Unter dem Titel »Radikale Transparenz« diskutierten auf Einladung des Bau & Immobilien Report prominente Branchenvertreter*innen unter der Leitung von Martin Szelgrad, Report Verlag, über die Ökobilanzierung von Baustoffen und nachhaltiges Bauen.
DAS PODIUM (alphabetisch)
- Stefan Graf, CEO Leyrer + Graf
- Florian Gschösser, assoz. Professor am Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften, Universität Innsbruck
- Wolfgang Kradischnig, Geschäftsführer Delta
- Ursula Schneider, POS architekten
- Sebastian Spaun, Geschäftsführer Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie
- Simon Winter, Holzforschung Austria
Schon die ersten Minuten der Diskussion gaben die Richtung vor. »Nachhaltigkeit ist wichtig, darüber brauchen wir nicht diskutieren. Punkt!«, sagte Stefan Graf, CEO Leyrer + Graf, gleich zu Beginn. Dass der Weg dorthin nicht immer einfach ist, zeigten die folgenden 90 Minuten.
Eine wichtige Rolle dabei werden in Zukunft Umweltprodukt-Deklarationen, EPDs (Environmental Product Declarations) auf Basis von Ökobilanzen spielen. »EPDs legen sehr transparent die Umweltauswirkungen von Baustoffen über den gesamten Lebenszyklus dar. Sie werden ein Must-have der Bauwirtschaft sein«, erklärte Florian Gschösser von der Universität Innsbruck. Darauf seien aber nicht alle Baustoffe gleichermaßen gut vorbereitet. Besonders groß ist der Druck in der Nachhaltigkeitsdiskussion bei massiven Baustoffen, allen voran Zement und Beton, die ja in der breiten Öffentlichkeit nicht selten als Klimasünder schlechthin dargestellt werden.
»Beton ist viel besser als sein Ruf, und wir sind die Ersten, die mit unseren EPDs völlige Transparenz schaffen«, stellte Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie VÖZ und stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Beton Dialog Österreich, klar. Seine Branche würde bereits seit 1995 regelmäßig Emissionsbilanzen erstellen, nur hätte das viele Jahre niemanden interessiert. Das hat sich nun geändert, weshalb vor zwei Jahren der Entschluss gefasst wurde, den nächsten Schritt zu gehen. Mit Stand heute sind bereits 35 EPDs der österreichischen Zementhersteller verfügbar, der Rest folgt demnächst. »Das ist für uns überlebensnotwendig, weil wir mehr als jeder andere Baustoff im Fokus stehen«, weiß Spaun, der hofft, dass mit dieser »radikalen Transparenz weit verbreitete Ökomythen endgültig widerlegt werden können«. Er kritisiert das oftmals vorherrschende Schubladendenken. »Es wird schnell in gut und böse eingeteilt, das spüren wir bei den Baustoffen besonders. Das reicht bei einzelnen Bundesländern sogar bis in die Wohnbauförderung.«
Simon Winter, Holzforschung Österreich, weiß, dass seine Branche beim Thema Nachhaltigkeit einen guten Ruf hat, darauf ausruhen dürfe man sich aber nicht. »Holz schneidet dann gut ab, wenn es sinnvoll und richtig verwendet wird.« Einen allgemeinen Vergleich der Baustoffe hält er »ohne auf das konkrete Einsatzgebiet einzugehen« zwar für wenig sinnvoll, transparente Daten seien aber unabdingbar. »Auch, um die Unsicherheit in der Branche zu beseitigen.«
Benchmark gefordert
Ursula Schneider, POS architekten, findet Nachhaltigkeitsbewertungen generell wichtig, um »Vergleiche anstellen zu können und Schwachpunkte zu erkennen.« EPDs sind in ihrer täglichen Arbeit derzeit nicht existent, für diese würde sie jedenfalls Experten einbinden. Mit Benchmarks könnten sich jedoch auch Architekt*innen schnell orientieren, »sonst seien das einfach nur Zahlen«.
Bislang eher wenig Berührungspunkte mit EPDs und Ökobilanzen hat auch Stefan Graf. »Das Thema zieht aber langsam in die Branche ein.« Das Thema Benchmark beschäftigt auch ihn. »Wir alle stehen im Wettbewerb. Wir müssen uns vergleichen und wir werden auch verglichen. Aber ohne Benchmark entsteht Unsicherheit.« Außerdem gibt er zu bedenken, dass der Markt noch sehr heterogen ist. Einige Lieferanten stellen EPDs zu Verfügung, andere nicht, weil sie nicht können oder nicht müssen. Wie geht man mit denen um?« Schließe man sie aus, verkleinere sich der Markt, fordert man die Zahlen ein, überfordere man den Lieferanten. Die Bewertung von EPDs und Ökobilanzen wird laut Graf auch zu zahlreichen Einsprüchen führen. »Am stärksten profitieren werden Berater und Juristen.«
Als Dienstleister für die Bau- und Immobilienwirtschaft wünscht sich auch Wolfgang Kradischnig, Geschäftsführer Delta, Transparenz. Aktuell sei die Zahlen- und Datenlandschaft aber noch sehr unvollständig und intransparent. Beim Versuch, zu standardisieren, komme es auch immer wieder zu Vereinfachungen, die nicht zulässig seien. »Stichwort Lebensdauer. Die wird einfach festgelegt. Natürlich braucht man für die Vergleichbarkeit einheitliche Parameter, die werden aber oft nicht kommuniziert.« Außerdem glaubt auch der Delta-Geschäftsführer, dass die nötige Transparenz nur mit Benchmarks erreicht werden kann.
Florian Gschösser ist überzeugt, dass Benchmarks über kurz oder lang Standard sein werden und bringt dafür ein Beispiel aus Deutschland. »In Hamburg wurden beim Bau der U5 ganz klare Vorgaben gemacht, welche Eigenschaften jedes einzelne Produkt haben darf und welche nicht. Das waren ganz klare Benchmarks, das wird auch bei uns kommen.«
Gemeinsam ans Ziel
Ursula Schneider mahnte auch einen gesellschaftlichen Diskurs ein, der noch ausstehe. »Wir müssen offen darüber diskutieren, wie unsere Ansprüche und die jährlich zur Verfügung stehenden Ressourcen zur Deckung zu bringen sind.« CO2 Einsparung sei derzeit das oberste Ziel, aber abseits von technischen Lösungen sei auch zu überdenken was es brauche um erfüllt und in Frieden leben zu können. »Jedenfalls: wenn Gebäude schön sind, leben sie immer noch am längsten und damit am nachhaltigsten.« Kritisch sieht Schneider auch, dass viele Bewertungstools von privaten Organisationen vergeben werden. Bei so einem wichtigen Thema könne es nicht sein, dass eventuell der Preis entscheide, was gemacht wird und was nicht.
Kradischnig sieht die öffentliche Hand in der Pflicht. »Es wird einen Schulterschluss der gesamten Branche und eine gewisse Lenkung brauchen, um die Ziele zu erreichen«, so Kradischnig.
Einen Schritt zu diesem Schulterschluss haben am Ende der Diskussion die Holz- und Betonvertreter gesetzt. »Wir müssen näher zusammenrücken, mehr miteinander als übereinander reden und gemeinsam überlegen, wie wir bauen wollen, und zwar möglichst für jeden nachvollziehbar«, sagte Sebastian Spaun und erntete dafür Zuspruch von Simon Winter.