Der Sommer ist da, die Natur erblüht, die Weite lockt: Jetzt ist genau die richtige Zeit, um der Liebe zum Leben freie Fahrt zu lassen. Am besten mit viel PS.
Von Rainer Sigl.
Ich gebe es zu: Ich liebe mein Auto. Ja, ich pflege es voller Hingabe, jeden Samstag etwa wird es liebevoll gewaschen, im Notfall im Regenmantel, denn ich lasse mir trotz verständnisloser Blicke der Nachbarn auch von schlimmsten Wolkenbruch nicht mein regelmäßiges Hygieneritual kaputtmachen, nein, mein Lieber, ich nicht! Ich weiß schon, wenn es wirklich so schüttet wie letzte Woche wird das Polieren zur Sisyphusarbeit, aber ich bin durchaus bereit, für meine Liebe etwas Zeit zu opfern, jawohl! Vor allem, seit ich mir endlich meinen Jugendtraum erfüllt habe und jetzt stolzer Cabriobesitzer bin. Na gut, meine Frau hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, mein Bankberater hat diesen seltsamen starren Blick und dieses komische Augenzucken bekommen und meine Tochter hat mir verboten, sie darin zur Schule zu bringen, da sich sonst dort wieder die Schulpsychologen und Sozialarbeiter auf sie stürzen und umgehend die Eltern verständigen wollen. Trotzdem: Ich bin glücklich, ja: Ich fühle mich wie neugeboren!
Dieses Gefühl der Freiheit, wenn einem der Wind durchs Haar fährt oder zumindest über Stirnregionen, die früher einmal dichtes Haupthaar zierte, wenn man am Wochenende auf romantischen Nebenstraßen auf dem Land dahinrauscht, nur leicht behindert von Freizeitmotorradfahrern, Mountainbikern, Wanderern, Sonntagsfahrern mit Hut und dem ein oder anderen Traktor oder Mähdrescher – das ist Freiheit! Und ja, mein Lieber, auch wenn man auf diesen idyllischen Routen bei Schönwetter die 40 km/h nur selten überschreitet, die 250 PS braucht man sehr wohl, wenn man dann zum Beispiel die Gattin schnell auf der Autobahn zur Allergieambulanz fahren muss, weil ein halber Strohballen vom Traktor herunter direkt in ihr linkes Nasenloch gefallen ist oder sich angeblich eine Wespe in ihrem zarten Ohr verirrt hat. Ja, sag ich ihr dann immer, gell, jetzt, im Angesicht des allergischen Schocks, die Augen zugeschwollen, jetzt bist du schon wieder froh, dass wir so ein schnelles Auto haben! Aber ist sie dafür etwa dankbar? Nein, kein liebes Wort, nur rotzersticktes Gemaule! Naja, sag ich ihr dann immer zur Beruhigung, die Natur ist bei aller Schönheit halt immer noch ein feindseliger, gemeiner, lebensfeindlicher Ort, den man anständig motorisiert aber dafür umso schneller durchqueren kann.
Überhaupt: meine Frau. Wie kann der Mensch, der mir angeblich in guten und schlechten Zeiten, bis dass der Tod uns scheidet et cetera et cetera, wie kann dieser Mensch so verständnislos meine Liebe boykottieren? Schon seit dem Kauf steht sie unserer besonderen Beziehung sperrig im Weg, lässt kein gutes Haar daran, von unseren gemeinsamen Ausflügen inklusive Notarztbesuch war ja schon die Rede, und auch an mir mäkelt sie immer mehr herum: Warum ich mir unbedingt die Haare färben musste? Also bitte, ein nachtschwarzes Cabrio, das passt doch wohl nie und nimmer mit Aschblond, na gut, Grau zusammen, ist doch logisch – was soll ich denn bitte sonst machen? Das Auto umlackieren? Und auch, dass ich Anhalter mitnehme, passt ihr plötzlich nicht, jawohl, sie entwickelt sich noch direkt zum Menschenfeind in ihrem Wahn! Ich sag Ihnen, was das für ein Hallo war wegen dieser Anhalterin, die da im Auto ihr Haarband verloren hatte, also bitte, da will man ein Philanthrop sein und jungen Menschen ganz selbstlos behilflich sein, und dann diese Vorwürfe! Aber ich sag’s Ihnen, ich weiß, woher der Wind weht: Sie ist eifersüchtig. Auf die eleganten Kurven. Auf die schlanken Formen. Auf den sparsamen Verbrauch.
Ich habe einen schrecklichen Verdacht: Sie will uns mit aller Macht wieder auseinanderbringen. Aber da beißt sie auf verzinktes Blech, mein Lieber! Uns wird nichts trennen, oh nein! Denn ja, ich liebe mein Auto. Wie heißt es so schön: Was die Zulassungsstelle zusammengebracht hat, soll der Mensch nicht trennen. Bis dass der Rost uns scheidet.