Sonntag, Dezember 22, 2024
»Herausforderung, das Geschäft von morgen zu verstehen«

T-Mobile-Geschäftsführer Andreas Bierwirth spricht über Fehler der Mobilfunkbranche in den vergangenen Jahren und eine nun neue Chance für Umsatzwachstum.

Report: Herr Bierwirth, wie haben Sie Ihr Handy vor 20 Jahren genutzt?

Andreas Bierwirth: Vor 20 Jahren war ich als Doktorats-Assistent damit befasst, aus meinem kleinen Zimmer meinen Kollegen SMS zu schreiben. Es war die Zeit, als diese Textnachrichtenform vor ihrem Höhepunkt stand und man seine Kommunikation ausschließlich über die klassischen Provider abwickelte. WhatsApp und andere OTT-Services (Anm. »Over-The-Top«) gab es ja noch nicht. Doch die Gesellschaft begann sich bereits in Richtung »always on« und »always connected« zu entwickeln. Im Vergleich zu heute war Kommunikation jedenfalls gefühlt langsamer und beschaulicher. Heute passierte Kommunikation ja permanent, sie bindet pausenlos unsere Aufmerksamkeit.

Report: Mobilfunk ist allgegenwärtig geworden. Vor welchen Herausforderungen steht T-Mobile heute in Österreich?

Bierwirth:  Die Herausforderungen sind vielfältigster Art. Wenn ich das mit der Luftfahrt-Branche vergleiche, in der ich zuvor tätig war: Ein Hersteller dort entwickelt alle 30 Jahre ein neues Flugzeug. Die Mobilfunkindustrie vollzieht dagegen alle sieben bis neun Jahre den Sprung auf eine nächste Technologiegeneration. Und mit jedem dieser Sprünge werden die Spielregeln des Marktes neu geschrieben.

Man kann das an der Entwicklung des Endgerätemarkts gut sehen: Die Anteile der marktdominierenden Unternehmen sind bei 3G von Siemens zu Nokia, bei 4G dann zu Samsung und dem iPhone gewechselt. Und wir haben mit jeder Gerätegeneration Features erhalten, die wir uns bislang nicht vorstellen konnten.

Nun steht mit 5G eine nächste Netztechnik vor der Türe, mit der Erlösmodelle getrieben  werden und neue Business-Cases entstehen. Die Zyklen der Verbesserung passieren im Mobilfunk sehr schnell. Prognosen sind deshalb generell schwierig. Die Herausforderung ist, sein eigenes Geschäft von morgen überhaupt zu verstehen. Wir müssen jedenfalls die Investitionen bei den Spektrumkäufen, wo die Branche Geld für Jahrzehnte in die Hand nimmt, so gestalten, dass wir trotzdem unseren Innovationsgrad halten können. Doch auch Festnetz erlebt eine Renaissance. Der Mobilfunk braucht Glasfaser, was sich bei uns derzeit auch mit dem angekündigten Kauf von UPC zeigt (Anm.: Genehmigung wird im Sommer erwartet). Offen bleibt trotzdem, ob der weiter steigende Bandbreitenbedarf in ferner Zukunft stets über Festnetz geleitetet werden wird – oder ob dies bei 6G  und später anders gehandhabt wird.

Report: Wird man in Zukunft überhaupt zwischen mobilen und leitungsgebunden Anwendungen unterscheiden?

Bierwirth:  Diese Entwicklung haben wir heute schon. Auch eine Anwendung im Festnetz zuhause ist heute bereits mobil. Die letzten Meter zum Smartphone und Notebook werden in der Regel über WLAN abgewickelt. Dass Sie ein Netzkabel in Ihren Computer stecken, wird immer seltener. Die Frage ist für mich deshalb nicht mehr, Mobilnetz oder Festnetz, sondern wie nahe eine Festnetzinfrastruktur an die User rücken kann. Ist es das Haus, das angeschlossen ist, die Straße, oder – im ländlichen Bereich – der Ort? In Gegenden mit verteilten Siedlungsstrukturen mit wenigen Häusern kann 5G wahrscheinlich Bandbreiten bieten, die glasfaserähnliche Geschwindigkeiten haben. Ist es eine Seestadt wie Aspern in Wien, in der irgendwann 100.000 Menschen leben können, wird das wahrscheinlich bis in die Wohnung gehen.

Dieses Verständnis, wie künftige Netze gebaut werden sollten, verändert sich mit jedem neuen Innovationszyklus.

Report: Und gleichzeitig müssen die Anbieter mit stagnierenden oder sogar sinkenden Umsätzen kämpfen.

