Freitag, Jänner 24, 2025
Blick zu den Sternen
Patricia Neumann, Siemens: "Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit ­widersprechen sich nicht."

Patricia Neumann, Vorstandsvorsitzende der Siemens AG Österreich, im Jahresgespräch über den Bedarf der Industrie und strategische Entscheidungen, an denen der Konzern unabhängig von politischen Strömungen festhält.

 

Welche Erwartungen haben Sie für die konjunkturelle Entwicklung und damit auch den wirtschaftlichen Verlauf 2025 für Siemens Österreich? Wie ist die Stimmung bei Ihren Unternehmenskunden?

Patricia Neumann: Wir starten bei Siemens mit unserer Verantwortung für 25 weitere Länder in Osteuropa, Zentralasien und Israel mit Rückenwind ins neue Jahr. Das neue Geschäftsjahr hat bereits am 1. Oktober 2024 begonnen, damit haben wir das erste Quartal schon hinter uns und es läuft insgesamt gut. In der Region gibt es Unterschiede. Einige unserer Länder haben ein stärkeres volkswirtschaftliches Wachstum. In Österreich ist das Wachstum im Gesamtgefüge mit Deutschland, Zentral- und Westeuropa noch zurückhaltender.

Die Sparte Smart Infrastructure hat im Vorjahr gut performt, der Markt für die Dienstleistungen rund um Digital Industries war indes angespannt.

Neumann: Die Themen, die wir besetzen – Digitalisierung, Elektrifizierung und Nachhaltigkeit –, sind für den angesprochenen Rückenwind verantwortlich. Das spüren wir auch im Geschäft. Die größte Zurückhaltung gibt es in der klassischen Automatisierung in der Industrie. Der erwartete Aufschwung nach dem All-Time-High zu Coronazeiten ist in dieser Form nicht gekommen. Unternehmen sind in einer abwartenden Haltung gegenüber Expansionen oder prüfen teils sogar eine Absiedelung. Das spüren wir auch im Auftragseingang, der derzeit zumindest stabil ist.

Was sind die Hintergründe für die unterschiedlichen Entwicklungen?

Neumann: Insgesamt kämpft die Industrie mangels Nachfrage mit Überkapazitäten. Teilweise stammen diese noch aus der Coronazeit. Zusätzlich machen den Unternehmen Energiepreise, Lohnkosten und auch die Folgen einer Überregulierung des Marktes zu schaffen. Weltweit gesehen, und das gilt auch für Siemens, ist die Lage insgesamt positiv – mit Wachstum in Amerika, in Asien und China.

Im Smart-Infrastructure-Bereich haben wir neben den klassischen Bereichen Gebäudeautomatisierung, Gebäudetechnik und Brandschutz einen großen Schub beim Thema Elektrifizierung – das betrifft vor allem die Modernisierung der Energienetze und die Verteilung von Energie – mit einer hohen Nachfrage. Und auch Nachhaltigkeit im Gebäudebereich ist ein großer Treiber. Denn gerade der Gebäudebestand bietet hier einige Gestaltungs- und Optimierungsmöglichkeiten.

Software ist bereits der entscheidende Faktor für Lösungen in beiden Bereichen, wobei die Sparte Digital Industries hier sogar ein Stück weit die Nase vorn hat. Ähnlich wie bei meinem vormaligen Arbeitgeber (Anm. IBM) ist auch bei Siemens Hardware enorm relevant, aber noch besser werden wir, wenn wir die Dinge mit Software verbinden und Daten nutzen.

Wird KI bereits auch im Gebäudebereich eingesetzt? In welchen Bereich treffen wir heute bereits darauf auch in der Industrie oder im Betrieb Infrastruktur?

Neumann: KI spielt eine große Rolle und wir haben den Anspruch, unsere Erfahrungen auch mit unseren Kunden zu teilen. KI-Lösungen helfen beim automatisierten Monitoring und der Fehlererkennung in der Gebäudetechnik. Die Messungen von Datenpunkten und der Einsatz der jeweils passenden Sensoren ermöglichen vorausschauende Services rund um »Predictive Maintenance«. KI hilft auch bei Text, Sprache und bei der Visualisierung. Und wir stellen auf Basis von Daten fest, wie viel Kapazität in den Stromnetzen benötigt wird, wo Engpässe sind. Der Einsatz von KI in Form eines »Industrial Copilot« – ähnlich wie ihn viele im administrativen Umfeld aus der Microsoft-Welt kennen – ist im industriellen Umfeld sicherlich am weitesten fortgeschritten – angefangen beim Design eines Produkts oder eines Prozesses bis zu seiner Steuerung.

Wie gut setzen Unternehmen KI tatsächlich in Österreich bereits ein?

Neumann: Die Basis ist die Automatisierung, bei der die Industrie bereits sehr weit ist. Beim nächsten Schritt der Digitalisierung – wie nutze ich Daten, um meine Prozesse intelligenter zu machen – gibt es viele gute Ansätze. Viele Unternehmen suchen nach Möglichkeiten, um KI wertbringend einzusetzen. Die Bereitschaft auszuprobieren ist hoch. Die großen Schritte für Umsatz- oder Effizienzsteigerungen und Serviceverbesserungen aber kommen erst. Ein Copilot in der Industrie ist kein Produkt von der Stange, sondern bedarf der individuellen Umsetzung in den Produktlinien und Anlagen der Unternehmen.

