Mittwoch, Dezember 04, 2024
Nachbericht Podiumsdiskussion „Missing Link: Speicher“
Fotos: Sela Krobath

In der Event­location »Dach« in Wien diskutierten am 6. November ExpertInnen aus der Energiewirtschaft und Regulierung zu den Herausforderungen und Chancen, die Speicherlösungen in den Stromnetzen bieten.

     

Mission 2030 – die integrierte Klima- und Energiestrategie ist beschlossen. Wie kann nun das Ziel einer klimafreundlichen Stromversorgung erreicht werden? Welches Marktdesign ist für die Umsetzung in Österreich notwendig und welche Rolle werden Speicher spielen? Der Report Verlag und das Forum Versorgungssicherheit konnten bei dem Publikumsgespräch zur Zukunft der Netze rund 100 Gäste begrüßen.

Zum Auftrakt hielt Christian Redl, Agora Energiewende, einen Impulsvortrag zu Marktmechanismen und Energieerzeugungsstrukturen in Europa.

Christian Redl, Senior Associate European Energy Cooperation bei Agora Energiewende

Wenn wir die energiepolitischen Ziele für das Jahr 2030 in Österreich und auch die Ziele für das europäische Stromsystem betrachten, muss der Anteil der Erneuerbaren kontinuierlich weiter wachsen. Brüssel zielt auf einen Strommix von 55 % erneuerbare Energie bis 2030. Aktuell stehen wir hier bei 30 %, Deutschland bei 36 %. Österreich ist aufgrund der Wasserkraft hier weit darüber. Dieser Zubau in den nächsten Jahren in der EU wird nun zum Großteil mit Photovoltaik und Windkraft passieren. Gleichzeitig wird der Anteil der Kohlekraft sinken müssen. Wenn man die Ziele ernst nimmt, bedeutet das die Abschaltung von rund der Hälfte der Kohlekraftwerke europaweit.

Die volatile Einspeisung durch die Erneuerbaren braucht auf der anderen Seite ein flexibles System an Kraftwerken, Speichern und auch Verbrauchsmöglichkeiten, das diese Fluktuationen spiegelt. Zentral wichtig dazu ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die weitere Integration der Stromsysteme in Europa. Die lokale Ausregelung des Ertrags aus einer Windkraftanlage ist eine große Herausforderung. Über eine Region, über ein ganzes Land oder mehrere Länder gesehen, glätten sich die Spitzen – da die Windverhältnisse in benachbarten Regionen üblicherweise stark dekorrelieren. Damit sind dann auch weniger Flexibilitätsmaßnahmen für die Netze nötig. Allerdings sind heute große nationale Preiszonen wie Deutschland von eher kleineren Zonen umgeben. Das macht es schwierig, die physische Realität auch bei Marktkoppelungsmechanismen abzubilden. Die Frage der Preiszonenkopplung und Nutzung der Interkonnektoren steht auch bei der unter österreichischem Vorsitz aktuell laufenden Verhandlung eines neuen Marktmodells der EU.


Brigitte Ederer, Vorstandsvorsitzende Forum Versorgungssicherheit

Der Umbau des Energiesystems zu mehr Flexibilität bedeutet für die Netzbetreiber schlagartig auch eine Riesenherausforderung für die Versorgungssicherheit. Auch der wachsende Datenverkehr in den Netzen wird neue Geschäftsmodelle bringen. Das zentrale Thema ist die Gewährleistung der Versorgung für Haushalte, Gewerbe und Industrie. Bei allen diesen Herausforderungen müssen wir uns fragen, ob nicht auch die Netzbetreiber kurzfristige Speicherlösungen vorsehen dürfen. Dabei geht es nicht um eine offene Marktteilnahme oder Konkurrenz zu anderen Playern, sondern um das Abfedern von Volatilitäten und den Erhalt der Qualität der Netze. Das würde insgesamt auch die Energieeffizienz fördern und es kann helfen, das Ausmaß des Netzausbaus – der bei der Energiewende anfällt – zu reduzieren.

Report: Warum würden Sie den Betrieb von netzdienlichen Speichern nicht komplett dem freien Markt überlassen?

Ederer: Ich bin der Meinung, dass der Markt viel kann – aber nicht alles. Persönlich glaube ich, dass die Frage der Stromversorgung nicht alleine einem Modell des freien Markts unterworfen werden kann. Es braucht hier auch Sicherheit, die jemand zu Verfügung stellen muss, auch wenn es sich unternehmerisch eigentlich nicht rechnet.

Report: Viele Menschen wünschen sich bei einer Eigenversorgung eine absolute Unabhängigkeit vom Netzbetreiber.

