Mittwoch, Dezember 04, 2024
Nachbericht, Video und Fotos: „Machine Learning fürs Business“
Fotos: Sela Krobath

Der Hype um künstliche Intelligenz ist groß – wo stehen wir mit diesen Technologien heute wirklich? Auf den Boden gebracht: Wo und in welcher Weise wird Machine Learning bereits in der Praxis angewendet? UPDATE: der vollständige Nachbericht zur Veranstaltung.

     

Zu Erkenntnissen, Einsichten und Praxistipps für alle, die sich mit der Anwendung von Machine Learning in ihrem Geschäft beschäftigen wollen, sprachen am 7. März 2019 am Produktionsstandort von Henkel in Wien Bernd Bugelnig, CEO Capgemini Österreich, Harald Piringer, Leiter der Visual Analytics-Forschungsgruppe VRVis, und Clemens Wasner, Vorstandsmitglied AI Austria. Michael Sgiarovello, Corporate Communications Henkel, begrüßte die Gäste. Die Partner des Gesprächs waren Capgemini, bmvit, ­VRVis und Henkel.

»Machine Learning wächst aus den Kinderschuhen heraus und fasst bereits in der Praxis Fuß. 70 Prozent der in einer Studie von Capgemini befragten Unternehmen beschäftigen sich damit«, sagt Bernd Bugelnig, Capgemini. Noch ist aber bei gut jedem zweiten Unternehmen Machine Learning und AI erst im Experimentierstadium. 19 Prozent setzen Lösungen dazu tatsächlich operativ und im größeren Stil ein. Für Bugelnig sind der wesentliche Erfolgsfaktor für Machine Learning die Daten, auf denen die Projekte basieren. »Ohne eine entsprechende Datenvielfalt und Menge an Daten können Systeme nicht lernen.« Eingesetzt werde Machine Learning in unterschiedlichsten Unternehmensbereichen – von außenwirksamen Geschäftsprozessen in Vertrieb und Marketing, über Produktionsprozesse bis zu internen Themen wie Rechnungswesen und Controlling. »Wir helfen Unternehmen, Machine Learning zu einem Erfolg zu bringen.«

Harald Piringer, VRVis, empfiehlt Unternehmen, im Vorfeld von Machine-Learning-Projekten stets einen »Business Value« zu identifizieren. Ebenso wichtig sei es, eine realistische Sicht auf den Machine-Learning-Prozess zu bekommen. Dies brauche allerdings Zeit, denn Machine Learning funktioniere nicht »out of the box«. »Fachexperten kennen ihre Prozesse, haben aber kaum Zugang zu komplexer Analytik. Und Data Scientists beherrschen Algorithmen, benötigen aber bis zu 80 Prozent ihrer Zeit zum Kennenlernen und Aufbereiten der Daten zu konkreten Projekten. Das ist vielen nicht bewusst«, meint Piringer. Ziel seiner Arbeit ist es, Unternehmen und deren Mitarbeiter zu Digitalisierungschampions zu machen, die Unternehmensdaten umfassend und gezielt nutzen – durch Schließen der Kluft zwischen Fachwissen und Analytik, etwa mittels Software, die den Aufwand fürs Aufarbeiten von großen Daten signifikant reduziert.

Clemens Wasner, AI Austria, sieht KI »nicht als reines Nerd-Thema in Richtung eckige Brillen und Flanellhemden«. Vielmehr betrifft es die gesamte Gesellschaft – sowohl die Bürgerinnen und Bürger als Betroffene von AI, vor allem aber auch Wirtschaft und Forschung. »Die große Hoffnung, die man in Machine Learning und AI setzt, ist die Steigerung der Produktivität und des Wachstums der Wirtschaft in den entwickelten Industrie-ländern – ähnlich wie man es zu Beginn des Internets hatte.« Für den Experten bedeutet das Heilsversprechen der künstlichen Intelligenz im Geschäftsumfeld zwei bis drei Prozent Wirtschaftswachstum.
»Ich habe über zehn Jahre in Asien gelebt – in einer Zeit, in der der Hype um Machine Learning und AI begonnen hatte. Mir hat imponiert, dass in Asien von Anfang an die wirtschaftliche Perspektive im Fokus war. Wir wollen mit dem Verein AI Austria nun Machine Learning offen diskutieren und mit lokalen Organisationen in den Bundesländern präsenter machen.«




Bild: Bernd Bugelnig ist CEO von ­Capgemini Österreich, einem Anbieter von Management- und IT-Beratung, Technologie-Services sowie Outsourcing-Dienstleistungen

Report: Um das Thema auf den Boden zu bringen: Was sind für Sie gute Beispiele für Machine Learning und AI?