Im Vergleich der KI-Welt mögen Europa andere Regionen wie die USA und China bei generativer KI und den großen Sprachmodellen teilweise abgehängt haben. In der Industrie ist das definitiv nicht der Fall. Ich bin überzeugt, dass wir hier als Siemens gemeinsam mit Partnern und anderen Anbietern eine Stärkung der Industrie in Europa schaffen können.

Wo wendet Siemens KI-Lösungen im eigenen Haus an?

Neumann: Beispielsweise in der Lieferkette mit unseren weltweit verteilten Produktionsstandorten und einem Einkaufsvolumen im Konzern von 30 bis 35 Milliarden Euro. Eingesetzt wird KI im Abwägen regionaler und geopolitischer Risiken und im Reporting. Mit einem Digital Twin der Prozesskette im Procurement unterstützen wir auch unsere Lieferanten. Ein anderes Beispiel ist Cybersecurity als Querschnittsthema auch für KI. Aus der IT-Welt kommend kenne ich dieses Feld gut. In der OT (Anm. Operational Technology) ist die Aufmerksamkeit dafür oft noch nicht ganz so ausgeprägt.

Welche Auswirkungen haben Mitte-rechts-Regierungen auf die Transformation zu einer klimaschonenden Wirtschaft?

Neumann: Siemens setzt weiterhin stark auf die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Wir haben uns das strategisch vorgenommen und das wird auch vom Markt verlangt. Europa und auch Österreich werden sicherlich den Weitblick haben, diese Themen weiterzutragen. Es würde mich sehr wundern, wenn wir jetzt komplett in die andere Richtung gehen – ich würde es auch persönlich für einen Fehler halten. Klarerweise muss man Nachhaltigkeit auch mit Wirtschaftlichkeit verbinden können – diese beiden Bereiche widersprechen sich nicht.

Sie wären also nicht für ein Windkraftverbot in einzelnen Bundesländern, wie zuletzt in Kärnten?

Neumann: Ich habe mich nicht im Detail mit der Situation in Kärnten auseinandergesetzt, persönlich hätte ich für Windräder gestimmt. Trotzdem kann ich nicht ausschließen, dass es auch ungeeignete Standorte geben kann. Die Hälfte meiner Familie kommt aus dem Burgenland. Dort werden gute Erfahrungen mit Windkraft gemacht.

Wie stehen Sie zur Idee, aus wirtschaftlichen Gründen die nationale CO2-Bepreisung vorübergehend – bis zur Einführung des europäischen Systems ETS II im Jahr 2027 – auszusetzen?

Neumann: Ich habe Verständnis für Partikularinteressen, das große Ziel, nachhaltig zu wirtschaften, sollten wir aber nicht aus den Augen verlieren. Egal, welche Entscheidung gefällt wird – man sollte sie in einem Gesamtkontext betrachten. Auch im Konzern, beispielsweise bei der Elektrifizierung des Fuhrparks, haben wir unterschiedliche Geschwindigkeiten. In manchen Regionen gibt es einfach noch keine ausreichende Infrastruktur. Trotzdem gehen wir vom großen Ganzen nicht ab. Generell gilt: Es gibt auf komplexe Probleme oft einfache Antworten, die meistens aber falsch sind.

Die Geschwindigkeit von Veränderungen und notwendigen Anpassungen an ein neues Marktumfeld nimmt seit Jahren zu. Wie schaffen Sie es an der Spitze eines der größten Industrieunternehmen, diese Volatilität mit den Menschen in Ihrer Organisation zu meistern?

Neumann: Der erste Punkt ist, Veränderung per se positiv zu besetzen – diese Einstellung versuche ich selbst zu leben und auch den Menschen mitzugeben. In bin bei Siemens in einer Unternehmenskultur angekommen, in der viele die Veränderungsfähigkeit mittragen. Siemens hat im Vorjahr 145 Jahre in Österreich gefeiert: Wenn ein Unternehmen sich so oft verändert und noch immer existiert und gut dasteht, dann haben auch die Teams viel positives Feedback bekommen.

Ich erlebe Stolz über das Geleistete und die umgesetzten Projekte am Markt. Das heißt nicht, dass es für jeden einfach ist.. Angst entsteht oft aus Unwissenheit. Wichtig ist zu verstehen, warum Veränderung geschieht, wann der Einsatz von neuen Tools oder wann Veränderung sinnvoll und notwendig ist.

Was sind zentrale Erkenntnisse aus ihrer Erfahrung in Führungspositionen?

Neumann: Persönlich nehme ich wahr, dass ich – mit dem Vorteil meiner Erfahrung – meine Entscheidungen zügiger treffe. Menschen ist der »Purpose«, die Sinnhaftigkeit wichtig. Man kann nicht genug Zeit investieren, um bestmöglich das Warum und den Wert von Entscheidungen und Wegrichtungen zu erklären. Denn wenn mir der Kontext, das große Ganze fehlt, wird es auf Dauer schwierig werden. »Mit den Füßen am Boden und den Augen zu den Sternen« ist ein Zitat des US-Präsidenten Theodore Roosevelt, das mir dazu gefällt.

Rückblickend gesehen, messe ich heute Netzwerken im Sinne von Ökosystemen einen wesentlich höheren Wert bei als am Anfang meiner beruflichen Karriere. In Projekten gibt in der Regel nicht nur einen Anbieter und den Kunden, sondern weitere Unternehmen, die gemeinsam mit Siemens agieren. Nicht alleine unterwegs zu sein, ist auch beim Thema Innovation essenziell. In Österreich schaffen 590 Forscher*innen und Entwickler*innen Neues in Co-Creation – gemeinsam mit Kunden, dem Lehrbereich, Universitäten und Fachhochschulen.

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