Wer braucht schon die öde Realität, wenn Hochglanz-Fantasy-TV doch so viel spannender ist? Ein Serienmarathon von Rainer Sigl.
Ta-ta, tatata-ta, tatata-ta …. Sie kennen’s, stimmt’s? Sowieso, jeder kennt’s, die ganze Welt schaut »Game of Thrones«. Ich muss ja sagen, jetzt, wo die letzte Staffel anläuft, sind die Irmi, meine Frau, und ich schon wirklich aufgeregt. Ja sicher haben wir uns anständig vorbereitet, über die letzten Monate haben wir brav die vorigen Staffeln nochmal geschaut, die Trivial-Pursuit-Special-Westeros-Edition auswendig gelernt, die Romane gelesen und die halbe Fanfiction sowieso, kurz, wir sind bereit, valar morghulis, haha!
Wie bitte? Wo wir die Zeit hernehmen? Ja, wissen S’, ich sag’s Ihnen offen: Wir haben halt Abstriche bei der realen Welt gemacht. Früher da hab ich in der Früh schon die Zeitung aufgeschlagen, hab zuerst den Sport gelesen, dann den Politikteil, dann den Wirtschaftsteil, dann nochmal den Sport, neben dem Zähneputzen ist das Morgenjournal gelaufen, dann am Weg in die Arbeit, in der Ubahn, hab ich ins Gratisblattl geschaut oder ins Handy, was im Forum zum Aufreger des Tages gepostet wird, dann in der Arbeit zuerst einmal die anderen Zeitungen überflogen, am Abend dann »Zeit im Bild«, »Report«, jenen Polit-Talk, diese Doku, jene Diskussion, ich sag’s Ihnen: Ich hab mich da einfach total reingesteigert. Die Irmi, meine Frau, hat schon immer gesagt, wenn du dich wegen dem Schas weiter so aufregst, brauchst dir keine Sorgen um die Zukunft machen, weil dann trifft dich eh bald der Schlag!
Also kurzum: Weg damit! Und es geht mir besser! Was hab ich mich gegrämt noch vor kurzem wegen dieser Klimakatastrophe, wegen der wir vielleicht alle bald dings, und die Irmi genauso, aber jetzt reden wir lieber darüber, ob sie es in Westeros noch verhindern können, dass der Nachtkönig die ganze Welt in eine untote Eiswüste verzaubert. Statt mich zu ärgern, dass der Trumpel zu Mexiko eine riesige Mauer bauen will, diskutiere ich im GoT-Fanforum lieber drüber, ob der Eiswall wirklich riesenfest ist. Und wenn ich einen Drachen sehen will, schau ich mir sicher keine Pressekonferenzen zur Mindestsicherung mehr an!
Na gut, ich weiß ja eh, das ist nur Eskapismus. Aber ich sag Ihnen: So eine Flucht in die Fantasie ist schon was wert. Weil das Schöne dran ist: Man weiß, dass an den Drehbüchern Menschen mit Grips sitzen, die sich jede Handlungswendung genau überlegen, jeden plötzlichen Schock dramaturgisch geschickt kalkulieren und vor allem stets darauf achten, dass das Ganze nicht zu unglaubwürdig wird. Ich mein, wie weit kann man etwas an den Haaren herbeiziehen? Ein schmieriger Immobilien-Reality-Soap-Star als US-Präsident mit Atomwaffen? Panama Papers, Cum-Ex- und Dieselskandal, und nix passiert? Eine drohende globale Katastrophe, und alle schauen nur blöd zu?
Dann schon lieber Fantasy. Im Vergleich damit kommt einem die Realität oft ganz schön unrealistisch vor.