Der Green Deal der EU setzt vor allem die energie- und rohstoffintensiven Branchen unter Druck. Die strengen Zielvorgaben machen eine strategische Neuausrichtung notwendig. CO2-Reduktion ist zweifellos eine große Herausforderung, aber nicht unmöglich. Mit innovativen Gesamtlösungen können Unternehmen sogar als Gewinner der ökologischen Transformation hervorgehen.
Energieintensive Branchen wie Stahl, Zement, Glas oder Kunststoffe sind für rund 15 Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich. Um die Erderwärmung zu stoppen, müssen diese Emissionen reduziert bzw. unterbunden werden. Industriebetriebe arbeiten jedoch mit hohen Temperaturen, zudem fällt CO2 häufig als Nebenprodukt chemischer Umwandlungsprozesse an. Kohlenstoff wird also als Energiequelle und Rohstoff gleichermaßen verwendet – das macht die Dekarbonisierung so schwierig.
»Wenn es nicht gelingt, diese Emissionen und ihre Quellen aufzufangen und ihren Ausstoß in die Atmosphäre zu verhindern, müssen alternative chemische Prozesse her, die den gewünschten Output ohne CO2 als Nebenprodukt erzeugen«, sagt Kristian Uppenberg, Leiter der Abteilung Advanced Materials bei der Europäischen Investitionsbank. Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, sei die Dekarbonisierung der Industrie ein wichtiger Schritt: »Das bedeutet: Wir brauchen sehr schnell radikale Veränderungen.«
Einige Technologien, wie z. B. die Verwendung von Wasserstoff oder die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, stecken noch in den Kinderschuhen und sind vor allem deutlich teurer als herkömmliche Verfahren. Um sie für den freien Markt wettbewerbsfähig zu machen, sind noch erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung, etwa in Pilot- und Demonstrationsanlagen, nötig. Auch die Elektrifizierung der Wärmeerzeugung erfüllt nur ihren Zweck, wenn der Strom aus erneuerbaren Energiequellen stammt.
Bild oben: Bernd Spalt, Erste Group: »Ich bin der Überzeugung, dass zukünftiges Wachstum aus nachhaltigen Projekten kommen muss.«
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mahnte in einer Videobotschaft an die europäischen Unternehmen, die Corona-Pandemie nicht als Vorwand zu nehmen und die Klimamaßnahmen schleifen zu lassen: »Jetzt, wo wir planen, Milliarden von Euro zu investieren, um unsere Wirtschaft und Arbeit wieder anzukurbeln, sollten wir nicht in alte umweltschädliche Gewohnheiten verfallen.« Tatsächlich sind für die Dekarbonisierung der Industrie milliardenschwere Investitionen erforderlich – und das in einer Zeit, in der die Situation vieler Unternehmen zumindest angespannt ist.
Wenn nicht aus Umweltgründen, dann schon allein aus wirtschaftlichen Überlegungen müssen Unternehmen den klimafreundlichen Weg einschlagen. KundInnen legen mehr Augenmerk auf »grüne« Produkte, Beschäftigte bevorzugen ArbeitgeberInnen, denen Nachhaltigkeit ein wichtiges Anliegen ist. InvestorInnen wenden sich zunehmend von Unternehmen ab, die an herkömmlichen Technologien und Energieträgern festhalten.
Druck von Investoren
Laut einer Befragung des Bundesverbandes deutscher Banken limitieren bereits 27 Prozent der Finanzinstitute ihre Kreditvergabe in CO2-intensiven Branchen. Institutionelle Investoren verlangen von Unternehmen eine transparente Darstellung von Nachhaltigkeitsrisiken; sie müssen ihre Geschäftsberichte diesbezüglich erweitern.
Auch die Erste Group gab kürzlich bekannt, ihre Finanzierungen für die Sektoren Kraftwerkskohleabbau und Kohleverstromung schrittweise bis 2030 auf null zu reduzieren. »Die Corona-Pandemie ist eine offensichtliche Chance für einen ökologischen Umschwung der gesamten Wirtschaft. Ich bin der Überzeugung, dass zukünftiges Wachstum aus nachhaltigen Projekten kommen muss«, erklärt Bernd Spalt, CEO der Erste Group. Neue Direktfinanzierungen in diesen Bereichen sind ab sofort nicht mehr zulässig, auch Förderungen zur Erweiterung, Modernisierung und Wartung bestehender Anlagen sowie Lieferketten werden ausgeschlossen. Der Handel, die Lagerung und die Verarbeitung von Kohle bzw. Unternehmen, die mehr als 25 Prozent ihrer Einnahmen in diesem Sektor erzielen, kommen für Finanzierungen nicht mehr in Frage. Bestehende Verträge werden bis zum Auslaufen fortgeführt, aber nicht mehr verlängert.
Bild oben: Kristian Uppenberg, Europäische Investitionsbank: »Wir brauchen sehr schnell radikale Veränderungen.«
Das »Global Business Policy Council« der Unternehmensberatung Kearney hat die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels untersucht und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: »Der Bericht belegt, dass aus rein ökonomischen Gesichtspunkten gar keine Alternative zum klimafreundlichen Wirtschaften besteht, denn schon heute sind die Folgekosten des Klimawandels dramatisch hoch«, sagt Robert Kromoser, Kearney-Partner und Leiter des Wiener Büros. »Auch Investoren berücksichtigen mittlerweile die Risiken des Klimawandels.
77 Prozent der Befragten gaben in unseren Umfragen an, Klimaaspekte in ihre Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen.« Studienautor Paul A. Laudicina ortete trotz Pandemie ein anhaltend starkes Wachstum in den Schlüsselbereichen Wind- und Solarenergie und spricht von der Entstehung einer »Katastrophenwirtschaft«: »Sollten die extremen Wetterereignisse anhalten, wird auch die Bedeutung dieser Katastrophenwirtschaft weiter zunehmen, da auch politische Entscheidungsträger über CO2-Preismechanismen nachdenken und der öffentliche und der private Sektor gleichermaßen verstärkt in umweltfreundliche Technologien investieren werden.«
Ungleicher Wettbewerb
Unternehmen in den Grundstoffindustrien Stahl, Chemie und Zement sind vom Green Deal besonders betroffen. Sie stehen vor folgenschweren Entscheidungen: Alle von nun an getätigten Investitionen müssen klimaneutral erfolgen, denn kapitalintensive Produktionsanlagen haben nicht selten eine Nutzungsdauer von 50 bis 70 Jahren. Werden funktionierende Maschinen vorzeitig abgeschaltet, zieht das unweigerlich unternehmerische und volkswirtschaftliche Verluste nach sich.
Gleichzeitig erfordern neue Schlüsseltechnologien und geänderte Wertschöpfungsketten enorme Investitionen, deren Amortisation wie auch mögliche Mehrkosten schwer zu prognostizieren sind. Solange klimaneutrale Produkte mit konventionell, außerhalb der EU, hergestellten konkurrieren müssen, sind sie chancenlos. Regulatorische Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen wären wünschenswert, um Unternehmen die ökologische Transformation zu erleichtern und ungleichen Wettbewerb durch Länder mit niedrigeren Standards zu minimieren. Das Emissionshandelssystem der EU – ein Auktionssystem, über das energieintensive Industrien CO2-Emissionsrechte kaufen – greift zu kurz. Bei nationalen, meist unpopulären Maßnahmen wie der CO2-Bepreisung zeigen sich die Mitgliedsstaaten jedoch recht zögerlich.
Eine von Eco Austria im März 2020 veröffentlichten Analyse der klimapolitischen Maßnahmen von Deutschland, Österreich und der Schweiz zieht ein ernüchterndes Fazit: »Die hier präsentierten Prognosen des Energiebedarfs der drei Länder deuten darauf hin, dass vor allem Deutschland und Österreich mit einer Fortführung der bisherigen Politik das langfristige Ziel einer weitgehenden Dekarbonisierung nicht erreichen dürften, während es in der Schweiz bereits zu einem spürbaren Rückgang des Primärenergieverbrauchs gekommen ist.«
Bild oben: Robert Kromoser, Kearney: »Aus rein ökonomischen Gesichtspunkten besteht keine Alternative zum ökologischen Wirtschaften.«
Tatsächlich zeigt der Vergleich der bisherigen Energiepolitik in diesen Ländern gravierende Unterschiede. Deutschland setzte vorwiegend auf die massive Subventionierung alternativer Stromerzeugungstechnologien. Österreich versuchte, Energieverbrauch und CO2-Ausstoß mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen, insbesondere Ge- und Verboten, aber auch Subventionen, zu senken. Die Schweiz hingegen vertraut bereits seit 2008 auf das marktwirtschaftliche Instrument der CO2-Abgabe – mit messbarem Erfolg.
