Dienstag, April 16, 2024

Wer letztes Jahr nicht mindestens eine hatte, war so was von out: Ein kritischer Rückblick auf die krisenhaftesten Krisenfälle im Krisenjahr 2009.


Es war ein gutes Jahr für Krisen. Zärtlich vom Vorspiel des Herbstes 2008 eingeläutet, eroberte die Krise als Prinzip 2009 nicht nur die Schlagzeilen, sondern auch die Herzen der Menschen. Mit leichter Wehmut blicken wir an dieser Stelle zurück auf schöne Krisentage, in denen uns sympathisch hysterischer Alarmismus und romantisch düstere Apokalypsenprophezeiungen täglich das warme Gefühl gaben, so richtig am Leben zu sein. Es waren Tage, in denen uns das Schnitzel doppelt so gut schmeckte, weil wir mit wohligem Gruseln in der Magengrube nur im halben Spaß scherzten, es könnte jeweils unser letztes sein. 2010, nach mehreren Krisen und erstaunlichem Gewichtszuwachs, bleibt uns zumindest die melancholische Erinnerung an die besten Krisen des Jahres 2009 – und ihre Lösung.

Finanzkrise
Die Krise: Wirklich niemand konnte ahnen, dass das jahrelange globale Hin- und Herschieben fantastischer Geldbeträge in fantasie- und geheimnisvoll benannten Fondskonstruktionen mit dem drolligen Innenleben von Hackschnitzelanlagen irgendwann irgendwie irgendjemandem schaden könnte. Vor allem die hochbezahlten internationalen Risk-Manager nicht, und deren Job – nomen est omen – war es ja immerhin, das Wunderwerk der globalen Finanzakrobatik am Laufen zu halten und, als sorgsame Gärtner, die Felder der per Naturgesetz ständig wachsenden Wirtschaft durch Düngung mit innovativen Finanzprodukten weiter zum Blühen zu bringen. Die Mutter aller Krisen, und doch: halb so wild. Immerhin ist es noch immer eine der himmelschreiendsten Ungerechtigkeiten dieser Welt, dass man beim besten Willen nicht mehr als zwei Schnitzel essen kann – ein Umstand, der von all den Neidern immer vergessen wird. Der wirkliche Skandal: Dagegen tut keiner was, obwohl Gerüchten zufolge im Finanzministerium verbissen an der Lösung dieses speziellen Problems gearbeitet wird.
Die Lösung: Geld nachfüllen und die Profis weiter ihre Arbeit machen lassen.

Politkrise
Die Krise: Dass Österreichs Innenpolitik ein Kasperltheater ist, behaupten nur humorlose Zeitgenossen, die jener für Kinder gedachten theatralischen Performancekunst von Vornherein sowohl Witz als auch Intelligenz absprechen. All jene, die angesichts solcher böswilliger Vergleiche sowohl Petzi als auch das Krokodil entrüstet in ihrer Ehre beleidigt sehen, vergleichen die Innenpolitik des Alpenstaates eher mit dem Genre der zu Recht selten gespielten kirgisischen Tragikomödie, in der das Ziel ist, im Verlauf des Abends auch den letzten Zuschauer von den Rängen zu vertreiben. Abseits des Wahlkampfs versprüht das großkoalitionäre Ringen im Land den actionreichen Esprit des schönen Hobbys der Gletscherbeobachtung. Nur die Luft ist schlechter.
Die Lösung: Alkohol, Dominic Heinzl.

Bildungskrise
Die Krise: Die Unis voll, die Jobchancen miserabel, im Bildungsranking vornehm zurückgehalten: Angeblich gibt es in der Alpenrepublik eine Krise der Ausbildung, ein Vorwurf, der aber angesichts unserer hervorragenden Schispringerknaben außerhalb linksliberaler Negerantenkreise als leicht durchschaubarer Versuch entlarvt werden kann, unser schönes Land und seine vorbildliche Jugendförderung kleinzureden. Mit dem dezenten Hinweis des Hausverstandes darauf, dass eh nicht jeder Tibetologie studieren muss und der Zugang zu Akademikerkreisen in Österreich traditionell vererbt wird, konnte den marxistischen Audimaxbesetzern nicht beigekommen werden, bis schließlich nach zähem Ringen das berufsgemäß besser geschulte Sitzfleisch der Politik den Sieg im Bildungskonflikt davontrug. Man sieht: Das System funktioniert.
Die Lösung: Abwarten, Wintersport.

