Technologien für Virtual Reality und Augmented Reality werden die Maschinen- und Betriebsführung ebenso wie andere Bereiche in der Wirtschaft gehörig aufmischen. Was Unternehmen und Nutzer davon haben, diskutierten Anwender, Dienstleister und Technologieunternehmen bei dem Podiumsgespräch "Vermischte Welten: Virtual Reality fürs Business" des Report Verlags.
Zuerst war das Bild, dann kam der Film, schließlich IT-Anwendungen und nun Virtual Reality, formulierte es ein Diskutant am 20. September in der Wien Energie-Welt Spittelau. Wartungsarbeiten, Konstruktion, Entwicklung und Service: Verschiedenste Bereiche in unserer Wirtschaft und Gesellschaft ändern sich auf Basis von neuen Visualisierungslösungen. Gastgeber Michael Strebl, Wien Energie, die Podiumspartner Thomas Bogner, Rocketbike, Gerd Hesina von VRVis, Bernhard Sandriester von BEKO sowie Phillip Fumolo, ViewAR, begrüßten mit Report-Moderator Martin Szelgrad rund 100 Gäste zu einem kurzweiligen informativen Gespräch zum Status quo von VR und AR in der Geschäftswelt.
Report: Virtuelle Realität und Wien Energie – wie passt dies zusammen? Welche Chancen im Kundenzugang und -service sehen Sie mit den neuen Lösungen?
Michael Strebl, Wien Energie: Für uns passt dies sehr gut zusammen. Wien Energie geht als innovatives Technologieunternehmen einen neuen Weg und forciert technische Anwendungen zum Nutzen für seine Kunden und auch für interne Prozesse und Abläufe. Energieversorgung ist ein komplexes Thema. Gerade mit Virtual Reality entstehen Möglichkeiten, Sachverhalte und Situationen besser zu erläutern und etwa auch Energiesparmöglichkeiten aufzeigen zu können. Bereits heute können Sie sich eine App für einen virtuellen Rundgang durch die Müllverbrennungsanlage Spittelau herunterladen. Darin bekommen Sie auch Bereiche zu sehen, die bei Führungen vor Ort aus Sicherheitsgründen in der Regel verschlossen bleiben.
Im Kundenkontakt setzten wir ebenfalls auf effiziente Prozesse und einen modernen Service. Dank eines neuen Service-Chatbots können Kundenanfragen nun auch virtuell an »BotTina« gerichtet werden. Sie beantwortet aktuell 3.500 Fragen zu Themen wie Umzug, Tarife, Energieanmeldung und E-Rechnung. Das geht auch rund um die Uhr: Wenn Sie um ein Uhr Früh Lust und Laune haben, mit der Wien Energie zu kommunizieren – das geht jetzt. BotTina lernt laufend dazu und kann Anfragen immer besser beantworten.
Report: Haben Sie bereits konkrete Erfahrungen mit Virtual Reality oder Augmented Reality im Einsatz bei internen Prozessen gemacht?
Strebl: Unsere Tochter FacilityComfort nutzt die AR-Brille Hololens, mit der auch Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten unterstützt werden können. Ich habe es selbst ausprobiert: Es ist umwerfend.
Bild: Michael Strebl ist Vorsitzender der Wien Energie-Geschäftsführung.
Report: Wie sieht dazu ein typischer Einsatz konkret aus?
Strebl: Bei Arbeiten in einem Kraftwerk ist es natürlich wichtig, sich darin gut orientieren zu können und auszukennen. Über diese Brille werden die Wege zu einem gesuchten Anlagenteil wie beispielsweise einem Kessel angezeigt, Schalter und Stellräder werden im Live-Bild markiert und es können Kollegen und Spezialisten zugeschaltet werden. Bei dieser Augmented-Reality-Anwendung sitzen die Experten im Büro – eines Maschinenbauers oder bei einer anderen Abteilung von Wien Energie – und sehen dasselbe Bild auf ihrem Computer wie der Kollege vor Ort. Sie können dann einfach Anweisungen geben, auch mithilfe von grafischen Hilfsmitteln, etwa Pfeilen. Und dann erfolgt damit auch die Dokumentation, die in der Instandhaltung natürlich wichtig ist, automatisch. Gerade durch die Möglichkeit, geografisch weiter entfernte Fachkräfte ohne Anreise und Wartezeiten hinzuziehen zu können, sind diese Lösungen sehr praktisch.
Wir sehen bei all diesen neuen Möglichkeiten das wichtige Zusammenspiel zwischen externen Lösungspartnern und unseren internen Fachkräften. Wien Energie arbeitet gerade im Innovationsbereich mit Start-ups fruchtbar zusammen. Damit werden auch andere Sichtweisen und ein gewisses Maß an Querdenken gefördert.
