Robotik-Experte Michael Hofbaur erwartet »in naher Zukunft« große Fortschritte in der Automatisierung. Report(+)PLUS erreicht den Forscher in den USA, wo er am MIT ein Sabbatical absolviert.
Woran forschen Sie derzeit?
Michael Hofbaur: In meinen Forschungsarbeiten beschäftige ich mich aktuell mit Methoden zur intelligenten und sicheren Steuerung von Robotern. Der Roboter soll risikobewusst agieren, um Aktionen zu wählen, die ihn nicht nur das minimal Zulässige machen lassen, sondern – auf Basis einer Risikoabschätzung genau wie wir Menschen – produktiv arbeiten lassen. Wir haben sehr klare Richtlinien in puncto Sicherheit, die dazu führen, dass der Roboter sehr schnell in eine Sicherheitshaltung geht und Aktionen nicht durchführt, weil er zu nahe an den Menschen kommen würde. Er agiert sicher, aber unter Umständen zu konservativ.
Wir versuchen dieses Dilemma zu entschärfen, ohne jemanden zu gefährden. Das hat viel mit Umgebungswahrnehmung zu tun: Was macht der Mensch, was wird er in naher Zukunft machen? Und mit welcher Unsicherheit betrachtet der Roboter seine Tätigkeit? Daraus ergibt sich das akzeptierte Risiko, das er eingehen kann – und führt zu anderen, noch besseren Applikationen dieser faszinierenden Technologie.
Maschinelles Lernen wird immer besser und übernimmt viele Tätigkeiten in Bereichen, in denen Jobs als recht sicher galten. Welcher Technologieschritt kommt als nächster?
Hofbaur: Wir sehen eine exponentielle Beschleunigung, die selbst uns Forscherinnen und Forscher überrascht. Maschinelles Lernen basiert auf der Erkennung von Mustern und Zusammenhängen und funktioniert bereits sehr gut in den Bereichen Datenanalyse, Bildanalyse und Objekterkennung. Diese Tools können uns daher vielfältig entlasten und unterstützen. In der Automatisierung ist darüber hinaus durch die Analyse von Echtzeitdaten viel möglich, etwa in der Prozessbeobachtung oder Qualitätssicherung. Besonders interessant wird der Einsatz von KI, wenn die maschinell erzeugten Erkenntnisse für Entscheidungen genutzt werden.
Welchen Zeithorizont sehen Sie für solche Anwendungen?
Hofbaur: Ich bin mit derartigen Vorhersagen sehr vorsichtig. Wie man jetzt sieht, kann es unglaublich schnell gehen, dass Lösungen, die zuvor noch fern erschienen, plötzlich möglich sind. Was heute bremst, ist immer noch das Datensammeln. Wenn ich die Daten einer Anlage sammle, bin ich eingeschränkt dadurch, dass die reale Maschine in Realzeit läuft und in den meisten Fällen nur einmal vorhanden ist. Außerdem sind herausfordernde Situationen wie Systemfehler – zum Glück – sehr selten. Mit einem digitalen Zwilling des Systems kann man zwar verschiedene Varianten rechnen, aber man ist dennoch auf eine überschaubare Anzahl beschränkt.
Natürlich stellt sich hier auch die Frage: Wie genau bilde ich das reale System ab und kann ein digitaler Zwilling aussagekräftige Daten für maschinelles Lernen liefern? Hier werden die Modelle aber dank der geschlossenen Tool-Ketten in der Anlagenkonzeption und Realisierung immer besser, sodass digitale Zwillinge genügend Details und Funktionen aufweisen, um sie für Optimierungsverfahren nutzen zu können.
Michael Hofbaur, Universität Klagenfurt und Joanneum Research.
Kann Automatisierung den Arbeitskräftemangel kompensieren?