Bernd Bugelning:
Mittlerweile gibt es sicherlich hunderte Beispiele. In unserem aktuellen »Digital Transformation Review« sind einige dokumentiert. Sie betreffen unterschiedliche Bereiche von AI. So hat die Fluggesellschaft KLM mittels Spracherkennung und AI eine substanzielle Effizienzsteigerung von 35 % in ihrem Callcenter erreicht. Mittlerweile laufen 30 % der Callcenter-Anfragen mehr oder weniger vollautomatisch über dieses System.

Mastercard wiederum hat mittels AI ein Projekt aufgesetzt, um Kartensperren zu reduzieren, die durch Fraud-Analysen irrtümlich ausgelöst werden. Das Unternehmen hat eine Verbesserung um den stolzen Faktor 13 – also 1300 % – geplant. Das Resultat werden deutlich weniger verärgerte  Kunden sein und eine starke Kostensenkung in den nachgelagerten Prozessen, die Sperren auslösen würden.

Die größte Zahl an dokumentierten Verbesserungen liefert derzeit ein Beispiel von Harley Davidson. Der Hersteller hatte sehr unter Verkaufseinbrüchen gelitten und unterstützt nun mit verbesserten CRM-Prozessen und Kundenservices seine Sales- und Marketing-Aktivitäten. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz konnten die »Leads« innerhalb eines Beobachtungszeitraums um 2940 % erhöht werden.

Wir selbst haben letzten November einen »Digithon« zu Digitalisierungsthemen veranstaltet. Gemischte Teams aus Fachbereichen bei Unternehmen, Capgemini-Mitarbeiter und Studenten haben auf der Plattform SAP Leonardo Einsatzmöglichkeiten für automatisierte Prozesse entwickelt und präsentiert. Gewonnen hat ein Use-Case von Mondi zum Thema Arbeitssicherheit, bei dem über Bilderkennung in bestimmten Bereichen fehlende Schutzbekleidung bei Arbeitern registriert wird und ein Warnsignal ertönt. Die Demoanwendung wurde mit frei verfügbaren Bildbibliotheken innerhalb von 24 Stunden entwickelt. Diese sehr sinnvolle Anwendung für Machine Learning wird demnächst im Live-Betrieb in der Produktion eingesetzt.

Report: Wie könnte nun eine Roadmap eines Machine-Learning-Projekts für Unternehmen aussehen? Was raten Sie?

Bugelning: Wir gehen hier vierstufig vor: In der ersten Phase, die wir »Discovery« nennen, werden unterschiedliche Unternehmensbereiche zu diesem Thema durchleuchtet und mit Beispielen und Erklärungen den Fachabteilungen gezeigt, was diese Lösungen können und welche Anwendung möglich sind. Dies ist wichtig, um überhaupt »out of the box« denken zu können. Dann werden Kandidaten für Anwendungsfälle identifiziert und im Sinne einer Priorisierung für eine »Transformation Roadmap« bewertet. Schließlich geht es um die Umsetzung. Dem Motto »think big and start small« folgend, braucht es zunächst eine Vision für die Wegrichtung. In der Entwicklung werden dann erste kleine Anwendungsfälle mit einem überschaubaren Aufwand auf Schiene gebracht. Damit wird auch bewiesen, dass die Ideen auch tatsächlich funktionieren. Feedback-Schleifen schließlich auch im Rollout eines breiteren Einsatzes stellen dann einen kontinuierlichen Verbesserungsprozesse sicher.

Report: Welche besondere Hausforderung sehen Sie bei Projekten?

Bugelning: Je mehr man den Fachbereich ins Boot bekommt und diesen idealerweise auch zum Treiber dieser Aktivitäten macht, desto größer ist die Erfolgschance. Umgekehrt funktioniert es erfahrungsgemäß schlechter: Ein Projekt nur technisch zu betrachten und es der IT-Abteilung umzuhängen, ist problematisch. Wir wissen, dass IT-Leiter die Themen AI und Machine Learning sehr positiv sehen. Doch ohne Einbindung der Fachbereiche wird man das Rennen nicht gewinnen.





Bild: Harald Piringer ist Leiter der Visual Analytics-Forschungsgruppe bei ­VRVis Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung Forschungs-GmbH

Report: Wenn sich nun ein Unternehmen tiefergehend mit dem Thema Machine Learning beschäftigen möchte – welche Vorgangsweise empfehlen Sie? Wo fängt man hier an? Worauf sollte man achten?

