Die Tage werden kürzer, die Taschentuchberge größer. Die beginnende Infektionssaison wirft ihre Viren voraus. Eine Selbstdiagnose von Rainer Sigl.
Den Sommer über war ich pumperlgesund! Ja, ehrlich, wenn ich’s Ihnen doch sage! Bis auf diesen Sonnenstich auf Koh Samui – fit wie ein Turnschuh! Keine Beschwerden, keine rinnerte Nase, kein Kopfweh – nix! Man sitzt irgendwo am Strand in klatschnassen Badesachen, isst zweifelhaftes Streetfood aus rostigen Leibschüsseln, verbringt 18-stündige Busfahrten mit verdächtig röchelnden Kambodschanern und was passiert? Bissi Muskelkater. Herrlich!
Man muss ja nicht alles sehen
Aber das war’s dann auch schon wieder. Die letzten sieben Wochen, seit ich aus dem Urlaub wieder da bin – ein Wahnsinn! Der September – zum Schmeißen! Kaum kehrt man vom Ausnahmezustand des Sommers zurück in die Mühsal des herbstlichen Alpenlandes: BÄM! Grad wie ich mir die xte Elefantenrunde im Fernsehen angeschaut hab, ist es schon losgegangen, so ein unnediges Brennen im Augenwinkel, zefix, ich ins Badezimmer – knallrot! Wie eine Ampel! Hochansteckend, logisch, also HNO, Apotheke, Augentropfen, ja nicht dieselben Handtücher nehmen wie die Familie, immer alles verpickt, ich sag Ihnen: Ein Elend! Man glaubt ja nicht, wozu man seine Augen alles braucht! Echt! Andererseits: Man muss nicht alles sehen.
Na gut, halt zu Hause geblieben, mehr schlecht als recht Homeoffice, im Hintergrund dudelt das Mittagsjournal, irgendeine Wahlanalyse, auf einmal denk ich mir, wie gibt’s das, wieso ist das so leise, auf einmal so ein stechender Schmerz im Ohrwaschl – und schon tropft’s raus! Ja, echt! Kopfschmerzen, dauernd dieses Pochen im Ohr, ich zum HNO, bitte, ich hätt’ ja gewettet, dass es sowas wie eine »Grippeotitis« nur als Scherz gibt, aber nein! Aber Glück im Unglück, sein Gehör braucht man eh nicht so dringend. Endlich Ruhe, haha! Wie bitte? Nein, gearbeitet hab ich trotzdem. Ja, im Krankenstand. Weil der Chef sieht das nicht so gern, wenn man da so zuhause herumtachiniert, und wenn die Pandemie damals etwas bewiesen hat, dann doch zumindest, dass man super auch trotz ein bissl Fieber Excel machen kann. Ist so.
Lieber nix reden
Ich mein, zumindest halbwegs, weil wegen der ziemlich verpickten Augen hab ich dann halt doch die Schrift schon ziemlich groß machen müssen. Aber wie mich dann gestern die Irmi, meine Frau, beim Frühstückstisch mit unserer frisch eingeführten rudimentären Gebärdensprache fragt, was ich zu den Wirtschaftsdaten sag, hab ich plötzlich nur mehr so ein Fauchen herausgebracht. Oder eher ein Zischen. Ich hab’s ja nicht gehört! Der HNO hat dann der Irmi gesagt, sie soll mir gestikulieren, dass das eine vorübergehende Kehlkopfentzündung ist und ich eine Zeitlang lieber nix reden soll.
Und je mehr ich drüber nachdenk: Eine Zeitlang nix sehen, nix hören und nix reden – eigentlich eh ganz leiwand, alles. Ich glaub fast, mein Körper will mir was sagen. Ich komm nicht drauf.