Report: Rocketbike ist ein Dienstleister, die diese Lösungen erschafft und produziert. Was bieten Sie dazu?
Thomas Bogner, Rocketbike ARVR: Wir entwickeln mit booomVR ein Produkt, um zwei grundsätzliche Probleme, die mit VR derzeit noch in Verbindung gebracht werden, zu lösen. Die Nutzung von VR ist erstens technologieabhängig: Zu jeder Headset-Hardware gibt es den entsprechenden Store, wo der Content als App vorliegt. Wegen der Abhängigkeit von den Stores ist es schwierig, VR-Inhalte von außerhalb der Stores konsumieren zu können. Zweitens ist VR immersiv, man kann innerhalb der VR-Welt nicht außerhalb von ihr agieren. Um Content-Quellen zu wechseln, muss man die immersive Welt verlassen, das Headset abnehmen, eine neue App suchen, starten und dann wieder das Headset aufsetzen.
booomVR ist ein VR-Webbrowser und zugleich eine »Content Aggregation Plattform«. Ermöglicht wird das einfache Surfen, Organisieren, Teilen und Veröffentlichen von 2D- und 3D-Inhalten, von 360°-Videos und -Fotos. Unser Webbrowser wird als offene Plattform für alle diese Inhalte fungieren können, mit der auch firmeneigene Kanäle erstellt und bespielt werden. booomVR steht kurz vor der Release (Anm. Video zu booomVR: https://www.youtube.com/watch?v=DUhbcp8g3HA)
Report: Unternehmen aus welchen Branchen könnten damit eigene VR-Inhalte kreieren und bereitstellen?
Bogner: Prinzipiell sprechen wir jedes Unternehmen an, das VR-Content oder eine eigene VR-Umgebung veröffentlichen möchte, ohne dafür eine eigene App bauen zu müssen. Derzeit betreuen wir einen Spieleentwickler, der booomVR nützt, um seine Spiele in VR interaktiv zu präsentieren und zu promoten. Da geht es unter anderem um das Bewegen von 3D-Objekten in wählbaren 3D-Umgebungen, die aus dem VR-Spiel selbst stammen. Generell zielen wir also auf Entertainment als Marktsegment.
Bild: Thomas Bogner ist Geschäftsführer von Rocketbike ARVR.
Report: Ist das auch die Zukunft des Webdesigns, Informationen in VR-Umgebungen darzustellen?
Bogner: Ja, durchaus – wenn man es schafft, geeignete Navigationslösungen innerhalb von VR zu finden. Hier gibt es ja schon unterschiedliche Ansätze, um mit den Händen oder Touch-Controllern auf verschieden dargestellten Marker zu klicken, hinter denen sich Links verbergen.
Report: Wie groß ist dieser Markt eigentlich bereits in Österreich oder Europa?
Bogner: Rocketbike agiert mit einem Partner in Deutschland und Finanziers aus Asien hier eher international. Wir beobachten, dass quasi alle drei Tage irgendwo etwas Neues entsteht. Dieser Markt ist unglaublich dynamisch und vielfältig geworden – auch in Österreich. Gerade Wien ist als Standort für Start-ups und Innovationen gar nicht so schlecht unterwegs – auch im direkten Vergleich mit Berlin und anderen Hotspots.
Report: Welche Aktivitäten verbindet das VRVis mit AR/VR? Welche Unternehmen brauchen Lösungen dazu?
Gerd Hesina, VRVis: Wir sind als Forschungsunternehmen seit dem Jahr 2000 tätig und haben bereits viel Erfahrung mit Virtual und Augmented Reality sammeln können. Die Anwendungsmöglichkeiten in der Wirtschaft sind vielfältig. Es ist ein typisches Querschnittsthema. Das fängt in Betrieben an, in denen mit einem Headset Produktionsprozesse überwacht werden und die Lösung die Qualitätskontrolle unterstützt – freihändig, einfach ausgelöst, indem ich das Objekt anschaue. Das benötigt natürlich entsprechende Entwicklungsarbeit und auch Voraussetzungen speziell an die Hardware der Endgeräte, die erfüllt werden müssen.
Bild: Gerd Hesina ist Geschäftsführer des VRVis Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung.
Report: Springen denn Unternehmen bereits genügend auf die Möglichkeiten von VR und AR auf? Ist das bereits Ernst oder doch noch Spielerei?
Hesina: Als Spielerei sehe ich das überhaupt nicht – nicht einmal mehr bei Anwendungen aus dem Spielesektor. Wir haben schon mit sehr vielen Einsatzbereichen in Unternehmen zu tun: etwa Bedienungsanleitungen in einer VR-Umgebung, Maschinen- und Prozesssteuerungen, Sicherungsmaßnahmen und Schulungen. Um Vorgänge in einer Maschinenführung zu lernen, kann ein »Head Mounted Display« mit programmierten Einblendungen realitätsnah durch Prozesse führen. Aufgabe eins ist dann vielleicht, einen Hebel in eine bestimmte Position zu bewegen oder zwei Knöpfe zu drücken – um die einfachsten Beispiele zu nennen.
