Dienstag, November 26, 2024
Vom Klimasünder zum Vorbild

Die Zementindustrie – lange Zeit wegen der hohen CO2-Emissionen bei der Herstellung in der Kritik – befindet sich auf dem Weg zur Klimaneutralität. Forschungsprojekte sollen zusätzliche Potenziale zur Dekarbonisierung entlang der Wertschöpfungskette aufzeigen.

Bei den Bestrebungen, die Treibhausgasemissionen weltweit zu reduzieren, steht auch die Zementindustrie im Fokus. Klimaneutrales Bauen soll bis 2050 neuer Standard sein. Beton, vielfach als »Baustoff des 20. Jahrhunderts« tituliert, haftet in der öffentlichen Diskussion zu Unrecht ein negatives Image an. Über den gesamten Lebenszyklus betrachtet, fällt die Klimabilanz von Beton durchaus positiv aus. Der Stempel »Klimasünder« ist in den prozessbedingten Emissionen bei der Zementherstellung begründet: Kalkstein und Ton werden vermahlen und auf 1450 Grad erhitzt, beim Brennvorgang wandelt sich der Kalk zu Calciumoxid und CO2 wird freigesetzt.

Bild oben: Berthold Kren, Lafarge Österreich: »Heizen und Kühlen mit Beton mit allen Bauherren, Planern und ausschreibenden Stellen aktiv angehen.«

Im Rahmen des »European Grean Deal« hat die europäische Zementindustrie (Cembureau) eine Roadmap mit konkreten Zielen und Handlungsoptionen vorgelegt. Die sogenannte 5C-Strategie steht für die Bereiche Klinker (Clinker), Zement (Cement), Beton (Concrete), Bauweise (Construction) und Carbonatisierung (Carbonation) sowie die damit verbundene CO2-Reduktion.

Vorbild Österreich

Österreich befindet sich schon länger auf dem Weg Richtung Klimaneutralität. 400 Millionen Euro investierte die österreichische Zementindustrie in den vergangenen zehn Jahren in CO2-reduzierte Herstellung. Mit 521 kg CO2 pro Tonne erreichte in Österreich hergestellter Zement bereits 2018 das von Cembureau für 2050 vorgegebene Ziel. Der Einsatz von Kohle, Öl und Gas wurde zu 80 % durch andere Brennstoffe ersetzt – eine Quote, die im internationalen Vergleich vorbildlich ist. Der Klinkeranteil im Zement liegt bei 69 % und soll noch weiter gesenkt werden, schließlich ist das Brennen des Zementklinkers jener Prozessschritt, der die meisten Emissionen verursacht.

Bild oben: Georg Bursik, Baumit: »Wir haben uns technologisch extrem weiterentwickelt und sind innovativer als der Weltmarkt.«

Dennoch bleibt für die heimischen Branchenvertreter einiges zu tun: »Wir wollen die Emissionen entlang der Wertschöpfungskette von Zement und Beton auf null reduzieren«, erklärt Rudolf Zrost, Vorstandsvorsitzender der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ). Bereits bis 2030 sollen 40 % der CO2-Emissionen eingespart werden.

Die Wertschöpfungskette Zement gliedert sich in fünf Bereiche: die Rohstoffgewinnung, die Herstellung von Zement, seine Verarbeitung zu zementgebundenen Baustoffen (insbesondere Beton), deren Verwendung in der Bauwirtschaft sowie das Recycling zementgebundener Baustoffe. Teilweise sind die Möglichkeiten zur CO2-Reduktion jedoch schon weit ausgereizt. »Konventionelle Minderungsmaßnahmen stoßen an die Grenzen und eine CO2-neutrale Zementproduktion kann nur mit dem Einsatz von Breakthrough-Technologien realisiert werden«, bestätigt VÖZ-Geschäftsführer Sebastian Spaun.

Der Weg führt in eine völlig neue Kreislaufwirtschaft. Durch den Einsatz von Carbon Capture & Utilization (CCU), der Abscheidung von CO2 und Nutzung als neuer Rohstoff, arbeitet man sektorübergreifend daran, den Kohlenstoff und somit das CO2 im Kreis zu führen und von der Atmosphäre dauerhaft fern zu halten. »Gepaart mit Wasserstoff können daraus z. B. ewig kreislauffähige Kunststoffe und Treibstoffe (e-Fuels) erzeugt werden«, erklärt Spaun. »Die technischen und ökonomischen Herausforderungen sind riesig und müssen in sektor-
übergreifenden Pilotprojekten erprobt und an den Stand der Technik herangeführt werden. Aber auch die Politik ist immens gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen und den gesellschaftspolitischen Konsens für eine zukunftsfähige Energie-, CO2- und Wasserstoffinfrastruktur zu schaffen.«

Optimierte Produktion

Bild oben: Vorstandsvorsitzender Rudolf Zrost (li.) und Sebastian Spaun, Geschäftsführer der VÖZ, wollen die Emissionen entlang der Wertschöpfungskette von Zement und Beton auf null reduzieren.

Der Brennprozess kann aus erneuerbaren Energien gespeist werden, allerdings sind hohe Temperaturen erforderlich, damit der enthaltene Kalkstein entsäuert – ein unumgänglicher Vorgang bei der Zementproduktion. Durch den Einsatz von Kreislaufstoffen sowie Ersatzbrennstoffen wird die Produktion jedoch laufend optimiert. Beim Brennen des Klinkers kommen nur noch 18 % fossile Brennstoffe zum Einsatz.

