Die führenden Innovationszentren für Künstliche Intelligenz sind derzeit außerhalb Deutschlands und Europas. Doch existieren vor Ort bereits grundlegende Voraussetzungen und vielversprechende Ansätze, um diesen Status quo zu ändern. Ein Kommentar von Benedikt Bonnmann, adesso.
Künstliche Intelligenz (KI) gilt mit großem Konsens als Schlüsseltechnologie für die nächste Evolutionsstufe der globalen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei zeichnet sich ein Trend ab: Um das volle Potenzial zu entfalten, muss KI praxisnah umgesetzt und von weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert werden. Dies gilt insbesondere für den Bereich der generativen KI, der seit einigen Jahren eine beeindruckende Entwicklungsdynamik aufweist. Die Fähigkeit, Inhalte wie Texte, Bilder, Videos oder Code zu generieren, macht diese KI-Form zu einem leistungsfähigen Werkzeug, das direkt konkrete Einsatzmöglichkeiten in der Produktion, im Kundenservice, in der Softwareentwicklung, im Marketing sowie in vielen weiteren Bereichen bietet. Die Hauptinvestitionsströmung in diese beeindruckende Technologie konzentriert sich seit 2019 auf die USA. China und die gesamte EU folgen weit abgeschlagen mit jeweils gerade einem Dreißigstel des Investitionsvolumen, wie aus dem AI-Index 2024 der Stanford University hervorgeht. Während der globale KI-Markt laut Prognosen von Statista und Grand View Research voraussichtlich bis 2030 auf 1,8 Billionen USD ansteigen wird, fließen in den USA und China derzeit signifikant höhere Investitionen in den KI-Sektor als beispielsweise in Deutschland. Das verschafft ihnen einen deutlichen Vorteil in der Entwicklung marktreifer KI-Lösungen.
Die Geschwindigkeit, mit der KI-Innovationen voranschreiten, und das Ausmaß der Investitionen in diesen Sektor erweisen sich zunehmend als herausfordernd für regulative Versuche. Während die Vereinigten Staaten und China einen relativ nachsichtigen regulatorischen Rahmen bieten, tendiert Europa zu vergleichsweise harten regulativen Leitplanken, wie der EU AI Act verdeutlicht.
Europas Rolle in der globalen KI-Landschaft
Für Europa besteht die Herausforderung darin, eine eigene KI-Strategie zu entwickeln und den eigenen Platz in der KI-Welt zu finden und zu festigen. Die Fokussierung auf KI-Lösungen und Sprachmodelle, die spezialisiert, praxisrelevant und stark kontextbezogen sind, scheint der vielversprechendste Ansatz. Durch solche Lösungen kann das Vertrauen der Anwender gewonnen werden, was für die Akzeptanz und Integration von KI in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben unabdingbar ist.
Europa verfügt schon über geeignete Werkzeuge. Dazu zählt etwa das Horizont-Europa-Programm, das für den Zeitraum 2021 bis 2027 Planungen zur Investition von rund 95,5 Milliarden Euro in Forschung und Innovation beinhaltet. Davon sollen im Jahr 2024 circa 290 Millionen Euro bereitgestellt werden, um die Forschung mit Schwerpunkt Daten, Robotik, Künstliche Intelligenz sowie die Entwicklung von Cloud-Edge- Servern zu fördern.
Darüber hinaus birgt der europäische Grundgedanke einer gemeinschaftlichen Zusammenarbeit auch Chancen: So lassen sich Synergieeffekte durch den Aufbau geteilter Ressourcen erzielen. Durch zielgerichtete und gemeinsame Investitionen sowie vereinter Expertise kann Europa seine Kräfte bündeln, Normen setzen und seine Vision von verantwortungsvollen und menschenzentrierten KI-Modellen und -Applikationen verwirklichen. Europa steht derzeit am Scheideweg. Aber mit zielorientierten Investitionen und starkem Engagement für ethische Standards und praktische Anwendbarkeit durch die Regierungen, Sprachmodellanbieter und KI-Service-Provider kann „KI made in Europe“ zum Synonym für Qualität, Vertrauen und Innovation werden.
Über den Autor
Benedikt Bonnmann ist Mitglied des Vorstands der adesso SE und verantwortlich für das Data & AI-Geschäft des IT-Dienstleisters.