Report: Wie kann eine Visualisierungslösung bei Geschäftsprozessen besser helfen? Welches Beispiel haben Sie dazu?
Hesina: Der Einsatz von Virtual Reality bedeutet nicht zwingend, ein Headset aufsetzen zu müssen. Wir haben auch VR-Lösungen, um einen digitalen Zwilling einer Maschine oder einer Umgebung zu erstellen. Zum Beispiel wird dies eingesetzt, um Tunneloberflächen mittels Laser-Scanning und Fotografie über Milliarden Punkte genauestens zu vermessen und zu erfassen. In der Inspektion eines Tunnels wird besonders auf Risse geachtet, die in der Tunnelhülle entstehen können. Musste früher dazu ein Tunnelabschnitt für den Verkehr gesperrt werden, wird dies heute im Ingenieursbüro am Bildschirm gemacht. Und der früher oft mühsame Vergleich alter mit neuen Aufnahmen fällt mit unterstützenden Computersystemen großteils weg. Diese erkennen bereits automatisch Veränderungen und selektieren Bilder dem menschlichen Bearbeiter – der immer die Entscheidung trifft – vor.
Report: BEKO ist ein Pionier im Bereich der Computervisualisierung in Österreich. Womit beschäftigen Sie sich in Ihrem Geschäftsfeld?
Bernhard Sandriester, BEKO: Unser Gründer Peter Kotauczek hatte schon in den 1980er-Jahren begonnen, Computervisualisierung in seinem Forschungsstudio, dem Institut für Humaninformatik, zu testen. Seit ungefähr zehn Jahren bieten wir aus unserem Engineeringbereich heraus auch Visualisierungsdienstleistungen an, dies ist entlang der Konstruktion von Maschinen und Konsumgütern entstanden. Damals waren die Anforderungen, CAD-Daten für Marketingzwecke aufzubereiten, also zu verschönern. Aus dem Bild wurde dann ein Video, aus dem Video wurde ein Service oder eine interaktive Anwendung. Gepaart mit unserer IT wird daraus nun eine Virtual- oder Augmented-Reality-Anwendung.
Report: Welche VR/AR-Projekte wurden für Kunden bereits umgesetzt?
Sandriester: Kunden im Bereich Maschinen- und Anlagenbau und auch Industrieunternehmen – die Kunden der Anlagenbauer – wollen ihre Maschinenparks bestmöglich darstellen. Eine Maschine, in einer leeren Werkshalle positioniert, ist wie ein Einrichtungsgegenstand in einer Wohnung. Man möchte nicht nur, dass sie funktioniert, sondern etwa im Vollausbau auch mit den Gabelstablern überall vorbeikommen. Mit den Lösungen können Anlagen besser geplant und Konzepte anschaulich und begreifbar gemacht werden.
Bild: Bernhard Sandriester ist Art Director Visualisierung bei BEKO.
In der Baubranche, Architektur und der öffentlichen Verwaltung sehen wir einen ähnlichen Bedarf. Wie man durch eine U-Bahn-Station der Wiener Linien geht, wie sich Patienten in einem Krankenhaus zurechtfinden, in welchem Amtszimmer ein Pass-Antrag gestellt werden kann – das sind typische Anwendungen. BEKO hat hier einen sehr guten Zugang zur Industrie, wir verstehen das Geschäft unserer Kunden. Letztlich geht es immer um Gesamtlösungen – beginnend bei der Konstruktion einer Maschine, Planung, Elektrotechnik, Digitalisierung aller Teile, Softwareprogrammierung, Anbindung an SAP und auch Marketing-Tools bis hin zur Montage- und Betriebsanleitung, die man mittels VR und AR umsetzen kann.
Report: Wenn Sie ein wenig in die Zukunft blicken: Wo werden die Anwendungen von morgen zu finden sein?
Sandriester: Es sind klar drei Bereiche, in die es gehen wird. Anwendungen im Bereich Marketing sind oft schon gut gelöst, aber viele davon sind noch in einem frühen Stadium einer Darstellung und Vernetzung. Im zweiten Bereich Service, der Inbetriebnahme und Wartung, werden künftig mit VR und AR hohe Kosten eingespart werden können. Serviceteams werden nicht mehr um die ganze Welt reisen müssen – sie können trotzdem vor Ort in eine reale Umgebung zugeschaltet werden. Dadurch werden nicht nur Reisekosten, sondern auch Fehler vermieden. Im Engineering erwarte ich wiederum neue Designmöglichkeiten etwa in der Automobilindustrie, wo mit »CAVE Virtual Environment«-Lösungen das Cockpit eines Autos ergonomisch optimal geplant werden kann – das geht bis zum Bau von Maschinen, Anlagen und Infrastruktur.