»Im Wopfinger Zementwerk wird die Heizenergie zu mehr als 80 % mit Ersatzbrennstoffen substituiert, die über einen hohen biogenen Anteil verfügen«, erklärt Georg Bursik, Geschäftsführer der Baumit GmbH. »Der Ersatzrohstoffanteil liegt bei 30 %. Damit werden natürliche Ressourcen geschont und das Deponievolumen vermindert.« Die heimische Zementindustrie ist »Weltmeister« in der CO2-Reduktion – nicht zuletzt dank moderner Zyklonvorwärmeöfen, mit der die entstehende Abwärme genutzt wird. Diese Technologie ermöglicht eine sehr energieeffiziente Vortrocknung der Rohmaterialien und wird in Österreich flächendeckend eingesetzt.

Der in Österreich traditionell niedrige Klinkeranteil ist in der Beifügung von Flugasche aus Kohlekraftwerken und Hochofenschlacke aus der Eisenerzeugung begründet. Aufgrund des quantitativen Rückgangs von Hüttensand und der ungleichmäßigen Qualität sucht die Branche nach Alternativen. »Während Ersatzbrennstoffe ausreichend verfügbar sind, wird der Anteil von Zumahlstoffen durch die Schließung von Kraftwerken und die stagnierende industrielle Produktion stetig knapper«, stellte Berthold Kren, CEO der Lafarge Zementwerke GmbH, anlässlich seines Amtsantritts im Vorjahr klar.

Um Zement noch umweltfreundlicher zu machen, arbeitet die VÖZ an einem rekordverdächtigen Zement namens
»CEM II/C« mit nur noch 50 % Klinkeranteil. Möglich wäre das durch neue Zumahlstoffe wie z. B. Dolomit oder calzinierte, sogenannte »getemperte« Tone, die schon die Römer verwendeten.

Die 5C

Bild oben: In der Mühlgrundgasse im 22. Bezirk entstand Wiens erster sozialer Wohnbau mit thermischer Bauteilaktivierung. Betonwände und -decken sorgen für ideale Temperaturen. 

In den ersten beiden Bereichen der 5C-Strategie – Clinker und Cement – schneidet die heimische Zementindustrie somit bereits hervorragend ab. Auch beim dritten C, Concrete, liegt Österreich mit durchschnittlich 240 kg CO2 pro Kubikmeter Stahlbeton gut voran.

Der vierte Bereich, Construction, geht über den Herstellungsprozess hinaus; hier ist man auf den Willen von ArchitektInnen und PlanerInnen angewiesen, Beton für nachhaltige Gebäudelösungen einzusetzen. Innovative Produkte wie beispielsweise Isolationsbeton oder zementgebundene Dämmstoffe bieten zusätzliche Hebel für die multifunktionale Nutzung von Bauteilen aus Beton. »Heizen und Kühlen mit Beton ist ein
Ansatz, den es gemeinsam mit allen Bauherren, Architekten, Planern und ausschreibenden Stellen aktiv anzugehen gilt«, sieht Lafarge-CEO Kren das Potenzial von Beton als Energiespeicher bei weitem nicht ausgeschöpft.

Bei den Bemühungen, Städte vor Überhitzung zu schützen, spielt Beton eine wesentliche Rolle. Helle Oberflächen tragen dazu bei, Lichtstrahlen zu reflektieren statt Wärme zu absorbieren. »Der Gebäudesektor wird zu einem zentralen Element der Dekarbonisierung des Energiesystems«, bestätigt Thomas Kreitmayer, in der MA 20 der Stadt Wien verantwortlich für Energieplanung.

»Als ein entscheidender Erfolgsfaktor hat sich die thermische Aktivierung schwerer Gebäudemassen herausgestellt.« In der Mühlgrundgasse im 22. Bezirk entstand Wiens erster sozialer Wohnbau mit Bauteilaktivierung. Hier wurden in Wänden und Decken Heizregister verlegt, die auch zur Kühlung dienen. Die gute Speicherfähigkeit von Beton bewirkt, dass große Wärmemengen zugeführt werden können, die innere Oberflächentemperatur jedoch nahezu einheitlich bleibt. Die Wärmepumpen sind mit einer Windstrom-Steuerung versehen und beladen die aktivierten Bauteile mit Wärme bzw. Kälte.

Was das fünfte C, Carbonatisierung, betrifft, wird bereits intensiv an neuen Lösungen geforscht. Dabei will man sich den Effekt der CO2-Senke zunutze machen: Wenn Beton der Luft ausgesetzt ist, bildet er sich wieder zu Kalkstein zurück und bindet dabei CO2 – ein natürlicher Prozess, der vor allem bei der Weiterverarbeitung am Ende des Lebenszyklus stärker berücksichtigt werden soll. Schätzungen zufolge könnte durch verbessertes Recycling ein Viertel des bei der Zementherstellung entstehenden CO2 wieder absorbiert werden.

»In puncto Kreislaufwirtschaft ist das Bindemittel Zement auf bestem Weg«, sieht VÖZ-Geschäftsführer Spaun die österreichische Zementindustrie dank » Pioniergeist, sektorübergreifender Zusammenarbeit und hoher Investitionsbereitschaft« auf einem Spitzenplatz bei der Nutzung alternativer Ressourcen: »Carbon Capture & Utilization ermöglicht künftig auch stoffliches Recycling auf molekularer Ebene, das abgeschiedene CO2 kann als Rohstoff genutzt werden.« 

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