Ederer: Ich verstehe diesen Wunsch aber es wäre schon ein Unsinn, wenn man stattdessen in lokalen Communities eigene Netze bauen müsste. Das ist weder ökonomisch noch rational sinnvoll. In dieser Sehnsucht nach Autonomie müsste irgendwie das Rad noch einmal erfunden werden. Nutzen wir doch die Strukturen, die wir haben. Ich bin überzeugt, dass die Netzbetreiber heute einen völlig anderen Zugang zu ihren Kundinnen und Kunden haben, als das vor zwanzig Jahren der Fall war.

Wenn wir schon von Abhängigkeiten sprechen, dann wünsche ich mir auch eine starke europäische Position in der Herstellung von Speichern. Wenn die Lithium-Ionen-Batterie der große Durchbruch in der Energiewende ist, dann geraten wir nach der Abhängigkeit von erdölexportierenden Ländern in die Abhängigkeit vom großen Herstellerland China. Also braucht es in der EU eine viel größere Diskussion über unterschiedliche Speichertechnologien.


Johannes Zimmerberger, Geschäftsführer Linz Netz GmbH

Die Energiesysteme sehen einer Mischung aus Zentralisierung und Dezentralisierung entgegen. Dieser Umbau geht bis hin zu Ladepunkten für die Elektromobilität, die wir als Verteilernetzbetreiber dezentral anschließen werden. Natürlich findet auch ein europäischer Ausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch statt und wir brauchen das Übertragungsnetz, um etwa auch günstigen Strom aus Deutschland importieren können.

Die Verteilernetzbetreiber sind für die regionale Systemstabilität verantwortlich und wir sehen uns hier in einer neutralen, aktiven Rolle, dies zu ermöglichen. Wir sind  als Netzbetreiber durch die Regulierung natürlich verpflichtet, unsere Aufgaben möglichst kostengünstig zu erfüllen. Wenn es günstiger ist, ein Kabel zu legen oder einen Trafo zu erneuern, werden wir das tun. Es wird aber sicherlich Situationen geben, in denen wir uns nicht auf Speicherdienstleistungen anderer verlassen können.

Report: Welche Erfahrungen sammeln Sie im Speicherbereich?

Zimmberger: Aktuell haben wir in der Ortschaft Windhaag in der Nähe von Freistadt ein Speicherprojekt, in das auch die Stromerzeugung mit großen Photovoltaik-Anlagen eingebunden ist. Wir werden testen, wie ein lokaler Batteriespeicher gemeinsam mit der PV funktionieren muss, um Last- und Spannungsspitzen im Netz zu glätten. Mit den dort bereits installierten Smart Metern sehen wir, ob und wie das funktioniert.Die Kapazität von 150 kWh ist auf die Leistung der Wechselrichter vor Ort abgestimmt.

Report: Sollen die Verteilernetzbetreiber dieses Thema selbst vorantreiben?

Zimmberger: Ich glaube nicht, dass viele Unternehmen ein großes Interesse an der Installation eines Speichers in Windhaag haben, der nach geltenden Marktmechanismen betrieben werden muss. Wir testen dies deshalb nun als Netzbetreiber und wollen diese Erfahrungen auch gerne mit anderen teilen. Klar ist, dass es noch technische und marktbezogene Regeln braucht, um einen vernünftigen Umgang aller Teilnehmer miteinander zu bewirken.


Wolfgang Urbantschitsch, Vorstand E-Control

Aus Regulierungssicht haben wir unterschiedliche Herausforderungen, unser Energiesystem für die Zielvorgaben der Regierung und auch die Ziele der EU umzubauen. Netzbetreiber sollen weiterhin Anreize bekommen, in die Netze zu investieren. Was die Leistbarkeit betrifft, brauchen wir natürlich faire Preise für die Kundinnen und Kunden. Leistung soll aber auch kosten dürfen: Wer punktuell mehr Leistung aus dem Stromnetz zieht, soll auch ein Stück weit mehr bezahlen als jene mit einem gleichmäßigeren Verbrauch. In diese Richtung wird die künftige Netztarifierung gehen. Sie wird auch sogenannte Local Energy Communities berücksichtigen, in denen Strom auch dem Nachbarn verkauft werden darf.

Report: Sind Speicherlösungen bereits wirtschaftlich?

