Freitag, November 29, 2024

Was 1988 mit 440 Teilnehmerinnen begann, wurde zur zweitgrößten Laufveranstaltung des Landes. Am 22. Mai werden wieder mehr als 30.000 Frauen und Mädchen aus 90 Nationen beim Österreichischen Frauenlauf in Wien an den Start gehen. Wie das Laufen ihr eigenes Leben veränderte, erzählt Organisatorin Ilse Dippmann im Report(+)PLUS-Interview.

(+) plus: 1988 organisierten Sie den 1. Österreichischen Frauenlauf mit 440 Teilnehmerinnen. Wurden Sie für dieses Vorhaben anfangs belächelt?

Ilse Dippmann: Meine persönliche Motivation kam mit 29 Jahren, als ich meinen Freund beim Wien-Marathon betreute. Ich merkte, dass meine eigene Fitness absolut am Nullpunkt war. Ich wollte für mich etwas tun und nahm mir vor, auch einen Marathon zu laufen – und zwar noch im selben Jahr in New York. Dort bekam ich einen Flyer vom Frauenlauf in die Hand gedrückt, bei dem schon damals über 2.000 Frauen starteten. In den USA war gerade die große Fitnesswelle in Gang: Im Central Park sah ich laufende Studentinnen neben 80-jährigen Ladies mit Lippenstift. Zu Hause erzählten wir von der Idee, aber alle rieten uns ab: »So eine Emanzengeschichte, was soll das bringen?«

Die Faszination Laufen hatte mich aber gepackt, und als ich im Jahr darauf wieder beim Marathon in New York an den Start ging, beschloss ich: Nächstes Jahr wird es den ersten Frauenlauf in Österreich geben. Und so war es auch. Im ersten Jahr sind wir mit kleinen Zetteln zum Beispiel auf Kinderspielplätze gegangen und haben Frauen angesprochen, ob sie mitmachen wollen. Diese 440 Pionierinnen waren für uns schon eine sensationelle Zahl. Im Wohnzimmer meiner Freundin haben wir die Goodie Bags vorbereitet. Heute liefern Sattelschlepper einen ganzen Tag lang die Waren dafür an.

(+) plus: Ist es heute leichter, Sponsoren zu gewinnen?

Dippmann: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird jeder Marketing-Euro zweimal umgedreht. Trotzdem können wir auf einige Partner schon sehr lange vertrauen – dm drogerie markt feiert heuer das 20-jährige Sponsorjubiläum und Woman, Wien Energie und Kellogg’s sind über zehn Jahre dabei. Heuer ist es uns gelungen, die Ergo Versicherung neu ins Boot zu holen. Unser ungebrochenes Engagement, Frauen für das Laufen zu begeistern, wird von Sponsoren sehr wohl wahrgenommen.

(+) plus: Worauf führen Sie das immense Wachstum des Events zurück?

Dippmann: Mein Anspruch war immer, dass sich die Frauen wohlfühlen. Es soll trotz der großen Masse an Teilnehmerinnen familiär bleiben. Alles ist durchdacht und perfekt organisiert, es gibt natürlich auch Kinderbetreuung. Seit 20 Jahren bieten wir zusätzlich kostenlose Lauftrainings an. Begonnen hat es im Prater mit einer Laufgruppe, inzwischen gibt es an 50 Standorten in Österreich und sogar in Bratislava Trainingsgruppen. Wir bringen 3.000 bis 4.000 Frauen pro Woche in Bewegung und unterstützen sie dabei, den ersten Schritt zu machen oder neue Ziele zu erreichen.

(+) plus: Sie starteten selbst 1986 das erste Mal bei einem Marathon. Erst zwei Jahre zuvor wurde der Marathon auch für Frauen eine olympische Disziplin. Warum so spät?

