Mittwoch, Dezember 04, 2024
Wege aus der Krise

Covid-19 hinterlässt in Österreichs Wirtschaft tiefe Spuren. Für Lethargie ist jedoch der falsche Zeitpunkt: Wer sich jetzt aktiv und mutig an neue Ideen wagt, zählt zu den Gewinnern der Krise.

Eine erste Bilanz zeigt: Österreichs Unternehmen behaupten sich in der Coronakrise – nicht zuletzt dank der unterstützenden Maßnahmen der Bundesregierung und der Länder – bisher recht tapfer. Dennoch sind die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie ein halbes Jahr nach dem Ausbruch bereits zu spüren. Seit den 1950er-Jahren war die Arbeitslosigkeit nicht mehr so hoch wie jetzt. Mehr als 420.000 Menschen sind derzeit auf Arbeitssuche, rund 450.000 befinden sich noch in Kurzarbeit.

Besonders stark sind die Tourismusbranche sowie der Veranstaltungs- und Kulturbereich betroffen. In Wien, wo über den Frühling und Sommer der Großteil der Gäste aus dem Ausland ausblieb, sind die Einbußen massiv. Im April und Mai gab es praktisch einen Totalausfall in der Hotellerie. »In einigen Branchen – Tourismus, Kultur, Automotive – gibt es auf die nächsten 24 Monate bezogen große Sorgen«, bestätigt Karin Mair, Partnerin bei Deloitte Österreich.

Bild oben: »Österreichs Unternehmen haben in den letzten Jahren gut gewirtschaftet«, schätzt Ricardo-José Vybiral, CEO der KSV1870 Holding AG, die heimische Wirtschaft als recht robust ein.

In der Befragung für den Deloitte-Unternehmensmonitor 2020 zeigten sich die österreichischen Unternehmen dennoch überwiegend optimistisch, was die Zukunft ihres eigenen Betriebs anbelangt. Bei der Einschätzung des Marktumfeldes und der globalen Krise ist die Stimmung etwas verhaltener. Von den 614 repräsentativ ausgewählten Führungskräfte, die in Einzelinterviews telefonisch befragt wurden, fürchten 75 % soziale Folgen der Covid-19-Krise. 70 % bereitet die Konjunkturschwäche Sorgen.
Rund zwei Drittel der Befragten bewerten dennoch die Stimmung in der Unternehmensleitung und unter der Belegschaft positiv.

»Mitten in der Coronakrise haben die österreichischen Unternehmen ihren Optimismus nicht verloren – das ist eine erfreuliche Überraschung«, analysiert Christoph Hofinger, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts SORA. »Dennoch nimmt die Sorge über die Marktentwicklung spürbar zu. Die Unternehmen verengen in dieser Situation aber nicht ihren Horizont, sondern sind bereit für nachhaltige Veränderungen.«  

Drang nach Veränderung

Ein Grund für die gute Grundstimmung ist der Polster, auf den die heimischen Unternehmen gebettet waren. »Es ist in dieser Situation ein enormer Vorteil, dass Österreichs
Unternehmen in den vergangenen Jahren insgesamt gut gewirtschaftet haben. Im Schnitt konnten die Betriebe ihre Eigenkapitalquote zwischen 2015 und 2018 pro Jahr um 2 % erhöhen«, erklärt Ricardo-José Vybiral, CEO der KSV1870 Holding AG. »Trotzdem hat sich die zu Jahresbeginn positive Geschäftslage innerhalb kürzester Zeit dramatisch verschlechtert – was bei all den massiven, aber notwendigen Einschnitten nachvollziehbar ist.«

Bild oben: »Die Unternehmen haben ihre Flexibilität und Resilienz in den letzten Monaten unter Beweis gestellt. Sie setzen jetzt auf Nachhaltigkeit und Stabilität«, meint Karin Mair, Partnerin bei Deloitte Österreich.

Umso interessanter ist der starke Drang nach Veränderung. Kaum jemand will eine Rückkehr zu alten Mustern. Sogar die früher oftmals skeptisch betrachtete Flexibilisierung der Arbeitswelt wird aufgrund der positiven Erfahrungen mit Homeoffice und Online-Meetings auch in Zukunft bleiben. Eine neue Vertrauenskultur mit mehr Selbstverantwortung etabliert sich und wird verbesserte Rahmenbedingungen und gesundheitsfördernde Maßnahmen nach sich ziehen. Neben den dringend notwendigen Akuthilfen wünschen sich die Unternehmen nachhaltige Maßnahmen: Senkung der Lohnnebenkosten (95 %), steuerliche Entlas­tung nicht entnommener Gewinne (92 %) und Vereinfachungen bei der Einreichung und Abwicklung von Förderungen (90 %) sind die am häufigsten genannten Forderungen. Im Gegenzug würde die Mehrheit auch steuerliche Belastungen, etwa im Energiebereich, akzeptieren.