Vom Wegfall bestimmter Produkte und dem Umbau der Wertschöpfungsketten sind nicht zuletzt auch Beschäftigte im Produktionssektor betroffen – in manchen Sektoren und Regionen stärker als in anderen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) erstellte im Auftrag der Arbeiterkammer eine »Landkarte der Dekarbonisierung« für den produzierenden Bereich, die Gewinner und Verlierer auf dem Weg in eine klimaschonendere Wirtschaft sichtbar macht. Auf Basis eines kleinräumigen Input-Output-Modells zeigt sich am Beispiel des Kfz-Sektors ein Mismatch: Die potenziellen Chancen sind regional anders verteilt als mögliche Verluste.
Dennoch sei »die mit der Dekarbonisierung einhergehende Energiewende und insbesondere der Strukturwandel hin zur E-Mobilität nicht nur ökologisch notwendig, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll«. Das Fazit der WIFO-ForscherInnen fällt eindeutig aus: »Unabhängig davon, ob die Beschäftigungseffekte für die Gesamtwirtschaft in Summe positiv oder negativ sind, besteht eine politische Verantwortung, den regionalen Strukturwandel mit entsprechenden lokalen Initiativen zu unterstützen.«
Vier Klimaszenarien
Obwohl die Dekarbonisierung weltweit Fortschritte macht, ist die genaue Entwicklung schwer abzuschätzen – ebenso wenig die möglichen Kosten des Klimawandels, etwa durch Schäden aufgrund extremer Wetterbedingungen. Laut einer Bloomberg-Analyse könnte das globale BIP im Jahr 2050 mit raschen Maßnahmen gegen den Klimawandel und dem Wiederaufleben der Globalisierung bis zu 185 Billionen US-Dollar betragen, während verzögerte Klimamaßnahmen und nationale Alleingänge die globale Produktion auf 149 Billionen US-Dollar senken würden – ein Wohlstandverlust von bis zu 36 Billionen US-Dollar.
Das Global Business Policy Council skizziert für Europa vier Klimaszenarien, benannt nach Songs von Bob Dylan. Zwei Schlüsselfaktoren sind dabei entscheidend: internationaler Zusammenhalt und Green-Tech-Innovationen.
1 »New morning« Viele Innovationen bei grünen Technologien, gute internationale Zusammenarbeit im Klimabereich: Durch technologische Fortschritte und politische Maßnahmen sinken die Emissionen pro Jahr um 1,9 Prozent und liegen damit weit über der Basisprognose von –0,3 Prozent.
2 »Shelter from the storm« Viele Innovationen bei grünen Technologien, aber geringe internationale Zusammenarbeit im Klimabereich: Die Emissionen steigen im Jahresschnitt um 1,6 Prozent und liegen aufgrund des erhöhten Verbrauchs fossiler Brennstoffe deutlich über dem Basisszenario von –0,3 Prozent.
3 »A hard rain’s a-gonna fall« Wenig Innovationen bei grünen Technologien, geringe internationale Zusammenarbeit im Klimabereich: Die Emissionen steigen im Jahresdurchschnitt um 0,9 Prozent und liegen damit über dem Basiswert von –0,3 Prozent.
4 »The times they are a-changin« Geringe Innovationen bei grünen Technologien, hohe internationale Zusammenarbeit im Klimabereich: Die Emissionen gehen im Jahresdurchschnitt um 2,9 Prozent zurück und übertreffen das Basisszenario von –0,3 Prozent.