Dienstag, Dezember 03, 2024
Die Roboter kommen

Lange hieß es, Maschinen würden Menschen die Jobs wegnehmen. In Zeiten des akuten Personalmangels aber könnten Roboter die Lösung sein.

Der Arbeitskräftemangel entwickelt sich zunehmend zur Wachstumsbremse. Wie der aktuelle Deloitte Wirtschaftsradar belegt, sind bereits nahezu alle Branchen betroffen. Der demografische Wandel ist seit Jahrzehnten absehbar. Während der Coronapandemie hat sich der Arbeitsmarkt aber zusätzlich ausgedünnt: Viele Zugewanderte kehrten in ihre Heimatländer zurück und stellten fest, dass die Arbeitsbedingungen dort den Vergleich mit Österreich keinesfalls scheuen müssen.

Vor allem für Produktionsbetriebe wird es immer schwieriger, selbst für einfache Tätigkeiten Personal zu finden. Diese Entwicklung beschleunigt die Automatisierung zusätzlich, auch wenn Maschinen freilich nur einen Teil dieser Arbeitsplätze ersetzen können. Auch kleinere und mittelständische Unternehmen automatisieren bereits ihre Prozesse – nicht um Angestellte und damit Kosten zu sparen, sondern um überhaupt weiter produzieren zu können. Der Markt reagiert bereits darauf: Maschinenhersteller wie etwa die MBO Gruppe fokussieren auf den Ausbau der Robotik-Sparte, seit ihre Cobots vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels besonders für monotone und schwere Arbeiten verstärkt nachgefragt werden.

Eine Studie des WU Department of Economics in Wien identifiziert den demografischen Wandel als entscheidende Triebfeder der Automatisierung. Jeder Rückgang des Bevölkerungswachstums um ein Prozent erhöhe das Wachstum der Roboterdichte um zwei Prozent, wie die Studienautor*innen Klaus Prettner und Ana Lucia Abeliansky errechneten.

Hier beißt sich sinnbildlich die Katze in den Schwanz: Der Arbeitskräftemangel sorgt für höhere Investitionen in die Automatisierung, die wiederum nötig ist, um das fehlende Personal zumindest teilweise zu kompensieren. Länder mit besonders niedrigem Bevölkerungswachstums haben gleichzeitig die höchste Dichte an Industrierobotern pro Arbeitskraft – sie waren früher als andere damit konfrontiert, die demografischen Herausforderungen durch technologischen Fortschritt auszugleichen.  Automatisierung ist jedoch keine Universallösung. In vielen Bereichen sind Menschen unersetzbar. Fallen Maschinen wegen einer Störung aus, liegen ganze Produktionsabläufe lahm. Auch für Wartung und Reparatur braucht es wiederum ausgebildete Fachleute. 

Keine Jobfresser

Lange galten Robotik und Digitalisierung als Gefahr für Arbeitsplätze. Vertreter*innen der Wirtschaft hielten stets dagegen – Maschinen seien keine Jobfresser. Im Gegenteil: Viele Unternehmen konnten ihre Produktivität nur aufrechterhalten oder sogar steigern, weil sie rechtzeitig auf Digitalisierung und Automatisierung gesetzt und dadurch ihre Marktposition behauptet haben. Martin Ruskowski vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern betont: »Durch Automatisierung sind stets zusätzliche Jobs geschaffen worden. Maschinen haben den Menschen nicht ersetzt, sondern unterstützt. Es wurden ganze Industriezweige mit vielen Mitarbeiter*innen und eine enorme Wertschöpfung geschaffen.«

Das Tiroler Textilunternehmen Giesswein stellte das Sortierlager auf eine Autostore-Anlage um. (Bild: Daniel Zangerl)

Das Tiroler Textilunternehmen Giesswein steckte 2020 drei Millionen Euro in die Automatisierung des Sortierlagers, in dem nun nach einem ausgeklügelten Konzept von Hörmann Logistik 31 Roboter auf 17.500 Behälter in neun Ebenen zugreifen. Eine beträchtliche Investition für den Familienbetrieb, die sich jedoch während der Pandemie, als der Onlinehandel plötzlich boomte und Kontaktbeschränkungen die Arbeit erschwerten, bezahlt machte. Das automatische Lagersystem sei »ein Gewinn fürs ganze Team«, erklärt Firmenchef Markus Giesswein: »Die neue Autostore-Anlage macht unsere Kommissionierungsprozesse wesentlich effektiver und erleichtert unseren Mitarbeiter*innen die Arbeit.« Eine weitere Ausbaustufe ist bereits in Gang. 


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Möglicher Wissensverlust

Managing Director Manfred Fahrion, Autania Engineering, sieht mehrere Trends, die in den kommenden Jahren nicht nur die Automatisierung, sondern fast alle Industriezweige prägen werden: »Das ist einerseits die Individualisierung: Es wird kleinere Serien geben und häufigere Produktwechsel bzw. -innovationen. Andererseits betrifft es die Konnektivität: Alles ist vernetzt, jedes Bauteil erhält einen QR-Code und ist bis zum Recycling nachverfolgbar.«

Michael Hofbaur ist Professor an der Universität Klagenfurt und Direktor des Robotik-Instituts der Joanneum Research. Momentan forscht der Robotik-Experte am MIT - Report(+)PLUS hat ihn dort erreicht. Zum Interview: Die Power-Tools der Zukunft


Wie eng Industrie und Robotik bereits verzahnt sind, zeigte sich auf der diesjährigen Hannover Messe. Technologien rund um Industrie 4.0, künstliche Intelligenz und Smart Manufacturing standen heuer im Mittelpunkt. Showcases, etwa von Dassault Systèmes, führten anhand einer Virtual Twin Experience, mögliche Anwendungsgebiete in Montage und Wartung vor: Ein robotergeführtes Kamerasystem vergleicht automatisch den Ist-Zustand eines Produkts mit dem Soll-Zustand. Igus präsentierte neben einem Low-Cost-Automation-Baukasten eine Software, die es Unternehmen ermöglicht, ihre individuelle Robotik-Hardware zu konfigurieren, zu integrieren und zu steuern – so simpel wie in einem Computerspiel. Bluhm Systeme, Spezialist für Etikettierung und industrielle Kennzeichnung punktete mit einem Faserlaser-Beschrifter, integriert in eine Arbeitsstation nicht größer als ein Kühlschrank.

Ein weiteres Thema der Messe: Nachhaltigkeit und klimaneutrale Produktion – also Lösungen, die helfen, Emissionen zu reduzieren, den Energieverbrauch zu optimieren und Ressourcen zu schonen. Unternehmen stehen unter hohem Transformationsdruck, um künftige ökologische und soziale Standards entlang der Wertschöpfungskette erfüllen zu können. Europa wäre in diesen Bereichen gut aufgestellt, würde mit dem Fachkräftemangel nicht auch ein Wissensverlust einhergehen. Schon jetzt sind viele Industriebereiche harter Konkurrenz aus Asien und den USA ausgesetzt. Den Verkauf des Augsburger Roboter-Herstellers KUKA an den chinesischen Konzern Midea kommentierte der Wirtschaftsexperte Daniel Stelter sehr kritisch: »Damit geht auch viel Spezialwissen verloren, was wir langfristig schmerzlich bei den Fachkräften spüren werden.«

(Bilder: iStock, Johanneum Research)

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