Hofbaur: In der Robotik bekommen wir sehr oft Aufgaben gestellt, die bis jetzt nicht automatisiert waren – und zwar aus gutem Grund. Das sind zum Beispiel Tätigkeiten, die haptische Wahrnehmung erfordern. Dieses Fingerspitzengefühl hat ein Roboter einfach noch nicht. Auch etwas Weiches zu manipulieren, ist ja für einen Roboter sehr herausfordernd. Ich sehe eher, dass Roboter und Maschinen die zukünftigen »Power-Tools« ähnlich einem Akkuschrauber sind. In der Produktion werden sie das nach wie vor vorhandene Personal bei ihrer Tätigkeit unterstützen. Wir werden weiterhin angelernte Mitarbeiter*innen und Expert*innen brauchen, deshalb sollte der Technologiebereich in der Ausbildung als wirklich erstrebenswert dargestellt werden.
Werden Roboter in absehbarer Zeit nicht auch feinere Tätigkeiten übernehmen können?
Hofbaur: Unsere Hände sind einfach unglaublich. Sie können im Frühling im Garten arbeiten und dann wieder was ganz Filigranes machen. Ein heutiger Roboterfinger wäre in kürzester Zeit beschädigt. Roboter sind zwar die großen Showcases auf Tagungen und in YouTube-Videos, es wird aber auf jeden Fall noch zehn oder 15 Jahre brauchen, um diesen Level zu erreichen. Dass ein Roboter eigenständig etwas einbauen oder ein Teil reparieren kann, davon sind wir noch weit entfernt. Der Mensch wird für Anwendungen, die Flexibilität und Kreativität erfordern, wichtig bleiben. Ein Roboter wird immer für eine spezifische Aufgabe gebaut.
In der Mensch-Roboter-Kollaboration gab es zuletzt große Fortschritte. Wo zeigen sich hier noch Herausforderungen?
Hofbaur: Wir sind jetzt bei einer Arbeitsweise angelangt, die zulässt, dass der Roboter mit Menschen in ungeplanter Weise in Berührung kommt, aber sicherstellt, dass so eine Kontaktsituation gefahrlos verläuft. Bei Joanneum Research haben wir eine akkreditierte Prüfanstalt eingerichtet, in der Roboter-Anwendungen geprüft und messtechnisch validiert werden können. Diese Robotersysteme agieren sicher, aber – wie zuvor erwähnt – oftmals konservativ. Deshalb wird in Zukunft eine andere Betriebsform, die den Abstand zwischen Mensch und Roboter überwacht, an Bedeutung gewinnen.
Die dafür nötige zuverlässige Sensorik ist derzeit noch nicht in der notwendigen Qualität und vor allem Preisklasse vorhanden. Durch die Quernutzung von Technologien und Sensoren, die für autonomes Fahren entwickelt werden, wird sich diese Situation aber ändern und damit neue Roboteranwendungen möglich machen.
Wie gut ist Europa im Vergleich zu Asien oder den USA aufgestellt?
Hofbaur: Im Bereich Robotik brauchen wir uns jedenfalls nicht zu verstecken. Beim Robotic Summit in Boston beispielsweise hatten viele Aussteller einen europäischen Hintergrund. Auch beim europäischen Robotik Forum in Odense in Dänemark hat sich gezeigt, dass Europa ziemlich gut aufgestellt ist. Verglichen mit den USA und Asien, in denen andere Größenordnungen möglich sind, ist Europa durch viele kleine Player eher im Agieren limitiert. Aber letztlich kann man sagen: Sie kochen alle mit Wasser, nur manchmal haben sie größere Töpfe. Die Grundessenz sind gut qualifizierte Leute, daher mein Aufruf zu einer stärkeren technischen Ausbildung auf allen Ebenen: in der Lehre, in Mittelschulen und HTLs, an den Fachhochschulen und an den Universitäten.
Zur Person
Michael Hofbaur ist Professor für modulare Robotik an der Universität Klagenfurt und Direktor des Robotik-Instituts der Joanneum Research und forscht zu den Themen Robotik, künstliche Intelligenz und Robotersicherheit. Derzeit absolviert er einen Forschungsaufenthalt am Massachusetts Institute of Technology (MIT).
(Bilder: Johanneum Research)