Im März stieg die Arbeitslosigkeit erneut auf Rekordniveau. Im Vergleich zum Vorjahr waren um 2,4 % mehr Personen ohne Job. Insgesamt sind derzeit 438.654 Menschen arbeitslos oder befinden sich in Schulungen. Neben den bisherigen Problemgruppen kommen inzwischen auch Flüchtlinge in der Arbeitslosenstatistik an: Rund drei Viertel des Anstiegs entfielen auf anerkannte Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte. Zwei Drittel der arbeitslosen Flüchtlinge sind in Wien auf Jobsuche. Wie können diese Herausforderungen bewältigt werden?
Report(+)PLUS hat Arbeitsmarkt-ExpertInnen um ihre Einschätzung gebeten.
1. Ist angesichts des erwarteten Wirtschaftswachstums auch eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt in Sicht?
Julia Bock-Schappelwein, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO)
Gegenwärtig ist noch keine Entspannung am österreichischen Arbeitsmarkt in Sicht, da weder ein deutlich höheres Wachstum noch eine merklich schwächere Entwicklung des Arbeitskräfteangebots absehbar sind. Im Gegenteil: Das Arbeitskräfteangebot wird sich auch 2016 weiter erhöhen, da die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter weiter ansteigen wird, u.a. bedingt durch die Flüchtlingsmigration, weil mehr Personen am Arbeitsmarkt durch das steigende effektive Pensionsantrittsalter verbleiben werden und die (Teilzeit-)Beschäftigung von Frauen weiter zunehmen wird. Das WIFO erwartet, dass die Arbeitslosenquote 2016 bei 9,5 % liegen wird.
August Gächter, Projektleiter im Zentrum für Soziale Innovation (ZSI)
Es gab seit 1945 keine andere so lange anhaltende Wachstumsschwäche. Wenn die Prognosen halten, wird 2017 das neunte der letzten zehn Jahre mit einem Wirtschaftswachstum unter 2 % sein. Insbesondere die Jahre 2012 bis 2015 wiesen im Schnitt nur ein Wachstum von 0,5 % auf. Die Beschäftigung nimmt zwar auch bei kleineren Wachstumsraten zu, aber die Arbeitslosigkeit sinkt normalerweise erst bei ca. 2,5 %. Durch die lange Dauer der Krise wurden diesmal die Reserven in den Betrieben abgebaut, sodass bereits geringeres Wachstum Effekte haben könnte.
Petra Draxl, Geschäftsführerin des AMS Wien
Nein. Die Arbeitslosigkeit wächst nicht mehr so rasch an wie noch vor kurzem, aber eine Trendwende ist noch nicht in Sicht. Die größte Herausforderung für den Wiener Arbeitsmarkt ist das derzeit sehr rasche Wachstum unserer Stadt, die die Zahl der arbeitswilligen Menschen wesentlich schneller ansteigen lässt als das BIP-Wachstum und die Anzahl der Jobs. Wien ist auch für gut Ausgebildete aus dem EU-Raum ein attraktiver Arbeitsort, für Menschen, die hierher ziehen wie auch für Pendlerinnen und Pendler – die Verlierer dieser Entwicklung sind Geringstqualifizierte.
2. Sind Ein-Euro-Jobs ein sinnvolles Mittel zur Integration von Flüchtlingen?
Julia Bock-Schappelwein
»Ein-Euro-Jobs« sind Teil der Hartz-IV-Reformen in Deutschland. Sozialstaatliche Leistungen für Arbeitslose wurden stärker an die Verpflichtung zur Arbeit(-suche) gekoppelt. Aus der vorliegenden Evidenz lässt sich allerdings nicht schließen, dass diese Beschäftigungsform ein geeignetes Instrument darstellt, um betroffene Personen nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Anerkannte Flüchtlinge benötigen vielmehr spezifische, auf die Zielgruppe zugeschnittene, Maßnahmen, die ihre Heterogenität hinsichtlich ihrer Qualifikationen mitberücksichtigt. Gefragt sind Instrumente, die diese Unterstützung bieten, möglichst in Kombination mit einer Arbeitserfahrung.
August Gächter
Auf die eine oder andere Art und Weise wird es sie geben und gibt es sie wohl auch schon. In Österreich wurde das bisher nie mittels einer formalen Regelung gemacht, sondern durch Wegsehen für einige Jahre, um anschließend auf angekündigte und allmählich striktere Weise durchzugreifen. Das sollte dieses Mal von Anerkennung der Ausbildungen begleitet sein. Es braucht auch mehr Aufmerksamkeit für die in den nächsten Jahren nachkommenden Frauen.
Petra Draxl
Die in Deutschland für AsylwerberInnen diskutierten Ein-Euro-Jobs entsprechen in vielem dem freiwilligen Integrationsjahr in Österreich für anerkannte Flüchtlinge – also eine abgeschwächte Form von Beschäftigung mit gemeinnützigem Anspruch, für die weiterhin eine Geldleistung geboten wird. Aus Sicht der Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt halte ich diese Idee für gut und verfolgenswert. Im Auge behalten muss man aber natürlich, dass sie nicht ein Ausmaß annimmt, in dem sie beginnt, bezahlte Jobs zu ersetzen oder zu verdrängen.
3. Bleiben die bisherigen Problemgruppen - ältere Arbeitssuchende und Menschen mit Behinderung - zunehmend auf der Strecke?
Julia Bock-Schappelwein
Alter und Gesundheitszustand sind neben der formalen Ausbildung und der Arbeitserfahrung die zentralen Bestimmungsfaktoren für die individuellen Arbeitsmarktchancen: für das Risiko, arbeitslos zu werden bzw. zu bleiben, bzw. um zurück in Beschäftigung zu finden. Ältere Arbeitsuchende sind eine – u.a. wegen der Bevölkerungsalterung – an Bedeutung zunehmende Personengruppe. Sie tun sich allerdings bei der angespannten Arbeitsmarktlage besonders schwer, zurück in Beschäftigung zu finden, wenn sie einmal arbeitslos sind. Insbesondere können folgende Gründe ausgemacht werden: Ältere Arbeitskräfte stehen den Unternehmen potenziell kürzer zur Verfügung als jüngere; ihre formale Ausbildung bzw. das betriebsspezifische Erfahrungswissen entspricht nicht (mehr) den Anforderungen der Unternehmen.
August Gächter
Das sind ganz unterschiedliche Arbeitsmärkte, die sich nicht in die Quere kommen. Die sichtbare Arbeitslosigkeit unter den Älteren hat zugenommen, weil sie nicht mehr mit derselben Selbstverständlichkeit verfrüht in Pension gehen können. Die Beschäftigung der weniger qualifizierten Österreicher leidet unter der Krise, nicht unter der Einwanderung. Für die Bewältigung einer Krise dieser Hartnäckigkeit fehlen uns im Beschäftigungswesen die Erfahrung und die Vorbilder. Das verleitet dazu, Sündenböcke zu suchen.
Petra Draxl
Je schwieriger die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird, desto problematischer wird sie natürlich erst recht für jene, die sich immer schon schwerer getan haben. Wir wissen das natürlich und haben diese Gruppen keineswegs aus den Augen verloren – im Gegenteil: Allein für die Unternehmensförderung bei neuen Dienstverhältnissen mit Arbeitslosen über 50 Jahren geben wir heuer 34 Millionen Euro aus. Eine solche Förderung gewähren wir auch bei der Einstellung von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen.