Konflikte können in Unternehmen erhebliche Kosten verursachen. Trotzdem werden Streitfälle oft unter den Teppich gekehrt oder mit Kündigungen beendet. Eine konstruktive Konfliktkultur wirkt präventiv – vom positiven Betriebsklima profitieren alle Mitarbeiter.
Spitze Bemerkungen, destruktives Verhalten oder eisiges Schweigen: Wie in allen zwischenmenschlichen Beziehungen äußern sich auch Konflikte in Unternehmen höchst unterschiedlich. Nicht immer fliegen die sprichwörtlichen Fetzen. Vielmehr beginnt der Streit meist unterschwellig und eskaliert erst nach und nach. Um schwelende Konfliktherde wahrzunehmen, braucht es eine institutionalisierte Konfliktkultur – die freilich in den wenigsten Unternehmen verankert ist. »Es gibt in Österreich keine Streitkultur, sondern eine Verleugnungskultur«, sagt Stella-Maria Hiesmayr, Geschäftsführerin des Instituts MindShift. »Das Ignorieren macht aber alles noch schlimmer.«
Wenn keiner mehr grüßt und in Besprechungen eine feindselige Stimmung herrscht, ist bereits Feuer am Dach. Man muss nicht mit allen Kollegen befreundet sein, ein gutes Auskommen ist aber für eine gesunde Arbeitsatmosphäre unerlässlich. Überall, wo Menschen zusammenarbeiten, treffen unterschiedliche Meinungen, Strategien und Handlungsweisen aufeinander. In gewissem Maß wirken diese Gegensätze auch befruchtend auf die Arbeit: »Ein Team, das keine Konflikte hat, ist ein totes Team«, sieht Konflikttrainerin Hiesmayr auch in heftigeren Diskussionen grundsätzlich etwas Positives. Den Unterschied macht aber der generelle Umgang mit Konflikten in einem Unternehmen. »Selten ist das Problem ein einzelner Störenfried, sondern eine Führungsschwäche«, so Hiesmayr.
>> Tabuthema <<
Viele Führungskräfte scheuen die Konfrontation und entledigen sich des Problems durch Kündigung der Streithähne oder spielen auf Zeit, bis die Kontrahenten selbst entnervt das Handtuch werfen. Diese Tabuisierung rührt von einem falschen Verständnis der eigenen Führungsrolle. »Das Thema Konflikt ist Führungskräften unangenehm, da sie Konflikte als eigenes Versagen auslegen«, erklärt Expertin Ulrike Gamm, die im Auftrag des Wirtschaftsministeriums gemeinsam mit Mario Patera eine Studie zur Konfliktkultur in österreichischen Familienunternehmen verfasste. »Schmutzwäsche waschen wir daheim« war eine übliche Grundhaltung, mit der sich die Forscher konfrontiert sahen. Während einige Unternehmen die Studie als Gelegenheit zur Reflexion laufender oder abgeschlossener Konflikte in Anspruch nahmen, widerriefen andere Betriebe ihre Bereitschaft – offensichtlich irritiert durch die Beschäftigung mit den eigenen Wahrnehmungsmustern.
»Konfliktkultur heißt auch: Ich darf Fehler machen«, bestätigt Hiesmayr. In einer Leistungsgesellschaft ist dafür jedoch kaum Platz. Der wirtschaftliche Erfolgsdruck liefert stattdessen ausreichend Potenzial für Konflikte, Wertschätzung und Transparenz bleiben oftmals auf der Strecke. Stress und Angst setzen biochemische Prozesse im Körper in Gang, die der Neurobiologe Gerald Hüther als »sich aufschaukelndes Erregungsmuster zwischen Cortex und limbischem System« beschreibt. Die verstärkte Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol führt zu einer ganzen Reihe von »Verschaltungen« im neuronalen Netzwerk. Die Vernunft koppelt sich in diesem Moment ab. Der Mensch reagiert auf die drohende Gefahr instinktiv mit einem archaischen Notfallprogramm – Flucht, Kampf oder Totstellen. In der Evolutionsgeschichte mögen alle drei Modelle das Überleben gesichert haben, in sozialen Beziehungen sind sie wenig hilfreich.
>> Kalt und heiß <<
Nicht immer beruhen Konflikte auf persönlicher Antipathie, häufig begünstigt aber schon die Unternehmensstruktur offene und versteckte Feindseligkeiten. Unklare Kompetenzverteilungen können beispielsweise zu Unstimmigkeiten bei Entscheidungswegen führen. Ist es in einem Betrieb nicht üblich, dass Probleme offen angesprochen und diskutiert werden, mündet eine kleine Meinungsverschiedenheit in einen handfesten Konflikt.
