130 Länder haben sich auf eine Mindeststeuer für Großkonzerne geeinigt. Sie soll nach OECD-Angaben »mindestens 15 Prozent« betragen und sicherstellen, dass multinationale Unternehmen dort Steuern zahlen, wo sie ihre Gewinne erzielen. In die ersten Meldungen über den »historischen Durchbruch« mischte sich bald Kritik. Report(+)PLUS hat bei Expert*innen nachgefragt, wie sie das Verhandlungsergebnis beurteilen.
1.Ist die Einigung auf 15 Prozent ein gerechter Kompromiss?
Friedrich Möstl, Partner bei Deloitte Styria
Die G20 befürworten die Einführung einer globalen Mindeststeuer von 15 Prozent ab dem Jahr 2023. Ziel ist es, eine gerechtere Verteilung der Besteuerung zu erreichen, damit Unternehmen künftig nicht nur im Heimatland Steuern zahlen, sondern auch dort, wo sie ertragreiche Geschäfte machen. Der Mindestsatz von 15 Prozent soll für alle Unternehmen gelten, die jährlich mehr als 750 Millionen Dollar Umsatz erzielen. Der Satz von 15 Prozent ist ein gerechter Kompromiss. Die Anzahl jener Länder, die einen niedrigeren Satz haben, ist bei diesem Prozentanteil relativ gering.
David Walch, Pressesprecher Attac Österreich
Nein. Seit 1980 haben sich die Steuersätze für Konzerne im weltweiten Durchschnitt von rund 50 Prozent (!) auf etwa 22 Prozent halbiert. Statt also nun endlich einen Boden bei etwa 25 Prozent einzuziehen, feiern die Regierungen einen Mindeststeuersatz von
15 Prozent als Durchbruch – ein Satz der sich an Steuersümpfen wie Irland oder der Schweiz orientiert. Das könnte den Steuerwettlauf nach unten sogar noch weiter anheizen, wie die Reaktionen der Konzernlobbys in vielen Ländern zeigen.
Margit Schratzenstaller-Altzinger, Ökonomin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO)
Die Einigung ist ein wichtiger erster Schritt: Erstmals wird es weltweit eine Untergrenze für den Unternehmenssteuersatz geben.
Das ist ein historischer Erfolg, wenn auch ein Kompromiss, um auch die Niedrigsteuerländer an Bord zu holen. Wichtige nächste Schritte wären die Erhöhung des Mindeststeuersatzes, die Senkung der Umsatzschwelle, oberhalb derer Konzerne betroffen sind, sowie ein Mechanismus zur globalen Verteilung der Steuerbasis, der sich stärker daran orientiert, wo die Wertschöpfung erfolgt.
2. Wer profitiert von der globalen Mindeststeuer?
Friedrich Möstl
Ein globaler Mindeststeuersatz für Unternehmen kann vor allem Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien zugutekommen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie zwar große Vertriebsmärkte sind, jedoch kaum Sitzländer digitaler Konzerne. Folglich profitieren sie von der weltweiten Mindeststeuer. Aber auch Hochsteuerländer wie Deutschland und Österreich sind potenzielle Profiteure einer einheitlichen Besteuerung.
David Walch
Wie beim ersten Teil der Reform – der neuen Zuweisung von Gewinnanteilen – profitieren auch bei der Mindeststeuer (das ist der zweite Teil der Reform) vor allem reiche Industriestaaten. Denn die zusätzlichen Einnahmen sollen an jene Länder gehen, in denen die Konzerne ihren Hauptsitz haben, und nicht dorthin, wo die Gewinne erwirtschaftet werden. Die ärmsten Staaten, zum Beispiel Produktions- oder Rohstoffländer, die am stärksten unter den Gewinnverschiebungen von Konzernen leiden, werden also nahezu leer ausgehen.
Margit Schratzenstaller-Altzinger
Die globale Mindeststeuer kommt hauptsächlich den reicheren Ländern zugute, in denen die großen Konzerne mit einem Umsatz von über 750 Millionen Euro ihren Sitz haben: Sie können nun Gewinnteile, die in Niedrigsteuerländern oder Steueroasen erwirtschaftet werden, im Sitzland mit dem Mindeststeuersatz nachversteuern. Die großen Schwellenländer profitieren in gewissem Umfang von der Umverteilung der Besteuerungsrechte, während die Entwicklungsländer insgesamt wohl eher wenig von der Einigung haben.
3. Sind Steuertricks weiterhin möglich?
Friedrich Möstl
Von der Umsetzung der Mindeststeuer wird viel abhängen, denn nicht nur die Steuersätze sind maßgeblich. Fragen nach der Definition der Steuerbemessungsgrundlage und der Regelung der Verteilung nach Umsätzen werden relevanter. Nur wenn auch diese Fragestellungen einheitlich geregelt sind, wird der Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit gelingen. Folglich werden auch Besteuerungslücken kleiner werden.
David Walch
Das kommt auch auf die Ausgestaltung der Steuerbasis an, also wie dieser »effektive Steuersatz« von 15 Prozent berechnet wird und welche Möglichkeiten es gibt, dabei zu tricksen. Da sind alle Details noch offen. Großbanken sowie Rohstoffkonzerne sind leider davon ausgenommen. Die krassesten Fälle von Steuermissbrauch mit Steuersätzen von null Prozent oder knapp darüber werden wohl der Vergangenheit angehören. Klar ist aber auch, dass sich Gewinnverschiebungen für Konzerne in großem Stil weiterhin lohnen werden.
Margit Schratzenstaller-Altzinger
Grundsätzlich wird Gewinnverschiebung in Niedrigsteuerländer oder Steueroasen künftig auch ohne deren Mitwirkung der Riegel vorgeschoben. Ob Steuertricks weiterhin möglich sind, hängt von der konkreten Ausgestaltung der Reform ab. So werden derzeit etwa Ausnahmen für Investitionsanreize für Unternehmen diskutiert, die als Schlupflöcher genutzt werden könnten. Außerdem darf nicht übersehen werden: Der Steuerwettbewerb nach unten wird durch den relativ geringen Mindeststeuersatz nicht beendet.