Report: Herr Fumolo, können Sie bestätigen, dass diese Technologien keine Spielerei mehr sind? Welche Möglichkeiten eröffnen sich für Unternehmen?
Phillip Fumolo, ViewAR: Auf jeden Fall. Wir sind seit gut fünf Jahren am Markt und haben Lösungen für die unterschiedlichsten Bereiche entwickelt. Eines unserer Kernsegmente ist Retail und E-Commerce, beginnend bei der klassischen Darstellung eines Interio-Sofas bis zu Anzeige einer Gesamtanlage von Viessmann. Ein weiteres ist Baugewerbe und Immobilien mit einem Wohnungskonfigurator für Implenia, der Plandaten automatisch in eine 3D-Darstellung hochzieht. Die Kunden können in der Darstellung der Wohnung Änderungen machen, die automatisiert in den Plan zurückgespielt werden.
Bild: Phillip Fumolo ist CEO bei ViewAR.
Gemeinsam mit Wien Energie und Wien IT haben wir ein Projekt umgesetzt, um im Wartungsbereich bei der Orientierung in Anlagen zu unterstützen – inklusive Objekterkennung und dem Einsparen von Papier durch die VR-Integration von Anleitungen und Dokumentationen. Bei diesen Lösungen kommen auch Systeme mit künstlicher Intelligenz zum Einsatz, die lernen, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort häufig nachgefragt werden, um diese künftig automatisch vorzuschlagen.
Report: Die Microsoft Hololens wurde bereits erwähnt – hat dieses Gerät besondere Vorteile?
Fumolo: Wir haben unsere VR-Lösung für alle gängigen Devices entwickelt, aber die Hololens sticht heraus, da sie die erste autonome Datenbrille mit voller Rekonstruktionsfähigkeit ist. Das heißt: Alle Daten sind im Speicher der Brille – ein vollwertiger Windows-10-Computer – abgelegt. Mit der Tiefenbildkamera kann eine Umgebung in 3D gescannt werden und sie wird zu einem anderen Zeitpunkt auch wiedererkannt, inklusive aller eingebetteten Objekte. Wenn ich in einem Raum ein Hologramm platziere und in drei Wochen wiederkomme, finde ich es an der gleichen Stelle vor.
Report: Abgesehen von den unterschiedlich kostspieligen VR-Lösungen und auch Datenbrillen – kann ein Unternehmen mit dem Einsatz Geld sparen?
Fumolo: Das ist immer vom Einsatzbereich und den jeweiligen Schmerzpunkten abhängig. Wenn Sie die möglichen Kosten eines längeren Kraftwerksausfalls mit einer Servicelösung gegenrechnen, mit der ein Problemfall effizienter und besser behoben werden kann – und ein Techniker eines Herstellers nicht extra anreisen muss, sondern auch die lokale Mannschaft anleiten kann –, dann lässt sich schon gut ein Return-on-Investment herausrechnen und die Vorteile sind überwiegend. Nach und nach werden aber auch die großen Hersteller wie Apple und Google mit Lösungen für den Massenmarkt hervortreten.
Realität per Definition: Die wichtigsten Begriffe
Virtual Reality
In der virtuellen Realität wird dem Gehirn eine Welt vorgetäuscht, die real und wirklich erscheint, es aber nicht ist. Mithilfe einer VR-Brille tauchen NutzerInnen gefühlt tief in Videos, Spiele und andere Anwendungen ein – ähnlich wie vor einem Fernsehgerät, das aber in jeder Blickrichtung Bilder aus unterschiedlichen Perspektiven liefert.
Augmented Reality
Wenn bei einer Fußballübertragung über die schwierige Entfernung des Freistoßes gesprochen wird und gleichzeitig die Linien am Spielfeld eingeblendet werden, dann waren das die ersten Gehversuche von Augmented Reality. Heute kann man mit einer App durch Salzburg spazieren und diese liefert die wichtigsten Infos zum Schloss Leopoldskron oder zu den wunderschönen Gebäuden am Mönchsberg. Die reale Welt wird sozusagen mit einer digitalen, virtuellen vermischt.
360-Grad-Bilder und Videos
Um 360-Grad-Fotos und -Videos anzusehen, braucht man nicht unbedingt eine VR-Brille. Auf Youtube gibt es bereits viele Videos, die mit modernen Internet-Browsern betrachtet werden können. Ein bekanntes Beispiel ist eine 360-Grad-Fahrt auf der berühmten Streif in Kitzbühel.
Quellen: Report, drei.at