäse-Basilikum-Gelato vom Eisgreißler weg, sondern spannen dir auch noch die Freundin aus oder grölen die halbe Nacht auf dem Weg zurück in die frisch bezogene Altbauwohnung, die seit neuestem als AirBnB-Pärchenhit im Monat über den Daumen gepeilt 7.000 Euro für ihre bulgarische Besitzerbank abwirft. Wo soll das alles nur hinführen?
Gut, im Moment hat der traditionell liebevoll übelgelaunte Ureinwohner dieser schönen Stadt noch ein paar ursprüngliche Rückzugsorte, in die sich kaum einer der neuen Völkerwanderer traut, etwa das Stammtischerl beim Döner-Dings in der U6, die Nudistenkolonie »Zum lustigen Spatzi« in der Lobau oder, seit es die neuen Fingerabdrucksensoren an den Schleusen gibt, in den letzten Kleingartensiedlungen dieser Großstadt. Doch sie sind bedroht. Und so ging ein Aufatmen durch Wien, als sich endlich der Kanzler persönlich auch der Aufgabe annahm, diese geschundene Metropole zu entlasten und ihre fatale Anziehungskraft auf alles mögliche Gekreuch dieser Erde zu verringern. Dass Banden marodierender Volksschulkinder frühmorgens ohne jede Aufsicht für Angst und Schrecken bei den wenigen erwachsenen Öffi-Benutzern sorgen, ob auf dem Weg nach Hause vom Saufen oder aber zum strafweise vor 15 Uhr angesetzten AMS-Termin: Na servas! Dass hierzustadt das versumperte Owesandln zu Haus ist: Na bumm! Dass Wien nicht leiwand, sondern oasch ist: Eh kloa!
Es bleibt abzuwarten, ob durch diese listige Finte, sozusagen das »Dirty Campaigning« der Tourismuswerbung, nicht zumindest Teile der Touristenplage am Kommen gehindert werden können. Psst: Hoffentlich nicht grad die aus Saudi-Arabien.