Harald Piringer:
Am Anfang eines Projektes sollte immer der Business-Nutzen stehen. Diesen zu identifizieren, um beispielsweise konkrete Verbesserungen zu erreichen, ist essenziell, denn Machine Learning wird nicht zum Selbstzweck umgesetzt. Hier hilft schon ein Durchleuchten der eigenen Datenlandschaft. Was geben die Daten überhaupt her? In dieser Datenexploration werden das Potenzial und die Möglichkeiten erkundet.

Ich finde die Verbindung mit dem Fachwissen sehr wichtig. Jedes Projekt sollte über das abstrakte Modellieren hinaus durch die Brille jener betrachtet werden, die täglich mit den Maschinen und Prozessen zu tun haben – es sind die Quellen, aus denen die Daten stammen.

Wenn es möglich ist, sollte man sich dann eine wohldefinierte Problemstellung suchen. Das könnte eine bestimmte Maschine betreffen, bei der die Ausfallsquote reduziert werden soll.
Ein anderer Fall wäre eine maschinelle Unterstützung für Ärzte bei Diagnosen, in der die Wahrscheinlichkeit eines kritischen Krankheitsverlaufs berechnet wird. Auch hier sollte man zunächst bei einer Krankheit beginnen. Gleich eine Lösung über sämtliche Krankheiten hinweg zu bauen, wird nicht funktionieren.
Hier geht es auch stets um die Unterstützung des Menschen – nicht um seine Ablöse.

Report: Sind AI und Machine Learning lediglich etwas für große Unternehmen?

Piringer: Keineswegs. In der Suche nach dem Business Case und der punktweisen Betrachtung beim Zugang zu diesem Thema unterscheiden sich die Projekte der großen Unternehmen nicht vom Mittelstand und kleineren Firmen.

Report: Was sind für Sie hier die gro­ßen Herausforderungen? Gibt es gängige Missverständnisse bei Machine Learning?

Piringer: Mit den entsprechenden Daten sollte auch die passende IT-Plattform gefunden werden, die sich nicht nur für einen Prototypen, sondern auch für den laufenden Betrieb eigenen muss. Machine Learning ist aber kein IT-Tool, das man sich nur herunterladen muss und damit sofort Verbesserungen erzielt. Es braucht eben Wissen zu den Daten und vor allem zur fachlichen Themenstellung.

Auf der anderen Seite ist es nicht ausreichend, nur über Prozesswissen zu verfügen. Bei Machine Learning gibt es verschiedene Modelle, Modelltypen und jeweils zu beachtende Schritte. In der Statistik gibt es verschiedene Maßzahlen, mit denen die Genauigkeit von Modellen gemessen werden kann. In manchen Einsatzbereichen können dann weitere Aspekte hinzukommen, etwa die Verständlichkeit von Modellen. Ein konkretes Beispiel dazu: Wir haben in Zusammenarbeit mit einem Betreiber von Energienetzen ein Hilfsmittel geschaffen, um den Einsatz von Regelenergie zu verbessern. Sie muss bei Bedarf zugeschaltet werden, um die Stabilität eines Stromnetzes zu gewährleisten. Es galt, ein Modell zu finden, das den Operator in der Leitstelle nicht ersetzt, sondern diesem leicht verständliche Regeln zu Verfügung stellt. Nicht die höchstmögliche Genauigkeit, sondern auch die Interpretierbarkeit des Modells waren das Ziel.




Bild: Clemens Wasner ist Gründer von »AI Austria – Austrian Society for Artificial Intelligence« und CEO des ­Unternehmens enliteAI

Report: Ist Österreich bei Entwicklungen zu KI im Hintertreffen?

Clemens Wasner: Es ist sicherlich nicht sinnvoll, sich direkt mit Google, Facebook, Amazon oder Alibaba und Baidu aus China zu vergleichen. Diese Monopolisten oder Oligopolisten sind im Bereich »Internet AI« klar voran und haben seit Jahren eine Vormachtstellung im Markt inne. Milliardenschwere Internetkonzerne aus Europa kenne ich – mit Ausnahme von Spotify – dagegen nicht. Auf Applikationsebene aber werden die Karten bei »Business AI« neu gemischt. Hier müssen auch wir Österreicher uns nicht vor anderen Ländern – sei es USA, China oder Deutschland – verstecken. Rund 160 Unternehmen in der heimischen Wirtschaft fokussieren tiefgehend auf Machine Learning und künstliche Intelligenz. AVL zum Beispiel beschäftigt sich mit dem Thema autonome Fahrzeuge und ist ein AI-Leader in Österreich. AI wird dort auf der gesamten Wertschöpfungskette eingesetzt – beispielsweise bei Simulationen. Man hat das bereits vor zehn Jahren als strategisch wichtiges Thema betrachtet.

Ein Unternehmen muss nicht führend in der IT sein, um mit IT-Werkzeugen einen Marktvorsprung zu erzielen. Nehmen Sie Magna, das heute Weltmarktführer bei Fahrzeug-Simulationen ist. Das sind die Business-Applikationen, die ich meine. Auf Applikationsebene muss das Rad nicht immer neu erfunden werden – was auch eine sehr lebendige Open-Source-Szene mit frei verfügbaren Datenmaterial zeigt.

Report: Was sind gängige Beispiele für »Business AI«?

Wasner: Im CRM-Bereich etwa bietet Salesforce Einstein – um nur eine Lösung stellvertretend zu nennen – die maschinell verbesserte, automatische Identifikation von Vertriebschanchen. Dies funktioniert besonders auch dann, wenn ein bestehender Kontakt auf eine neue Position in einer anderen Firma wechselt. Auch Nachrichtenkanäle werden hier einbezogen. Ein Anbieter von Gebäudetechnik etwa wird sich für Unternehmen interessieren, die einen Ausbau oder den Bau eines neuen Standortes ankündigen. Salesforce Einstein benachrichtigt mich dazu automatisch, wenn für bestimmte Industriebereiche relevante Nachrichten gefunden werden.

Ein anderes Beispiel betrifft Dokumentenerkennung. Das österreichische Unternehmen Bluematix hat sich auf das automatische Klassifizieren von Eingangsrechnungen spezialisiert. Natürlich müssen die Lösungen auch für den eigenen Bedarf angelernt werden. Die geografische Nähe erleichtert dies, da die Systeme bereits mit ähnlichen Datensätzen trainiert worden sind – Rechnungen folgen in unserem Kulturkreis gewissen Standards.

Bin ich bei einem Machine-Learning-Projekt dagegen mit meinem Anwendungsfall und in meinem Bereich tatsächlich der Erste, wird der Aufwand erheblich größer. Hier sollte der erzielbare Nutzen – seien es Kosteneinsparungen oder Wettbewerbsvorsprung – vorab genau geprüft werden.


Fotos (Sela Krobath): https://bit.ly/2VQ67bn

Video (Bernhard Schojer): https://youtu.be/4zry5z1WVac


Hintergrund: KI-Strategie für Europa, Begriffe

Ein koordinierter Aktionsplan für künstliche Intelligenz soll Europa zur führenden Region bei der Entwicklung und dem Einsatz von KI-Lösungen machen. Themen sind die Finanzierung für die Gründung von Unternehmen, die Stärkung der Forschung in vertrauenswürdige KI-Technologien sowie die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Datenraums, da KI-Technologien große Mengen hochwertiger Daten benötigen. Vor diesem Hintergrund sieht die Kommission KI-Anwendungen im Gesundheitswesen als besonders vielversprechend. So soll eine Bilddatenbank zu den häufigsten Formen von Krebs aufgebaut werden, um Diagnose und Behandlung zu verbessern. Ebenso werden Ethik-Richtlinien für die Anwendung von KI ausgearbeitet.
Die EU-Mitgliedstaaten arbeiten ihre nationalen KI-Strategien bis Mitte 2019 aus, in denen die Investitionen und Umsetzungsmaßnahmen beschrieben werden. Die österreichische Strategie »Artificial Intelligence Mission Austria 2030« wird nun in den nächsten Monaten unter der Federführung des BMVIT in Abstimmung mit dem BMDW und weiteren Ministerien ausformuliert.
www.bmvit.gv.at

Künstliche Intelligenz. Im Gegensatz zu starren Algorithmen bildet Software, die trainierbar und lernfähig ist, die Basis für Systeme künstlicher Intelligenz. KI muss man eigentlich wie ein Kind behandeln, das Lernphasen durchläuft. Zum Bau einer KI sind nicht nur Softwareentwickler, sondern auch Datenanalysten und Spezialisten aus beruflichen oder wissenschaftlichen Fachbereichen gefordert. Dass eine Maschine allerdings wie ein Kind einmal eine Frage stellt, auf die sie nicht programmiert ist, wird noch länger nicht möglich sein und ist derzeit eher ein Thema für Science-Fiction.

Deep Learning. Beim klassischen Machine Learning werden die Algorithmen eines Systems mit eindeutigen Parametern gefüttert, Entscheidungen werden mit einfachen Wenn-dann-Abläufen herbeigeführt. Deep Learning dagegen setzt auf einen offeneren Lernvorgang: Um ein Objekt auf einem Foto zu identifizieren, wird das System so lange mit ähnlichen Bildern trainiert, bis es selbstständig das Objekt auch in ungelernten Settings erkennt.

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