Grundsätzlich unterscheidet man im Konfliktmanagement zwischen »kalt« und »heiß« eskalierten Konflikten – je nachdem, ob die Kontrahenten den Kontakt meiden oder den offenen Schlagabtausch suchen. Heiß ausgetragene Konflikte bieten eher die Chance einer konstruktiven Lösung, da für die meisten sichtbar gestritten wird. Kalte Konflikte finden dagegen verdeckt statt und führen oft zu destruktiven Aktionen, die aber von anderen weitgehend unbemerkt bleiben. »Typische Branchen, in denen Konflikte häufig kalt eskalieren, sind etwa Dienstleistungsberufe, Behörden, Medien oder der Erziehungsbereich. Dort geht man sich aus dem Weg – und niemand bekommt mit, dass Unterstützung oder eine Entscheidung notwendig wären«, sagt Gamm.
Laut Ökonom und Konfliktforscher Friedrich Glasl setzt sich eine Eskalationsspirale in Gang, die über neun Stufen von der Verhärtung der Fronten bis zur gegenseitigen Vernichtung beider Konfliktparteien führt. Informationen werden vorenthalten oder bewusst falsch weitergegeben. An die Stelle von sachlichen Argumenten treten Drohungen. Jegliche Äußerungen oder Verhaltensweisen werden als Beweise für Bösartigkeit interpretiert, versöhnliche Gesten als Täuschungsversuche gedeutet. Mitunter werden Verbündete gesucht, die diese verzerrte Wahrnehmung bestätigen. Man unterstellt sich gegenseitig Feindseligkeit. Die Hemmschwelle, den anderen bloßzustellen und auszunutzen, sinkt sukzessive. Teamarbeit ist nicht mehr möglich: Jeder will seine Aufgaben allein erledigen, um nicht mehr abhängig zu sein.
>> Wie ein Virus <<
Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist der Konflikt nicht nur ein Problem unter Menschen, zwischen denen »die Chemie nicht stimmt«, sondern betrifft die ganze Firma. Streitfälle unter Mitarbeitern lähmen interne Abläufe, es kommt vermehrt zu Fehlern und die Motivation sinkt. Fehlzeiten und Fluktuation treiben die Kosten zusätzlich in die Höhe. Selten bleibt es beim Zank zweier Kollegen – auch das Umfeld wird hineingezogen.
Mediatorin Ulrike Gamm intervenierte kürzlich in einem heiklen Fall, bei dem ein auf vier Jahre anberaumtes Großprojekt eines Anlagenbauers zu scheitern drohte. Die beiden Teams der Entwicklungsabteilung stammen aus unterschiedlichen Organisationssträngen – das Unternehmen ging aus einer Fusion hervor – und hatten völlig konträre Vorstellungen, wie Prozesse und Strukturen aufzusetzen sind. Unter den drei Projektleitern schwelte bereits ein immenser Konflikt mit wechselseitigen Abwertungen »Kompetenzabwertungen sind gerade in unternehmensinternen Konflikten einer der Hauptmotoren, die eine Eskalation in Gang setzen. Zuerst wertet man die Kompetenz ab, dann wertet man den gesamten Menschen ab«, erklärt Gamm, die sich zunächst die Entwicklungsgeschichte des Teams genauer ansah. »Gleich im ersten Kick-off-Workshop sind die unterschiedlichen Ideen aufeinandergeprallt. Dort wurde nur fachlich geredet, aber nicht überlegt, wie sie eigentlich als Team miteinander arbeiten müssen.« Seither gab es immer wieder strittige Situationen. Der Gesamtprojektleiter beklagte, er werde nicht ausreichend informiert und in die zentralen Entscheidungsprozesse nicht einbezogen, was die anderen vehement dementierten. Erst als im Zuge der Krisenintervention alle Beteiligten bereit waren, sich auf die Interessen der anderen einzulassen, kam es zum Wendepunkt. »Der Gesamtprojektleiter hatte zum Beispiel erklärt, dass für ihn der langfristige Erfolg des Projektes so wichtig war, um Arbeitsplatzsicherheit für die Mitarbeiter zu schaffen. Das war für den Teilprojektleiter ein völlig neues Bild, daran hatte er nie gedacht«, erzählt Gamm vom entscheidenden Durchbruch. »Jetzt gibt es doch noch eine Form von wechselseitigem Verstehen. Das Projekt stand wirklich auf der Kippe.«
