Sonntag, Dezember 22, 2024
Auf dem Weg zur Koexistenz von Mensch und Maschine

IKT-Markt in Österreich: ein ganz persönlicher Rückblick und eine Vorschau von Peter Lenz, Managing Director von T-Systems Austria, der seit 20 Jahren in der IKT-Branche tätig ist.

Vor genau 20 Jahren waren alle in der IKT-Branche elektrisiert vor einem Ereignis, das uns am 1. 1. 2000 betreffen sollte: die Jahrtausendwende oder aber auch der »Millenium Bug«. Um dieses Thema entstand ein richtiger Hype. Es stand die Befürchtung im Raum, dass bestimmte Generationen von Computerchips das neue Datum nicht verarbeiten könnten und die Datumsfunktion zurückstellen würden. Die Folgen wurden als unberechenbar, bedrohlich und von Freaks als nahezu menschheitsvernichtend angesehen. Niemand wollte in die Verlegenheit kommen, dass in seinem Unternehmen Maschinen oder Prozesse stillstehen würden. Ich selbst saß als europäischer Programmleiter, verantwortlich für alle »Y2K«-Aktivitäten in 62 Produktionswerken, zum Jahreswechsel 1999/2000 in der Europazentrale eines großen Automobilzulieferers und starrte gebannt auf die Berichterstattung aus aller Welt – und es passierte: nichts! Gleichzeitig half vielen Unternehmen die neu gekaufte Technik, wesentlich effizienter und profitabler zu werden. Ein Beispiel hierfür waren die rund um die Jahrtausendwende angeschafften durchgängigen Enterprise-Ressource-Planning-Systeme. Das Know-how zu vertretbaren Kosten, beispielsweise ein SAP-ERP-System, auch in kleineren Unternehmen effizient mit Blueprints und Sandbox-Ansätzen einzuführen, entwickelte sich rasch. Viele Firmen schwenkten in den Nullerjahren auf die sich quasi zum Industriestandard etablierenden SAP-Systeme.

Aus EDV und Organisation wird IT

In den Nullerjahren wurden viele EDV- und Organisation-Abteilungen zur IT- oder ICT-Abteilung und konzentrierten sich fortan auf die immer breiter werdenden Aufgaben der Informationstechnologie. Meiner Meinung nach keine gute Entwicklung, da damit die Rolle im Unternehmenskontext schmäler gemacht wurde. Erst durch die Digitalisierungswelle und die Chief Digital Officers, die CDOs, wurde diese Rolle wieder breiter. Zu heißen Themen wurden vernetzte Produktionsanlagen, Fernwartung, Produkt-Lifecycle Management genauso wie die Engineering-Modelle »follow the sun«. Dabei wurden Ingenieurteams ermächtigt, rund um den Globus an ein und demselben Produkt quasi 24 Stunden am Tag zu arbeiten. Im Office-Umfeld waren die sogenannte Early Adopters mit Blackberrys erstmalig »always on«. Gleichzeitig versuchte Nokia mit dem »Communicator« die Ein-Device-Strategie in die Führungsetagen zu bringen, ein ganz schön schwerer »Knochen«, aber cool.

IT kostet erstmals richtig viel Geld

IT wurde nicht zuletzt durch die massiven Investitionen immer mehr zu Kostenfaktor beziehungsweise auch im Zuge der Weltwirtschaftskrise als Kostentreiber gesehen. Ab Mitte der Nullerjahre folgten umfangreiche Einsparungs- und Benchmark-Aktivitäten. Speziell zu dieser Zeit fanden auch umfangreiche Outsourcing-Aktivitäten statt. Probleme »outzusourcen« anstatt sie zu lösen, war en vogue. Sukzessive wurde vieles davon rückgängig gemacht. Das sogenannte Selective Sourcing und Multivendor Management etablierten sich erfolgreich als Standards.

Und dann kam die Cloud – anfänglich allerdings, zumindest in Österreich und auch in Deutschland, mit massiven Akzeptanzproblemen. Um der Cloud ein wenig den Schrecken zu nehmen, schlossen sich in Österreich einige Unternehmen zur Initiative »Trust in Cloud« zusammen, die die vernünftige Nutzung von Cloud-Systemen propagierte. Heute gehört die Nutzung von dynamischen IT-Infrastrukturen und Rechnerverbünden, mit nahezu nicht enden wollenden Kapazitäten, für viele zu einem Standard-Bezugsmodell von Rechenleistung.

