Der Hochbau ist dem Tiefbau in Sachen Digitalisierung um einiges voraus, denn er ist strukturierter und kleinteiliger, was mehr Daten und Einsatzmöglichkeiten für Digitalisierung bietet. Die Digitalisierung keimt aber auch im Tiefbau, vor allem in der Vermessung.
»Im Tiefbau besteht noch viel Luft nach oben«, betont Jens Hoffmann, Head of Digitalization and Innovation bei der Strabag. Derzeit sei die Verfügbarkeit von Planungsmodellen in der Angebotsbearbeitung, ob privat oder öffentlich, abgesehen von wenigen Piloten nicht gegeben. »Bauherren verlangen Baudokumentationen weiterhin in Papierform oder PDFs als Quasi-Papier. Wir haben kaum Bauherren, die uns in der Angebotsphase verwertbare 3D-Modell aus ihrer Planung heraus anbieten.« Aus Sicht der Asfinag scheitert Digitalisierung im Tiefbau häufig an der komplexen Neugestaltung von Prozessen, denn analoge Abläufe müssten nicht nur digital abgebildet, sondern auch grundlegend überdacht werden, um das volle Potenzial moderner Tools wie BIM oder digitaler Baumanagementsysteme auszuschöpfen. Mitarbeitende betrachten die Einführung digitaler Technologien zudem oft als Bedrohung für ihre bisherigen Arbeitsweisen, ergänzt Helmut Katherl, Geschäftsführer von Katherl Software. »Man muss Fahrer überzeugen, dass man sie nicht überwachen will.«
Digitale Schritte
Flächendeckende Digitalisierung im Tiefbau ist noch ein Wunschdenken. Fast schon Usus ist sie dagegen in der Gerätetechnik und Vermessung, sowohl bei kleineren als auch bei großen Bauunternehmen. »Drohnen und Laserscan sind keine Seltenheit im Baugeschehen, entweder zur Urgeländeaufnahme oder zur Dokumentation von Bauzuständen«, informiert Hoffmann, verweist aber auf Innovationslücken zwischen den aufgenommenen Punktwolken und den daraus prozessierten Informationen. Künstliche Intelligenz könne hier der Game Changer sein. Auch Lean hat die Arbeitswelt des Tiefbaus erreicht, etwa im Rahmen des getakteten Einbaus von Asphalt im Straßenbau. Der Hochbau stehe hier weiterhin Pate, dortige Lean-Anwendungsfälle in den Tiefbau zu übertragen. Die Habau Gruppe blickt bereits auf etliche erfolgreiche Lean-Projekte zurück. Einen »Digi-Schub« erkennt Martin Stopfer, Leiter Bauherrenmanagement an der FH Campus Wien und Geschäftsführer der Lean Baumanagement, in der Logistik. »Mit digitalen Logistiksystemen können Fuhren besser dokumentiert, geplant und monitort werden. Bei LKW lassen sich Leerfahrten und unnötige Stehzeiten vermeiden.« Die Asfinag verweist auf die digitale Vermessung. In einem forschungsnahen Praxistest wurden fünf Aufnahmemethoden – Fotodrohne, Vermessungsdrohne, terrestrischer 3D-Laserscanner, Airborne Laserscanner und Backpack Laserscanner – gegenübergestellt und die Ergebnisse hinsichtlich Leistung, Aufwand und Genauigkeit verglichen. Ergebnis: Bereits einfache, am Consumer-Markt erhältliche Vermessungsdrohnensysteme reichen aus, um eine Realitätserfassung auf der Baustelle zu ermöglichen, die die meisten Anwendungsfälle, wie Soll/Ist-Vergleiche und CAD-Modellierungen, zufriedenstellend abdecken.
Digital als Ziel
Heterogene Grundlagen wie fehlende Inhaltsstandards und unterschiedliche Formen der Baudokumentation bilden erhebliche Hemmnisse für die Digitalisierung. Würden laut Jens Hoffmann Standards geschaffen und Softwareapplikationen offene Datenschnittstellen aufweisen, stünden ihr auch im Tiefbau aus rein technischer Sicht alle Türen offen. Aktuell kommen digitale Systeme meist aus Gründen der eigenen Mehrwerte im Zuge der Planung und Bauausführung zum Einsatz. »Es geht darum, Abläufe und Prozesse zu vereinfachen, Kosten zu reduzieren. Auf unseren Baustellen nutzen wir mehr und mehr Daten, um Geräte zu steuern und Daten zur Kontrolle und Dokumentation von Arbeitsergebnissen zu erhalten«, berichtet Jens Hoffmann. Sensorik werde bereits seit Jahren etwa in der Verformungsmessung von Ingenieurbauwerken eingesetzt, neuerdings auch in der Gütemessung von Asphalt oder Beton. Zukünftig werden die Synthese und Analyse dieser Daten mit Planungs- und insbesondere Bauprozess- und Gerätedaten ein entscheidendes Wachstumsfeld sein. GIS bietet bereits heute eine wirksame Technologie. Mit Generative Design ist der Einsatz von AI im Gewerk der Planung bereits angekommen. Hubert Wetschnig, CEO der Habau Gruppe, verweist auf interessante Ansätze, um verstärkt relevante Abläufe und Bewegungen von Bau- und Transportgeräten zu beleuchten. Verknüpft werden GPS-Daten, Verbrauchs- und Bewegungsdaten und in Teilbereichen auch Sensoren. »Mit digitalen Tools lernen wir, den täglichen Ablauf auf der Tiefbaubaustelle zu tracken und begreifbarer zu machen. Hier stehen wir aber definitiv noch am Beginn, Forschungskooperationen laufen.« Es gebe viele Insellösungen bzw. Fachanwendungen, die erst einen kleinen Teilprozess der Baustelle digitalisieren. Es fehle die durchgängige Nutzung dieser Daten im Gesamtprozess. BIM läuft für Hubert Wetschnig zumeist immer noch unter dem Deckmantel Pilotprojekte. »Es wird erst gewinnbringend eingesetzt, wenn alle Stakeholder und Projektbeteiligten an einem Strang ziehen und quasi die gleiche Sprache sprechen.« In Teilbereichen wie der Angebotsbearbeitung setzt Habau BIM bereits effizient ein. Voraussetzung sei, dass umfangreiche und aussagekräftige digitale Daten vorliegen, was vielfach nicht der Fall ist. Ein deutliches Ja zu BIM gibt es von der Asfinag: Die zweite Etappe der Linzer Autobahn A 26 (Baustart 2026) ist das erste Tiefbau-Großprojekt Österreichs, das vollständig in BIM geplant wird.n