Die Zinssenkung der Fed markiert einen Wendepunkt und beflügelt die Aktienmärkte – auch in Europa. Ein Kommentar von Christoph Schultes, Chief Equity Analyst der Erste Group Bank AG.
Die US-Notenbank hat nun endlich den Leitzins gesenkt, und zwar in einem ungewöhnlich deutlichen Schritt von 50 Basispunkten. Ausgehend von einer schneller als erwartet nachlassenden Inflation deuteten Fed-Verantwortliche gegenüber Medien an, dass eine weitere Senkung in gleichem Ausmaß möglich sei, sollte sich die Lage am Arbeitsmarkt verschlechtern. Das FedWatch Tool der CME Group sieht die Wahrscheinlichkeiten einer Senkung um 50 Basispunkten für die nächste Entscheidung am 7. November derzeit bei knapp über 53 %. Der von vielen lang herbeigesehnte Schritt einer ersten Senkung seit Beginn 2020 markiert einen Wendepunkt der Zinspolitik der USA, die Europäische Zentralbank hatte bereits im Juni die Zinswende eingeleitet.
Die aktuellen Wirtschaftsdaten der Eurozone sprechen derzeit für eine weitere Lockerung auch von Seiten der EZB. Argumente dafür gibt es reichlich, so wie die zuletzt veröffentlichten PMIs, die Schwäche auf breiter Front anzeigten. Die Kombination aus einer schwachen Konjunktur und abkühlendem Lohnwachstum sowie Erwartungen eines weiteren Inflationsrückgangs im nächsten Jahr haben die Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung im Oktober zuletzt deutlich ansteigen lassen.
Die Zinssenkungen und der Ausblick auf weitere beflügelten die Aktienmärkte, die Ende September neue Höchststände erreichten, sowohl in den USA als auch in Europa. Unterstützt wurde der Aufwärtstrend zuletzt auch von positiven Nachrichten aus China, wie geplante geldpolitische Maßnahmen der chinesischen Notenbank sowie die angekündigten fiskalpolitischen Stimuli. Steigende Rohstoffpreise sorgten für positive Stimmung in den letzten Tagen und Wochen bei den Grundstoffwerten.
Dass Anleger zuletzt wieder zu deutlich mehr Risikobereitschaft tendierten, hat aber auch einen anderen Grund. Es sind die Gewinnaussichten der Unternehmen, die durchwegs positiv zu interpretieren sind, vor allem für US-amerikanische Unternehmen. Für den S&P prognostizieren Analysten derzeit einen Gewinnzuwachs von 9 % für 2024 und eine weitere Steigerung von 14 % für 2025. Europäische Unternehmen können beim Ergebniswachstum weiterhin nicht ganz mithalten. Für den STOXX 600 sieht der Konsensus aktuell einen Gewinnrückgang von knapp 5 % in diesem Jahr, jedoch ein Ergebnisplus von mehr als 8 % für das kommende Jahr.
Etwas überbewertet
Auch was die Bewertung betrifft, haben die US-Aktien die Nase vorne. Der S&P wird derzeit mit einem KGV von 24,2x und damit auch deutlich über seinem Zehnjahresdurchschnitt (19,6x) gehandelt, der STOXX 600 notiert bei einem KGV von 14,9x, was den Schnitt der letzten zehn Jahre ein wenig unterschreitet (15,6x). Auch wenn amerikanische Aktien auf den ersten Blick ein wenig überbewertet scheinen, sehen wir das Momentum aufgrund der Wachstumsperspektiven weiterhin in den USA. Aktienrückkäufe sollten dieses wie gewohnt unterstützen. Für europäische Aktien spricht dagegen eine Dividendenrendite von durchschnittlich rund 3,3 %. Die Sektoren, die aus unserer Sicht derzeit übergewichtet werden sollten, sind Technologie, Gesundheit, Basiskonsum, Finanzwerte und Versorger.