Auch dieses Ergebnis des aktuellen Deloitte-Unternehmensmonitor überrascht: Hatte bisher jede Wirtschaftskrise die sogenannten »Ökothemen« immer verdrängt, ist dies erstmals nicht der Fall. Die Sorge um den Klimawandel stieg gegenüber der vorjährigen Befragung sogar um 16 Prozentpunkte auf 68 %.

Weckruf und Reflexion

WirtschaftsforscherInnen und UnternehmensberaterInnen sehen in der Krise ein Brennglas, das auf das Wesentliche fokussiert, sowie einen Beschleuniger längst notwendiger Entwicklungen. Für Unternehmen ist jetzt der Zeitpunkt der Wahrheit gekommen. Jeder Unternehmer, jede Unternehmerin sollte die Krise als Reflexionsphase nutzen: Welche Ziele will ich erreichen? Welche Schwerpunkte kann ich setzen? Wohin soll sich das Unternehmen entwickeln?

Den Kopf einzuziehen und zu hoffen, die Krise möglichst unbeschadet zu überstehen, ist unter diesen Vorzeichen betrachtet nicht unbedingt die beste Strategie. »Zurück zum Normalzustand«, wie es sich manche wünschen, ist ebenso verfehlt – die Welt nach Corona wird definitiv eine andere sein als zuvor.

Vielmehr sollte der gegenwärtige Ausnahmezustand als Katalysator für substanzielle Veränderungen genutzt werden, meint der Zukunftsforscher Franz Kühmayer: »Die Coronakrise hat uns als Gesellschaft und als Wirtschaft an die Grenzen der Leis­tungsfähigkeit geführt. Sie eröffnet damit auch neue Chancen, anderen Herausforderungen klüger zu begegnen.« Corona könne ein Weckruf sein, überfällige Maßnahmen in Angriff zu nehmen. Mehr als die Hälfte der Unternehmen ist auch bereit, selbst zu investieren – in die Qualifizierung der MitarbeiterInnen, in Digitalisierung und in die Umsetzung von Umweltmaßnahmen.  

In Innovationen investieren

»Die Coronakrise stellt uns vor enorme wirtschaftliche Herausforderungen. Wenn wir die Krise als Wendepunkt sehen, gibt es durchaus Chancen für eine Neuorientierung und Neustart«, bestärkt und unterstützt Martin L. Mayr, Geschäftsführer der GoInterim GmbH, Unternehmen im Umbruch: »Neben dem Meistern der aktuellen Situation – sprich Überlebensstrategie – ist es unabdingbar, nach vorne zu blicken. Strategie-Review, Digitalisierung, Innovation und Restrukturierung müssen angegangen und umgesetzt werden. Wer hier ansetzt, wird als Gewinner aus der Krise hervorgehen. Schnelligkeit und zusätzliches Know-how sind hier unabdingbar.«

In vergangenen Rezessionen haben sich insbesondere Investitionen in die Innovationskraft bezahlt gemacht, wie die ForscherInnen Bernhard Dachs, AIT – Austrian Institute of Technology, und Bettina Peters, ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, nachwiesen. So haben 20 der 50 österreichischen Unternehmen mit den höchsten F&E-Ausgaben ihre Forschungsinvestitionen auch während der Finanzkrise 2007 bis 2009 weiter erhöht. Diese Unternehmen erwiesen sich letztlich auch als widerstandsfähiger und verloren deutlich weniger Beschäftigte als Firmen ohne Innovationen. »Nur wenn Unternehmen neue Produkte am Markt einführen, können sie Verluste aus den Nachfrageeinbrüchen bei alten Produkten während einer Krise kompensieren«, betonen Dachs und Peters.

Bei der Wiener Kreditbürgschafts- und Beteiligungsbank AG (WKBG) stieg die Nachfrage nach Finanzierungsmöglichkeiten für Investitionen in den letzten Wochen merklich an. Diesem Trend trägt die Stadt Wien mit einem weiteren Unterstützungspaket – bereits dem dritten seit Beginn der Krise – Rechnung. »Diese Wachstumsaktion soll Investitionsprojekte für Wiener Klein- und Mittelbetriebe forcieren und der Wirtschaft wieder zu Wachstum verhelfen. Ziel ist es, stärker aus der Krise hervorzugehen und an unsere wirtschaftlichen Erfolge vor der Coronakrise anzuknüpfen«, sagt Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke.

Für KMU ist der Zugang zu Bankkrediten seit 2015 schwierig. Laut einer marketmind-Umfrage wurde jeder dritte Finanzierungswunsch abgelehnt und/oder gekürzt, meist aufgrund unzureichender Sicherheiten. Die WKBG springt hier ein und übernimmt Kreditbürgschaften gegenüber der finanzierenden Hausbank. »Zugang zu Kapital ist eine tragende Säule für unsere Unternehmen, um mit Kraft aus dieser schwierigen Zeit zu kommen«, sieht Walter Ruck, Präsident der Wirtschaftskammer Wien, darin »Investitionen in wichtige Zukunftsbereiche, die den Wiener Wirtschaftsstandort und seine Betriebe stärken«.