Digitalisierung wird zum Schlagwort

Der Begriff der Digitalisierung wurde in den letzten Jahren vor allem in Managementmagazinen zu einem viel zitierten Schlagwort. In den IT-Abteilungen wurde die Diskussion wohl eher belächelt, denn was sonst als »Digitalisierung« hatten wir in den letzten 20 Jahren gemacht? Aber da die Welle schon da war, musste man sie auch reiten. Positive Aufmerksamkeit gab es, weg von den früheren Kosteneinsparungsprogrammen, hin zu »Business Enabling« und Reisen ins Silicon Valley, um sich dort von Start-ups und neuen Formen des agilen Arbeitens inspirieren zu lassen. DevOps – also die die enge Integration von Software-Entwicklung, Test und den Betriebsbereichen – war eine weitere Folge des beschleunigten Arbeitens. Der Weg führte weg vom trägen Wasserfallmodell und monatelanger Erstellung von Lasten- und Pflichtenheften hin zur agilen Software-Entwicklung und dem täglichen Software-Deployment.

Und jetzt kommt 5G und Narrowband IoT

Das Datenvolumen steigt nach wie vor exponentiell. Die Hauptproblematik besteht darin, die Datenmengen vom Entstehungsort in die Big-Data-Farmen zu bringen, um sie dort zu verarbeiten. Edge-Computing, die Datenverarbeitung dort, wo die Daten entstehen und dann (lediglich) die Übertragung von konsolidierten und bereinigten Datensätzen in die Rechenzentren löst aktuell das Problem der Übertragungsraten. Der neue Mobilfunk-Standard 5G wird sicherlich in Zukunft der Gamechanger, was diese Problematik angeht. Gleichzeitig beginnt sich Narrowband IoT zu etablieren, mit der ähnlichen Zielsetzung und weiteren Vorteilen wie dem geringen Stromverbrauch.

Meines Erachtens werden wir immer mehr vernetzte Anwendungen und selbstlernende Algorithmen sehen, die dem Begriff künstliche Intelligenz näher kommen. Wo das Processing dazu stattfindet, wird sekundär –  dies wird in industriell hochstandardisierten und massiv skalierbaren Rechenzentren einiger weniger großer Anbieter der Fall sein.

Koexistenz von Mensch und ­Maschine

Aktuell ist der Mensch nach wie vor der umfassende Generalist, Systeme sind immer noch sehr stark der Spezialist. Wenn diese Systeme vom Menschen richtig angelernt werden, sind diese Spezialisten durch ihre hohe Verarbeitungsleis­tung bereits heute dem Menschen weit überlegen. Assistenzsysteme werden immer stärker selbst Verantwortung und Aufgaben übernehmen, wenn wir es schaffen, die zum Teil über 50 Jahre alten Gesetze und Vorschriften an die technischen Gegebenheiten von heute und morgen zu adaptieren. Die ethische Zulässigkeit von Datenmodellen und -verarbeitung wird weiterhin eine wesentliche Diskussion sein, die geführt werden muss, wobei ich hierbei durchaus Generationenkonflikte feststelle. Den Millenials fällt hierzu manches leichter beziehungsweise orte ich eine gewisse Wurschtigkeit. Grundsätzlich sehe ich die Entwicklung der Zukunft der IT sehr positiv. Das Feld wird immer breiter, die Anwendungsfälle immer umfangreicher, die Möglichkeiten nahezu unüberschaubar. Letztlich wird immer der Mensch, der Nutzer, entscheiden, welche Technologien für ihn sinnvoll sind und welche er zulässt.

Wie man sieht, leben wir in spannenden Zeiten und haben eine noch spannendere Zukunft vor uns. Ich darf deshalb dem Report Verlag und seinem ausgezeichneten Team ganz herzlich zum zwanzigjährigen Jubiläum gratulieren und hoffe, dass wir noch viele gemeinsame Jahre mit spannenden und gut recherchierten Geschichten über Wirtschaft, Technik, Innovation und Trends genießen dürfen.

Zur Person: Mit 1. Jänner 2018 hat Peter Lenz, 48, den Vorsitz der Geschäftsführung von T-Systems in Österreich übernommen. Der Manager arbeitete zuvor in leitenden Funktionen bei Magna Europe, Magna Powertrain und der OMV AG. Von 2011 bis 2016 war Lenz bei den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) als Konzern-CIO tätig.

Zur Firma: Mit Standorten in über 20 Ländern, rund 38.000 MitarbeiterInnen und einem externen Umsatz von 6,9 Milliarden Euro ist T-Systems einer der weltweit führenden Digitaldienstleister mit Hauptsitz in Europa. In Österreich beschäftigt T-Systems rund 600 MitarbeiterInnen und ist an sechs Standorten präsent: Wien, Graz, Linz, Gmünd, Innsbruck und Premstätten.

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