Dippmann: Die Marathon-Pionierin Kathrine Switzer beschreibt sehr interessant in ihrem Buch »Marathon Woman«, unter welchen Voraussetzungen Frauen damals angetreten sind. Es hieß ja immer, Frauen könnten gar nicht laufen und es sei für sie ungesund. Sie selbst nahm 1967 – verbotenerweise – in Boston am Marathon teil. Der Renndirektor versuchte, ihr die Startnummer abzureißen und attackierte sie. Doch sie konnte als erste Frau offiziell den Lauf beenden und initiierte später einen eigenen Frauenlauf in New York.

(+) plus: Was hat sich seither in gesellschaftlicher Hinsicht geändert?

Dippmann: Dieses Ereignis hat sicher viel zur Bewusstseinsbildung beigetragen. Frauen treten in der Öffentlichkeit selbstbewusster auf. Laufende Frauen gehören einfach zum Straßenbild, das ist eine Selbstverständlichkeit.
Als meine Freundin und ich vor 30 Jahren unsere ersten Laufschritte auf der Prater Hauptallee machten, trainierten dort außer uns nur drei Athletinnen eines Vereins. Durch die Stadt zu laufen, habe ich nur zwei oder drei Mal versucht. Viele Leute haben sich umgedreht, gepfiffen oder mir nachgerufen.

Bild oben: Marathon-Legende Kathrine Switzer bestärkte Ilse Dippmann, nach dem Vorbild New Yorks einen Frauenlauf zu veranstalten.

(+) plus: Hat Sie Kathrine Switzer in der Umsetzung der Frauenlauf-Idee unterstützt?

Dippmann: Sie ist eine fantastische Frau und hat mich derartig inspiriert, als sie 2005 das erste Mal in Wien dabei war. Man zweifelt ja oft, ob sich die ganze Arbeit überhaupt lohnt. Sie hat mich aber bestärkt, am richtigen Weg zu sein: »Du wirst sehen, die Frauen geben dir alles wieder zurück!« Das hat mich zu Tränen gerührt. Sie hatte recht, es gibt so viel Kraft und es geht ja um viel mehr. Ihr Slogan lautet: »It’s more than running. It’s more than fitness. It’s about changing women’s lives.«

(+) plus: Warum halten Sie Laufen für eine ideale Sportart?

Dippmann: Fürs Laufen oder Walken gibt es viele gute Gründe: Man kann sich den Zeitpunkt frei einteilen, die Strecke und das Tempo selbst bestimmen, allein oder mit FreundInnen losstarten. Früher sah ich das Laufen als Leistungssport, inzwischen genieße ich einfach die Natur und spüre die Jahreszeiten. Viele Menschen schimpfen über das Wetter. Aber es gibt nichts Schöneres, als im Regen zu laufen. Man wird richtig geerdet, gerade in unserer hektischen Zeit. Ziele zu erreichen, ist auch etwas Lohnendes. Man kann die eigenen Grenzen verschieben. Viele Frauen sehen plötzlich, was alles in ihnen steckt.

(+) plus: Vielen Menschen fällt es schwer, sich regelmäßig für Bewegung zu motivieren. Haben Sie einen Tipp?

Dippmann: Eine Fitness, die ich zehn Jahre vernachlässigt habe, kann ich nicht in 20 Tagen zurückgewinnen. Man braucht Geduld mit dem eigenen Körper. Also: Schritt für Schritt an die Sache herangehen und in den Terminkalender eintragen, dann wird es zur Routine. Einmal in der Woche eine halbe Stunde abwechselnd gehen und langsam laufen, das wäre schon ein Anfang.
Ich bin seit 20 Jahren am Mittwoch um 18.30 Uhr im Prater. Niemand würde auf die Idee kommen, mich um diese Zeit anzurufen, selbst wenn ich Geburtstag habe. Jeder muss aber für sich selbst herausfinden, wann es am wenigsten Überwindung braucht. Mir fällt das Laufen zum Beispiel am Wochenende am leichtesten, gleich nach dem Aufstehen. Oft bildet man sich Schranken im Kopf und glaubt, das geht nicht. Da helfen positive Gedanken an die Dusche und ein herrliches Frühstück danach. Das ist Lebensqualität pur.