Untote Unternehmen

Ob und wie rasch sich die Wirtschaft von der Krise erholen kann, hängt von der weiteren Ausbreitung der Pandemie ab. Ökonom Josef Zechner, Professor am Institute for Finance, Banking and Insurance der Wirtschaftsuniversität Wien, ist überzeugt: Einen zweiten, länger andauernden und flächendeckenden Lockdown könne sich Österreich nicht mehr leisten, »ohne einen wirtschaftlichen Kollaps herbeizuführen«: »Eine zweite Covid-19-Welle würde dazu führen, dass die sich gerade erst erholenden Unternehmensumsätze wieder wegbrechen, wobei aber die Kosten zu einem großen Teil weiter anfallen.«

Ohne die Rettungsprogramme des Staats und der EU hätte der dreimonatige Lockdown im Zuge der ersten Covid-19-Welle zur Insolvenz von 17 % der italienischen Unternehmen geführt. Mit weitreichenden Folgen, hängen doch an diesen Betrieben rund 800.000 Arbeitsplätze. »Bei einer zweiten Welle wäre der Zielkonflikt zwischen den medizinisch sinnvollen Lockdown-Maßnahmen und den negativen wirtschaftlichen Auswirkungen noch viel schärfer«, meint Zechner.

Zweifellos kündigt sich auch in der heimischen Unternehmenslandschaft ein Strukturwandel an. Deloitte-Chef Gröhs erwartet besonders in den hart getroffenen Branchen, dass sich bald die Spreu vom Weizen trennt: »Man wird sehen, dass einige Unternehmen nicht überlebensfähig sind.«

Gläubigerschutzverbände kritisieren bereits jetzt eine mögliche Verschleppung von Insolvenzverfahren. Gerhard Weinhofer, Geschäftsführer der Creditreform, spricht von »untoten Unternehmen«, die schon in den letzten Jahren kein positives operatives Ergebnis erzielten und nun künstlich am Leben gehalten würden.

Tatsächlich ist die Zahl der eröffneten Insolvenzverfahren in der ersten Hälfte 2020 um mehr als ein Viertel gesunken, die Passiva stiegen jedoch um 86 % – von 864 Millionen im Vorjahr auf 1,6 Milliarden Euro.

Eine kontraproduktive Entwicklung, wie ExpertInnen meinen. Je länger eine Insolvenz hinausgezögert werde, desto mehr verlieren Unternehmen an Substanz und Regenerationskraft. Statt einer Sanierung bleibt dann nur noch die Liquidation.


Glossar

Verliererinnen der Krise

Frauen trifft die Pandemie doppelt: Sie sind häufig in systemrelevanten Berufen tätig, ihre Arbeit gilt als unverzichtbar. Geht es um faire Bezahlung und familiäre Aufgaben, sind sie aber Verliererinnen. Zahlreiche Arbeitnehmerinnen in Gastronomie und Tourismus verloren ihren Job. Junge Frauen können durch die Krise schwerer im Beruf Fuß fassen.

Lockdown und Homeoffice verfestigten zudem die ungleiche familiäre Rollenaufteilung: Frauen arbeiteten Teilzeit und übernahmen zusätzlich den Großteil der Hausarbeit, Kinderbetreuung und Homeschooling. Gibt es in kinderlosen Haushalten noch eine sehr ausgeglichene Arbeitsteilung, ändert sich das laut einer Studie von Arbeiterkammer und Wirtschaftsuniversität Wien, sobald Kinder da sind.

In der EU sind rund 80 % der Beschäftigten im Gesundheitssektor weiblich, ebenso in Supermärkten, in Reinigungs- und Pflegeberufen. Gerade in der Dienstleistungsbranche und im Sozialbereich ist das Lohnniveau deutlich niedriger, Teilzeitstellen sind oft die Regel. Am Ende eines Erwerbslebens erhalten Frauen im Schnitt um 42 % weniger Pension als Männer, wie die Berechnungen anlässlich des »Equal Pension Day« zeigen.

Während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 waren vorwiegend Männer im Industriesektor von Arbeitslosigkeit betroffen. 85 % der ArbeitnehmerInnen, die zwischen Februar und Juni 2020 arbeitslos wurden, waren Frauen. Branchen mit hohem Frauenanteil – Gastronomie, Hotellerie, Einzelhandel, Dienstleistungssektor oder Freizeit- und Kulturbereich – traf die Coronakrise zunächst stärker als andere. Gut möglich, dass sich dieses Bild noch wandelt: Der massive Stellenabbau bei MAN, FACC, Swarovski, ATB und Agrana ist vermutlich erst der Anfang.

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