Urbantschitsch: Derzeit rechnen sie sich nur mit Förderungen. Wir stehen jedoch vor rasanten Entwicklungen von Speicherpreisen und generell der Flexibilisierung des Energiesystems. Für die Wirtschaftlichkeit wird es dann interessant, wenn in einem Anreizsystem bei einer Eigenversorgung mit etwa einer Photovoltaikanlage auch geringere Netztarife bezahlt werden. Es gibt bereits viele Unternehmen, die ihr Lastverhalten optimieren und so ihre Strom- und Netzrechnung verbessern.

Report: Wer soll künftig netzdienliche Speicher betreiben dürfen?

Urbantschitsch: Wichtig ist uns, dass die Netzbetreiber in ihrer Rolle als natürliche Monopolisten nicht in diesen Wettbewerbsbereich geraten. Dabei geht es nicht nur um den Strommarkt, sondern auch um den Markt der Errichtung und des Betriebs von Speicherinfrastruktur. Die Netzbetreiber sind Enabler für unterschiedlichste Maßnahmen – Speicher sind eines von mehreren Flexibilitätsinstrumenten. Wichtig ist hier aber auch Technologieneutralität, wie es von den europäischen Regulatoren allgemein gesehen wird. Der Vorschlag der EU-Kommission zum Clean Energy Package sieht jedenfalls ein stufenweises Vorgehen vor: Erstens haben die Netzbetreiber kostengünstige und nachhaltige Alternativen zu einem Infrastrukturausbau zu prüfen, also marktseitige Flexibilität nachzufragen. Es könnte beispielsweise ein Betreiber mit seinem Speicher nicht nur eine Dienstleistung für Netzbetreiber erbringen, sondern auch Kunden, die eine PV-Anlage betreiben, quasi als Lagerhaus zur Verfügung stehen. Nur wenn der Netzbetreiber am Markt kein Angebot erhält, dann soll der Netzbetreiber unter entsprechenden regulatorischen Auflagen ausschließlich für seine Zwecke den Speicher selbst errichten und betreiben können. Zudem könnten auch Prosumer mit eigener Erzeugung durch etwa einen Tarifanreiz für ein netzdienliches Verhalten belohnt werden.


Franz-Josef Feilmeier, Geschäftsführer Fenecon

In Deutschland sind mittlerweile über hunderttausend Speicher auf Haushaltsebene im System, die im Prinzip eigennützig den Eigenverbrauch optimieren – was ja ihre Aufgabe ist. Die Kunden wollen möglichst nahe an eine autarke Selbstversorgung herankommen. Aus Netzsicht  gelten diese Speicher als verloren, da sie oft dann Strom aus dem Netz ziehen, wenn dies nicht unbedingt am günstigsten für eine Versorgungsregion ist. Ich sehe deshalb ebenfalls Anreize notwendig, um die Flexibilität da draußen mehrfach nützen zu können.

Report: Was hat Fenecon dazu in Wien bereits umgesetzt?

Feilmeier: Gemeinsam mit den Wiener Netzen haben wir in der Seestadt Aspern sechs Batteriespeicher mit jeweils 100 kW Leistung und 120 kWh Kapazität errichtet. Sie sind als Netzspeicher am Niederspannungsnetz angeschlossen und agieren immer nach demselben Prinzip: Sie messen lokal die Stromqualität – Spannung, Blindleistungsanteil –, versuchen, die Lastspitzen bei der Einspeisung und Bezugsspitzen zu glätten und können speziell auch Phasen-Unregelmäßigkeiten bei einer Schieflast korrigieren. Zudem ist das Management der Speicher in den Leitstand des Netzbetriebs gelegt. So gebündelt können sie auch übergeordnete Netzfunktionen wahrnehmen.

Report: Welche Preisentwicklung ist bei Batteriespeichern in den nächsten Jahren zu erwarten?

Feilmeier: Je länger ich in dieser Branche tätig bin, desto schwerer fallen mir Prognosen. Seit ungefähr einem Jahr haben wir stabile Preise für die Batteriekapazitäten – wobei die Kapazitäten im Verhältnis zum Preis sogar noch steigen. Eine gewisse Kostendegression war zuletzt bei der Leistungselektronik, also im Wechselrichter zu beobachten. Großartige Tendenzen weiter nach unten sehen wir kurzfristig aber nicht.

Derzeit dominieren chinesische Modul­anbieter klar den Markt, die Fabriken sogar auch in Deutschland bauen. Der Heimmarkt China hat dabei wohl den größten Bedarf, bei auch mehr als 100 Anbietern von Elektroautos. Engpässe in Europa sehe ich im Moment aber nicht.

 

Video: https://www.youtube.com/watch?v=NTQW6H0VfjQ&t= 

Fotos: https://www.flickr.com/photos/award2008/sets/72157703196289274/ 

 

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