(+) plus: Seit die Sporthandelskette eybl vom britischen Diskonter Sports Direct übernommen wurde, verzeichnen kleine Sportfachgeschäfte einen Boom. Sie haben Ende 2015 den »wmns running store«, den ersten Laufshop für Frauen in Europa, eröffnet. Liegt in dieser Spezialisierung nicht auch ein gewisses Risiko?

Dippmann: Die Idee, ein eigenes Geschäft zu gründen, entstand schon vor vier Jahren. 2013 starteten wir zunächst mit einem Online-Shop und konnten einige Erfahrungen sammeln. Wenn man selbst 30 Jahre läuft, weiß man ganz genau, was Frauen gerne mögen, wie man das Laufen erleichtern kann und welche Kleidung am angenehmsten ist. Wir haben das breiteste Angebot für Frauen und können sie optimal beraten. Meine Vision war, einen Ort zu schaffen, wo man sich trifft und Motivation holen kann. Alle unsere Mitarbeiterinnen sind selbst Sportlerinnen und geben Informationen von Frau zu Frau auf Augenhöhe weiter. Wenn man hier mit neuem Outfit hinausgeht, hat man gleich Lust, wieder laufen zu gehen.

(+) plus: Einige Händler klagen, dass sich KundInnen zwar bei ihnen beraten lassen, dann aber über das Internet billiger kaufen. Wie begegnen Sie der Online-Konkurrenz?

Dippmann: Es wird immer einzelne Kundinnen geben, die lieber online bestellen. Bei uns ist jedoch kaum eine Frau hinausgegangen, ohne zu kaufen. Wir sind so spezialisiert, dass vor allem viele Schuhmodelle im Internet gar nicht erhältlich sind. Wenn die Beratung passt, ist es den Kundinnen zehn oder 20 Euro mehr wert. Das persönliche Gespräch wird wieder geschätzt. Überall fehlt doch heute das »Menscheln«. Hier kann man erzählen, wie der letzte Lauf war und sich über das Training austauschen.

(+) plus: Um sich der Organisation des Frauenlaufs samt Side-Events, Trainings und Workshops hauptberuflich zu widmen, gaben Sie vor zehn Jahren ihren Job als Hauptschullehrerin auf. War das eine schwierige Entscheidung?

Dippmann: 2005 hatten wir erstmals über 10.000 Teilnehmerinnen am Start. Ursprünglich wollte ich aufhören, wenn wir diese Marke erreicht hätten. Ich war 27 Jahre lang mit Herzblut Lehrerin. Beides ging aber nicht mehr. Ich musste mich entscheiden, Direktorin an der Schule zu werden oder den Frauenlauf hauptberuflich zu managen. Es war nicht einfach.

(+) plus: Nächstes Jahr steht das 30-Jahr-Jubiläum an. Haben Sie schon besondere Pläne?
Dippmann: Seit 2015 sammeln wir schon Ideen in einem eigenen Ordner, der immer dicker wird. Verraten darf ich leider noch nichts. Aber lassen Sie sich überraschen!

Zur Person

Ilse Dippmann, geboren 1957, unterrichtete 27 Jahre an der Hauptschule in Schwechat. 1988 organisierte sie den Österreichischen Frauenlauf zum ersten Mal. Seit 2005 ist sie hauptberufliche Geschäftsführerin des Events, das heuer am 22. Mai im Wiener Prater stattfinden wird. Mit mehr als 33.000 Teilnehmerinnen zählt der Österreichische Frauenlauf zu den drei größten Frauenläufen der Welt und ist nach dem Vienna City Marathon die zweitgrößte Laufveranstaltung Österreichs.

Dippmann entwickelte speziell für Frauen das Trainingsprogramm »Fit in 12 Wochen«, um den Einstieg ins Laufen zu erleichtern. Für ihr Engagement wurde ihr 2007 von der damaligen Frauenministerin Doris Bures das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich verliehen. Ende 2015 eröffnete die 30-fache Marathonläuferin in Wien den »wmns running store«, ein Fachgeschäft für Hobby- und Profiläuferinnen.

 

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