Freitag, Jänner 24, 2025
»Das geht  sich einfach  nicht aus«
»Mit dem Projekt C2PAT hätte man CO2 abscheiden und daraus Treib- und Kunststoffe machen können. Ein Paradebeispiel für Kreislaufwirtschaft. Das wurde von der Europäischen Kommission abgelehnt, weil man nicht wisse, was mit dem Kunststoff in 100 Jahren passiert. Da wird es dann schwierig mit der Innovation bei solchen bürokratischen Hürden«, kritisiert Andreas Pfeiler.

In einem ausführlichen Exklusiv-Interview erklärt Andreas Pfeiler, Geschäftsführer des Fachverbands Steine-Keramik in der Wirtschaftskammer, welche Fehler der Politik besonders gravierend sind und wie der Turnaround im Wohnbau geschafft werden kann. Er spricht sich explizit für Maßnahmen gegen den Klimawandel aus, fordert aber klare Rahmenbedingungen und realistische Ziele.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie gehört haben, dass die »Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung (KIM-VO)«, die für sehr strenge Kreditvergaberegeln gesorgt hat und von der Branche immer heftig kritisiert wurde, auslaufen wird?
Andreas Pfeiler: Mein erster Gedanke war: »Zu spät.« Die Auswirkungen werden wir frühestens 2026 spüren. Es bleibt auch abzuwarten, ob sich die Banken nach dem Auslaufen tatsächlich flexibler zeigen werden. Natürlich ist das Auslaufen zu begrüßen, aber das ist nur ein kleiner Schritt. Wir brauchen wesentlich mehr.

Welche weiteren Maßnahmen sind nötig?
Pfeiler: Wir haben als Baupakt-Partner schon zu Beginn des Jahres 2024 eine Refundierung der Mehrwertsteuer gefordert, mit maximal 100.000 Euro gedeckelt. Medial wurde das als »Die Reichen holen sich 100.000 Euro« kommuniziert. Das ist völlig falsch. Wir würden damit nicht nur Arbeitsplätze sichern, sondern auch zusätzliches Steueraufkommen generieren, etwa über die Lohnnebenkosten. Das wäre eine völlig budgetneutrale Maßnahme, die sofort Impulse setzt. Jeder, der ein Projekt in der Pipeline hat, würde sofort zu bauen beginnen. Bei der Sanierungsförderung hat es ja auch funktioniert. Schade, dass es im Neubau nicht geklappt hat.

Sie waren sicher mit den politisch Verantwortlichen in Kontakt. Woran ist es gescheitert?
Pfeiler: Es war nicht gewünscht. Das Finanzministerium hat mit dem Wohnbaupaket eine eigene Idee gehabt. Das hat auf dem Papier auch gut geklungen, aber auf der Baustelle angekommen ist mit Ausnahme des Handwerkerbonus nichts.

Stefan Graf, CEO von Leyrer + Graf, spricht sich im Report-Interview gegen ein Konjunkturpaket aus und fordert von der Politik vielmehr, die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich der Markt bewegen kann. Können Sie diesem Zugang etwas abgewinnen?
Pfeiler: Auf jeden Fall. Die gesamte Industrie braucht stabile Rahmenbedingungen, mit einem zeitlichen Horizont und erreichbaren Zielen. Es ist eh nett, wenn wir eine CO2-Steuer haben, um den Umstieg von fossilen Brennstoffen zu forcieren. Aber wenn in vielen Bereichen die alternativen Energiequellen gar nicht verfügbar sind, habe ich ein Problem. Um ein Betonwerk zu betreiben, brauche ich mehr Energie als für ein E-Bike oder ein E-Auto. Alle reden vom Wasserstoff. Aber wo sind die konkreten Lösungen?

Gehen Sie davon aus, dass eine neue Regierung gesprächsbereiter ist?
Pfeiler: Ich hoffe schon. Wir müssen endlich Abstand nehmen von diesem ständigen Golden Plating. Die EU hat Klimaneutralität bis 2050 vorgegeben. Da muss Österreich nicht mit 2040 vorpreschen. Die Industrie will sich der Weiterentwicklung nicht verschließen. Im Gegenteil. Es ist im ureigensten Interesse gerade der energieintensiven Industrie, auf günstige Energieträger zu setzen. Was ich kritisiere ist das Fehlen eines sauberen Übergangsrahmen und die kurz gesetzten Ziele. Man muss der Wirtschaft die Chance geben, die Transformation zu vollziehen.