Bierwirth:  Mobilfunk ist vielen Ländern aus Marketingsicht eine sehr simple Tätigkeit gewesen. Die Anbieter hatten die Preise wechselseitig so unterschritten, dass einmal der eine, dann wieder der andere einen kurzen Moment lang Preisführer war. In den Preisverfall pro Minute, pro SMS oder pro Gigabit sind ja alle geschlittert. Das ist zur Falle dieser neuen Wachstumsindustrie geworden.

Wir haben heute einen gesättigten Markt erreicht, jeder hat mindestens ein Smartphone. Trotzdem melden unsere Kunden weiter steigenden Bedarf an. Die Datenmengen, die wir über unsere Netze transportieren, wachsen jährlich um 80 bis 100 %. Das heißt: Möchte ich die Kundenzufriedenheit halten oder ausbauen, bin ich in einer permanenten Investitionsverpflichtung. Gleichzeitig haben wir als Industrie das Pech, aufgrund von regulatorischen Schritten immer wieder Umsatzeinbrüche zu verzeichnen – Stichwort Roaming. Daher braucht es eine Umsatzsteigerung bei den Kernkunden. Diese Kunst gelingt in vielen Märkte in Europa heute nicht. Die Mechanik der Marketers ist ja vielerorts gleichgeblieben: Man fährt weiter Aktion um Aktion und hält so die Preisspirale nach unten aufrecht.

Wir stehen vor der Herausforderung, unsere Mehrleistung, die wir von Jahr zu Jahr auch steigern, in adäquaten Umsätzen abzubilden. Ich spreche da nicht von 10 %, sondern vielleicht 2 bis 3 % Wachstum, um die Margen wenigstens inflationsneutral zu halten. Dazu müssen noch in ganz Europa die richtigen Modelle gefunden werden.

Report: Wie hoch waren die Wechselraten im Markt in den vergangenen Jahren?

Bierwirth:  Zwischen 5 und 10 % der Kunden haben jährlich gewechselt. Es ist eher eine bestimmte Kundengruppe, die häufig den Anbieter – je nach aktuellem Aktionsprogramm – wechselt. Es ist ein Waschmaschineneffekt. Für mich bedeutet das auch, besonders auf unsere Bestandskunden zu setzen, um mit ihnen in eine engere Bindung zu kommen – was uns, denke ich, gut gelingt. Das Halten der Bestandskunden ist auch deshalb so wichtig, da die verfügbare Kundenzahl für die drei Mobilnetzbetreiber insgesamt kleiner wird. Nach dem letzten Merger von Drei und Orange wurde Hutchison aus wettbewerbsrechtlichen Gründen verpflichtet, ein Vorleistungsprodukt anzubieten. Das hat natürlich zu einer starken Belebung des virtuellen Netzbetreibermarkts geführt. Wir beobachten zum Teil sehr starke Vertriebskanäle, wie zum Beispiel bei Hofer. Dass wir nun Mitbewerber haben, die nicht in den Netzaufbau inves­tieren müssen aber trotzdem sehr niedrige Endkundenpreise anbieten können – das macht den Teilnehmerkreis für den Rest enger.

Report: Ist das Internet of Things ein Wachstumsthema?

Bierwirth:  Jeder Euro, den man hier umsetzen kann, bedeutet natürlich Wachstum. T-Mobile Austria ist innerhalb der Deutschen Telekom eine von zwei Landesorganisationen, die das IoT-Geschäft auch für andere Länder international mitgestalten. Beispielsweise ist jeder BMW in Europa mit einer SIM-Karte von uns ausgestattet. Diese Deals machen bereits ein Geschäftsfeld von mehreren Millionen Euro aus. Allerdings sind die Margen wesentlich kleiner und wir geben uns keiner Illusion hin: Auch diese Preise werden stark erodieren.

Das IoT-Geschäft ähnelt dem Thema Telefonie vor 30 Jahren. Jedes Gerät wird in irgendeiner Form in den nächsten Jahren digitalisiert werden. Die Umsatzströme und Geschäftsmodelle sind aber noch maximal unklar. Wer werden unsere Kunden sein? Sind es die Gerätehersteller? Die Sensorenhersteller? Dieses Ökosystem ist derzeit unübersichtlich.

Wenn ich fünf Jahre in die Zukunft blicke, wird IoT wohl für starkes Wachstum sorgen. Ich glaub daran. Und ich hoffe für die gesamte Branche, dass nicht frühere Fehler wiederholt werden.

Zur Info: Mit einem Plus von 29 % konnte ­T-Mobile Austria im ersten Quartal 2018 einen Rekord von 6,07 Millionen Anschlüssen zählen, davon knapp zwei Millionen für Machine-to-Machine-Kommunikation (M2M). Die Österreicher stellen das M2M-Kompetenzzentrum für die Konzernmutter ­Deutsche Telekom.

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