Heimische Unternehmen haben die Digitalisierung nicht unbedingt verschlafen, Nachholbedarf gibt es aber durchaus, meint Stefan Bergsmann, Geschäftsführer der Managementberatung Horváth & Partner.
(+) plus: Seit der Krise nimmt die Finanzfunktion in Unternehmen einen höheren Stellenwert ein. Sind CFOs inzwischen die »heimlichen« Chefs?
Stefan Bergsmann: Der CEO ist schon noch der Chef. Der Vorstand leitet gemeinsam das Unternehmen, der CEO gibt die Strategie vor – das ist nach wie vor so. Aber die Rolle des CFO hat deutlich an Bedeutung gewonnen, er ist der Sparringpartner des CEO in allen Bereichen. Das war früher weniger der Fall.
(+) plus: Auch durch Globalisierung und den beschleunigten Wettbewerb sind die Anforderungen gestiegen. Welche Fähigkeiten muss ein guter CFO mitbringen?
Bergsmann: Früher musste der CFO ein guter »Zahlenmensch« und Finanzmarktkenner sein. Das reicht schon lange nicht mehr. Ein CFO muss das Geschäftsmodell und die Wertkette des Unternehmens sehr gut verstehen, denn er muss die Steuerungsinstrumente bereitstellen. Sich nur auf die Finanzen zu konzentrieren, ist heute zu wenig.
(+) plus: Ist ein CFO auch stärker in strategische Entscheidungen eingebunden?
Bergsmann: Definitiv ja. Vielleicht nicht so sehr in der Entwicklung der Strategien, aber ganz massiv im Abwägen der strategischen Optionen – und zwar wie bisher im Sinn der Wirtschaftlichkeit, viel stärker aber noch hinsichtlich der Risikobewertung.
(+) plus: Hat sich mit dem erweiterten Aufgabenbereich auch die Arbeitsweise verändert?
Bergsmann: Der CFO sitzt nicht mehr im stillen Kämmerlein und arbeitet mit Zahlen, sondern ist permanent als Businesspartner im Gespräch mit den einzelnen Geschäftsbereichen. Deshalb sind Skills für Kommunikation, Verhandlungen und Konfliktlösung gefordert, nicht nur das finanzwirtschaftliche Wissen.
Das bekommt durch die Digitalisierung noch einmal neuen Schwung: Der CFO von morgen wird neben den Unternehmensdaten auch mehr externe Daten, zum Beispiel Trenddaten aus öffentlichen Quellen, aus dem Internet oder diversen Plattformen einbeziehen und damit einen stärkeren Fokus auf die Qualität dieser Daten legen müssen. Der CFO wird also auch in das Thema Datenmanagement hineinwachsen und dafür in seinem Team auch Spezialisten brauchen. Er arbeitet künftig nicht nur mit Betriebswirten, sondern auch mit Datenanalys-ten, Mathematikern und Statistikern. Dafür braucht es neben fachlicher Expertise auch mehr klassische Führungsqualitäten.
(+) plus: Welchen Support benötigt das Management vom Controlling?
Bergsmann: Die Fachbereiche benötigen relevante Informationen, wie ihre Geschäfte laufen und wie sie wahrscheinlich laufen werden. Die Mitarbeiter kennen ihren Bereich sehr gut, tun sich aber schwer, aus der Fülle an Kennzahlen die für sie wesentlichen herauszufiltern. Durch neue Technologien ist es künftig möglich, noch mehr Daten und Auswertungen zur Verfügung zu stellen und diese zu verknüpfen. Damit nimmt die Rolle des Controllings als »Guide im Zahlendschungel« sogar noch zu.
(+) plus: Stehen hier noch Kosteneinsparungen im Vordergrund oder wird schon weiter gedacht?
Bergsmann: In der Öl- oder Stahlbranche hat Kostensenkung nach wie vor Priorität Nummer eins. Für andere Branchen bieten gerade die derzeit niedrigen Energiepreise große Vorteile. Eigentlich sind aber Kosten eine Aufgabe, die ein CFO immer im Auge behalten muss. Selbst wenn es grundsätzlich gut läuft, heißt das nicht, dass es in allen Bereichen gut läuft. Unternehmen, die nach wie vor stark an den Kosten arbeiten, müssen ohnehin drastischer eingreifen – in den Investitionsbereich oder ganze Geschäftsmodelle. Mit Kostensenkung allein ist es dann meist nicht getan, hier handelt es sich um komplette Transformationsprozesse: Die Unternehmen müssen sich überlegen, womit sie morgen ihr Geld verdienen.