Wie wichtig sind für Ihre Branche neue Technologien wie CCS und CCU (Carbon Capture and Storage und Carbon Capture and Utilization)?
Pfeiler: Sehr wichtig. Mit C2PAT gab es auch ein ganz wichtiges derartiges Projekt, bei dem CO2 aus einem Zementwerk abgeschieden und zu Kunst- oder Treibstoff verarbeitet hätte werden sollen. Das wäre ein Paradebeispiel für Kreislaufwirtschaft gewesen. Das wurde von der Europäischen Kommission abgelehnt, weil man nicht wisse, was mit dem Kunststoff in 100 Jahren passiert. Da wird es dann schwierig mit der Innovation bei solchen bürokratischen Hürden.

Die Bürokratie wurde schon immer kritisiert.
Pfeiler: Das ist richtig. Aber in den letzten fünf Jahren hat die Bürokratie schon noch mal deutlich zugenommen. Vor kurzem wurde ich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass die Produktivität im Bausektor abgenommen hat. Um dem nachzugehen, habe ich bei einigen Firmen angerufen. Die Antwort war immer dieselbe. »Wir müssen heute viel mehr Leute anstellen, um all die Reporting-Pflichten erfüllen zu können. Die fehlen an anderer Stelle.« Das kann es nicht sein.

Wie ist 2024 für Ihre Mitgliedsunternehmen gelaufen? Neben dem Bau schwächelt ja auch die Industrie?
Pfeiler: Da muss ich eine Ebene höhergehen. Europa hat in den letzten 20 Jahren völlig verabsäumt, den Digitalisierungsschub zu nutzen. Wir haben uns zu sehr von anderen Wirtschaftsregionen beeinflussen lassen. Ich empfehle jedem einen Blick in den Draghi-Report. Wir sind seit der Erfindung des Autos abhängig von Erdöl, also in weiten Teilen vom Nahen Osten. Das galt auch für China. Aber China hat einen Ausweg gesucht und begonnen, Batterien zu produzieren. 2030 wird China den weltweiten Bedarf an Batterien decken können. Kein Wunder, dass China für Elektromobilität lobbyiert. Die haben den Treibstoff dafür. Europa ist es nicht gelungen, dem etwas entgegenzusetzen.

Da sind aber auch die Unternehmen selbst in die Pflicht zu nehmen. Die deutsche Automobilindustrie etwa hat beim Thema Elek­tromobilität nicht gerade die Nase vorne...
Pfeiler: Die wusste aber auch, dass Lithium in Europa nie abgebaut werden darf und man sich in eine absolute Abhängigkeit von China begibt. Diejenigen, die mit erneuerbarer Energie viel Geld verdienen, haben sehr erfolgreich in Europa lobbyiert. Das ist alles. Diese Rahmenbedingungen machen es der europäischen Industrie sehr schwer. »Wasch mich, aber mach mich nicht nass.« Das spielt es nicht. Wichtig ist, dass wir in Europa einen gewissen Grad der Autarkie erreichen. Das ist zum Beispiel bei mineralischen Rohstoffen möglich. Natürlich kann man sich politisch gegen Schottergruben und Steinbrüche entscheiden, aber dann kann es in Krisenfällen wie Hochwasser auch zu Engpässen kommen und die Infrastruktur kann nicht mehr am Leben erhalten werden. Das ist nur mäßig schlau. Mit Grundstoffen sollte man sich immer selbst versorgen können.

Wie ist es den Unternehmen wirtschaftlich gegangen?
Pfeiler: Den darniederliegenden Wohnbau hat die Ziegelindustrie schon 2023 massiv gespürt. Da ist die Produktionsleistung um fast 50 % eingebrochen. Beim Beton waren die massiven Rückgänge erst 2024 spürbar, weil die Infrastrukturinvestitionen noch hoch sind. Bislang konnten die Unternehmen ihre Leute noch halten, weil man das Know-how nicht verlieren will. Aber das wird schön langsam eng.