>> Verschiedene Welten <<
Wie Gamm setzt auch Hiesmayr in der Präventivarbeit neben mediativen Elementen stark auf die emotionale Komponente. »Mediation ist ein super Tool. Aber das Gehirn braucht Emotionen«, sagt Hiesmayr, die ihre Klienten auf unkonventionelle Weise an neue Verhaltensweisen heranführt. Ihre gemeinsam mit Roman Stadlmair entwickelte Methode »DramaWorks« verbindet Mediation mit Theater. »Wir spielen mit Konflikten«, erklärt die Trainerin. Im geschützten Trainingsbereich schlüpfen die Teilnehmer in die Rollen von Opfern, Tätern und Rettern und können Strategien zur Klärung von Konflikten ausprobieren. Anfängliche Hemmungen, sich vor den anderen unbeholfen in Szene zu setzen, sind in der Regel bald überwunden: »Bisher hat noch jeder gespielt und die Teamkollegen plötzlich ganz anders wahrgenommen.«
Besonders deutlich wird dies in der Übung »Speed Conflicting«, bei der jeder jedem sagen darf, was ihn besonders stört. Hier prallen mitunter Welten aufeinander: Der Morgenmuffel will in der Früh möglichst in Ruhe gelassen werden, während sich die Kollegin beklagt, dass er nicht einmal grüßt. Ein übereifriger Mitarbeiter legt anderen jeden Morgen Unterlagen auf den Tisch, der Kollege fühlt sich durch den Zettelstapel in seinem Ordnungsbedürfnis gestört. Im Grunde Kleinigkeiten – die sich aber zu schwerwiegenden Konflikten auswachsen können, wenn sie nicht rechtzeitig mit Respekt und Wertschätzung angesprochen werden.
Anzeichen für Krisenherde
1. Fehlzeiten und Fluktuation: z.B. Häufung von Krankmeldungen, Versetzungswünschen und Eigenkündigungen
2. Produktivität und Qualität: z.B. Steigen der Fehlerquote, Kundenbeschwerden
3. Leistungsbereitschaft und Arbeitshaltung: z.B. Lustlosigkeit der MitarbeiterInnen oder extreme Widerstände
4. Zusammenarbeit: z.B. rauer Umgangston, die MitarbeiterInnen kontrollieren sich gegenseitig und suchen nach Fehlern bei anderen
5. Sozialverhalten: z.B. schroffe, zynische Reaktionen, Diskussionen werden zunehmend unsachlich geführt
6. Verhalten gegenüber einer bestimmten Person: z.B. eine Person wird in Besprechungen regelmäßig unterbrochen, für Fehler verantwortlich gemacht und mit »undankbaren« Aufgaben überhäuft
7. Verhalten einer bestimmten Person: z.B. eine Person beteiligt sich kaum noch an Gesprächen, ihre Produktivität verschlechtert sich, sie wirkt zunehmend devot und rechtfertigt sich in übertriebenem Maße
FACTS: Pilotprojekt »Konfliktkultur«
An der MedUni Wien initiierte Vizerektorin Karin Gutiérrez-Lobos das Pilotprojekt »Zusammenarbeits- und Konfliktkultur«, um Spannungen frühzeitig zu erkennen und eine offene, wertschätzende Gesprächskultur zu fördern. 2012 startete die Pilotphase in sieben Universitätskliniken bzw. medizinischen Zentren. Eigens in Methoden der Konfliktbearbeitung geschulte MitarbeiterInnen fungieren als »Interne KonfliktberaterInnen« (IKB). Für ihre Ausbildung wurde das Beratungsunternehmen Trialogis zugezogen.
Die Kontaktaufnahme erfolgt bewusst niederschwellig per Intranet. In Einzelgesprächen und moderierten Prozessen in Kleingruppen werden entlastende Handlungsmöglichkeiten entwickelt und die betroffenen MitarbeiterInnen bei der Umsetzung unterstützt. Erst bei hoch eskalierenden Konflikten ist vorgesehen, dass externe MediatorInnen, Betriebsrat oder Personalabteilung eingreifen. Die Evaluierung der Pilotphase zeigte erste Erfolge: Das Angebot wird sehr gut angenommen, auch die Organisationskultur hat sich verbessert. Für 2014 ist geplant, das Projekt stufenweise auf weitere Einheiten auszuweiten.