(+) plus: Warum ist es so wichtig, relevante Kennzahlen in Echtzeit abrufen zu können?
Bergsmann: Normalerweise erhalten Unternehmen erst am fünften oder zehnten Arbeitstag des Folgemonats die Daten für die vergangene Periode. Sie schauen also mit einer Verzögerung von vier bis sechs Wochen in den Rückspiegel. Wenn ich für bestimmte Aspekte täglich in Realtime Daten aus dem System ziehen kann, bin ich natürlich viel näher dran und kann schneller reagieren und gegensteuern.
Das allein hilft mir aber noch nicht weiter, das ist ja nur die technologische Möglichkeit. Hier kommt wieder die Rolle des CFO ins Spiel: Er hilft mit festzulegen, welche Kennzahlen in der Steuerung ein Gewinn sind und was nur ein Gimmick ist, der aber wenig Steuerungsnutzen bringt. Man wird sicher nicht alle Themen in Echtzeit steuern. Das geht schon kapazitiv gar nicht. Dafür braucht es ja qualifizierte Leute, die diese Fülle an Daten auswerten und analysieren. Aber wenn man es richtig macht, lässt sich viel gewinnen – gerade in dynamischen Branchen.
(+) plus: Viele Unternehmen scheuen den hohen Aufwand, der mit neuen Datenbanksystemen verbunden ist. Lohnt sich die Implementierung auch für kleinere und mittlere Unternehmen?
Bergsmann: Ich halte es für eine absolute Notwendigkeit. Die Dynamik der Wirtschaft nimmt stetig zu. Hier keine entsprechenden Steuerungssysteme zu haben, wäre so, als würden Sie mit dem Auto nicht mehr mit 50 oder 100 km/h fahren, sondern mit 200 oder 300 km/h – aber ohne jegliche Instrumente. Sie würden früher oder später gegen einen Baum oder ein anderes Auto fahren.
Die Kosten sind natürlich nicht zu vernachlässigen, weil diese Technologien einfach auch Geld kosten. Aber der Nutzen, den man daraus ziehen kann, steigt definitiv. Kleinere Unternehmen können beispielsweise über eine Cloudlösung Daten in Realtime zur Verfügung haben.
(+) plus: Haben österreichische Unternehmen die Digitalisierung verschlafen?
Bergsmann: Es gibt schon einige Unternehmen, die vorne dabei sind und die Möglichkeiten der Digitalisierung bereits nutzen. Aber viele fahren natürlich mit ihren bestehenden Systemen noch ganz gut und sehen gar nicht die Notwendigkeit, sich damit auseinanderzusetzen. Die meisten Unternehmen beobachten Digitalisierung als Trend, zum eigenen Thema haben es nur die wenigsten gemacht. Verschlafen hat Österreich den Trend vielleicht nicht, aber wir gehören auch nicht zu den Frühaufstehern beim Thema Digitalisierung.
(+) plus: Bedeutet das einen Wettbewerbsnachteil?
Bergsmann: Früher oder später sicher. Österreichische Unternehmen wollen immer erfolgreich sein. Bei der Digitalisierung werden wir aber mehr Trial and Error sehen. Unternehmen müssen Verschiedenes ausprobieren, wie sie von der Digitalisierung profitieren können, nicht alles davon wird funktionieren – so wie wir das auch bei Apps oder Internetplattformen sehen.
Unternehmen müssten hier viel stärker einen amerikanischen Approach zugrunde legen und Rückschläge bewusst in Kauf nehmen, weil man eben noch nicht genug über Digitalisierung weiß. Alle beobachten die bekannten Beispiele von Uber bis Tesla und kommen dann zu dem Schluss, dass ihr Geschäft doch anders ist und die Modelle nicht übertragbar sind. Eigene Ideen zu generieren und auszuprobieren, auch wenn nicht alles klappen wird, wäre höchst an der Zeit.
(+) plus: Müssen diese Lösungen immer individuell zugeschnitten sein?
Bergsmann: Beim Thema Forecasting sind die Modelle schon relativ weit gediehen. Im klassischen Fall fragt das Management beim Vertrieb, wie die Erwartungen in den Märkten und bei den Kunden sind und so wird eine Einschätzung erstellt, wie sich das Geschäft entwickeln wird. Mit den Mitteln der Digitalisierung werden solche Forecasts künftig mehr und mehr automatisiert aus internen und externen Daten erstellt werden. Das Modell selbst ist auf verschiedenste Unternehmen übertragbar, die konkrete Ausgestaltung muss aber dann schon individuell zugeschnitten sein.