Wie kann der Fachverband Steine-Keramik seine Mitgliedsunternehmen in dieser schwierigen Zeit unterstützen?
Pfeiler: Da geht es vor allem um Lobbying. Wir müssen der Politik klarmachen, dass wir Impulse für den Wohnbau brauchen, und das sofort! Nicht erst in einem halben Jahr. Da sind wir wieder bei der Refundierung der Mehrwertsteuer als eine von vielen möglichen Sofortmaßnahmen.

Wie werden Sie von der Politik gehört?
Pfeiler: Das ist natürlich nicht einfach, aber als WKO haben wir mit der Führungsspitze schon gewichtige Stimmen auf unserer Seite. Deshalb versuchen wir auch, unsere wichtigsten Punkte dort zu verankern. Von da ist der Weg in die Spitzen der Regierung deutlich kürzer.

Apropos Lobbying: Es gibt in der Bauwirtschaft unglaublich viele Interessenvertretungen, Verbände und temporäre Seilschaften, die alle Ähnliches fordern. Gerade im Wohnbau ziehen eigentlich alle an einem Strang. Wäre es sich nicht sinnvoll, sich zu einer Initiative zusammenzuschließen?
Pfeiler: Das passiert ja immer mehr. Bei unserem letzten Positionspapier haben wir nicht nur die Baustoffindustrie, das Baugewerbe, die Bauindustrie, die Gewerkschaft und Global 2000 an Bord, sondern auch Projektentwickler und Immobilienentwickler. Die alle finden sich im Papier wieder. Und damit klopfen wir bei allen Stakeholdern an, denn die Voraussetzung ist ja, dass zumindest alle mal vom selben sprechen.

Gerade beim heiß diskutierten Thema Bodenverbrauch hat man oft den Eindruck, das jeder von etwas anderem spricht. Warum kann man sich nicht mal auf einen gemeinsamen Gegenstand, eine gemeinsame Definition einigen?
Pfeiler: Es ist die Frage, ob das überhaupt von allen Seiten gewünscht ist. Heute ist jedes gewidmete Baugrundstück als versiegelt angeführt, egal ob da ein Garten ist oder nicht. Am sinnvollsten wäre eine Drohnenerkundung in einem Bezirk oder einer Gemeinde und dann ein Abgleich der realen Versiegelung mit der statistischen. Aber da trauen sich viele nicht drüber, weil dann ihre Argumentation plötzlich auf sehr wackeligen Beinen stehen würde. Auch wir setzen uns für eine sinnvolle Flächeninanspruchnahme ein. Niemand will heute mehr ein Fachmarktzentrum auf die grüne Wiese stellen, solange es im Ortskern Leerstände und Nachverdichtungsmöglichkeiten gibt. Ich verwehre mich auch gegen den Vorwurf, dass die Bauwirtschaft für die Versiegelung verantwortlich ist. Da entscheiden immer noch die Bauherrn und die Behörden, die Bewilligungen erteilen.

Welche Erwartungen haben Sie an 2025 und an die neue Regierung?
Pfeiler: Ich möchte rasche Impulse für den Wohnbau, und zwar baustoff- und technologieneutral. Lösungen liegen auf dem Tisch. Förderungen, die irgendwann in der Zukunft greifen, braucht keiner. Da ist es besser, es gibt die klare Ansage, dass es keine Impulse geben wird. Das ist zwar nicht schön, aber man weiß, woran man ist, und niemand steigt auf die Bremse, weil ja etwas kommen könnte. Weiters brauchen wir einen sicheren Zugang zu den Lagerstätten. Das ist für eine Volkswirtschaft gerade in Krisenzeiten sehr wichtig.
Und schließlich brauchen wir klare Rahmenbedingungen mit realistischen Zielen. Und das kann nicht sein: Klimaneutralität 2040, zehn Jahre früher als von der EU vorgeschrieben. Das geht sich einfach nicht aus.

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