Klimakrise
Die Krise: Klimaerwärmung, Treibhausgase, Apokalypsenszenarien – schenkt man der Wissenschaft Glauben – und ja, es gibt tatsächlich Kleingläubige, die das tun –, sollten wir unsere Pensionskassen in jetzt noch günstige Grundstücke im bald mediterranen Grönland investieren. Der Mammutgipfel in Kopenhagen zeigte in seinem Scheitern auf originelle Weise auf, dass für einige wenige Jahre gewählte Volksvertreter mit Zeitspannen, die ihre besoldete Legislaturperiode übersteigen, eher schlecht umgehen können. Österreichs Beitrag zur Klimadebatte zumindest zeigte in seinem unbekümmerten Umgang mit vertraglich vereinbarten Emissionsgrenzen, dass man als großzügiger Kosmopolit vielleicht auch mal fünfe gerade lassen sein kann, und überhaupt: Klimaerwärmung? Und wieso muss ich dann mein Auto jeden Morgen freischaufeln? Die Klimakrise – ein Hype wie Hulahoop und Internet. In 100 Jahren kümmert sich da kein Mensch mehr darum!
Die Lösung: Alpensüdkämme befestigen, Klimaanlage einbauen.

Grippekrise
Die Krise: Mexikanische Schweinereien bedrohten kurzfristig das Leben auf dem Planeten: Pandemiewarnung, Millionen Tote in Aussicht, Schutzmasken, Impfschlangen – das ganze Programm. Ein Glück, dass die Experten der Pharmaindustrie, die in ihren selbstlosen Presseaussendungen derart drastisch vor der »Neuen Grippe« warnten, auch gleich die Lösung in Form von unglücklicherweise nicht ganz günstigen Impfungen parat hatten. Pech wiederum, dass der hinterfotzige Erreger dann justament nach unterschiedlich ausgefallenen Großeinkäufen der Staaten doch irgendwie nicht so böse war wie erwartet. Ein klarer Fall von Mogelpackung, doch die Industrie arbeitet wahrscheinlich bereits daran, nächstes Jahr neben der Marketingabteilung auch die Produktentwicklung ausreichend zu finanzieren.
Die Lösung: Krankenstand, Pharma-Aktien kaufen.

 


Kärnten
Die Krise: Kärnten. Obwohl es sich um eine lokal mehr oder weniger begrenzte Krise handelt – ähnlich dem mittelalterlichen Ausbrüchen von Veitstanzepidemien –, wirbelte der Problembär Karawankenpetzi im Jahr eins nach der Himmelfahrt des Sonnenkönigs Jörg nur deshalb keinen Staub auf, weil Sümpfe für gewöhnlich ebenso gut bewässert sind wie die Kärntner Stammtische. Das mit unnachahmlicher Chuzpe beinahe geglückte Bravourstück, das radioaktive Familiensilber Hypo an in Kärnten immer willkommene deutsche Touristen verscherbelt zu haben, mündete leider in kleinlauten Abwehrkampf mit milliardenschwerer Finanzhilfe für die Schicksalsgemeinschaft Blau-Orange-Süd.
Aber kein Grund zur Sorge: Es gibt nichts, was ein anständiger Parteitag und ein paar Geldgeschenke an die Ureinwohner nicht wieder bis zur nächsten Wahl geradebiegen könnten. Die Grundsicherung für den Traditionsverein »Solarium Wörther See« zumindest steht für die nächsten Jahre – Glück gehabt! Und so richtig nachtragend traut sich auch außerhalb Kärntens keiner sein: Bei Safaris in Sumpflandschaften wurde schon so manche weiße Weste versaut.
Die Lösung: Neugründung als feudaler Freistaat mit eigener Währung »Jörgl«, Freibier für alle.

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