Mit der Flut an Content, die nicht nur im Internet täglich über uns hereinbricht und immer noch anwächst, sinken auch die Ansprüche –
eine Abwärtsspirale, die irgendwann unhaltbar wird.
Ein Kommentar von Rainer Sigl
Nein, es kommt nicht nur Ihnen so vor: Die Qualität dessen, was wir täglich (nicht nur) im Netz an Information und Unterhaltung vorgesetzt bekommen, nimmt ab. Das ist auf den ersten Blick überraschend, denn noch nie war der Zugang zum gesammelten Wissen, zur geballten Kreativität der Menschheit größer. Die ehemals naive Verheißung des Internets, durch demokratischen Zugang zu einem globalen Netz zu einer besseren Welt zu führen, hat sich nicht nur als politische, sondern auch kulturelle Illusion herausgestellt.
In den letzten Jahren hat sich stattdessen die netzökonomische Pauschalausrede des »Good Enough« flächendeckend durchgesetzt. »Good Enough«, das bedeutet so etwas wie konstante Austerität in Sachen Qualität – und das nicht nur im Journalismus, sondern in Bezug auf Content und praktisch: auf jeden Output unserer Zivilisation allgemein. Wer über die unmittelbare Wirtschaftlichkeit hinaus Qualität anbietet, tut dies zu seinem eigenen Nachteil, jede nicht separat und zusätzlich entlohnte Mehranstrengung ist nach dieser Logik Verschwendung – und schmälert den Gewinn.
»Content«, das scheinobjektive Wort nimmt es irgendwie schon vorweg: Es geht um Inhalt, (fast) egal welcher Beschaffenheit. Das betrifft journalistische Formate ebenso wie jene der Unterhaltungsbranche. In Hollywood haben sich die Autor*innen erbittert gegen eine diesbezügliche weitere Eskalation zur Wehr gesetzt: Nach dem Willen des Studiosystems hätten eben zukünftig nicht von Menschen, sondern von der AI verfasste, keinem ernsthaften Qualitätsanspruch gerecht werdende, aber dafür verlockend billige Drehbücher und Skripte genügt. Die Argumentation: Es braucht nicht die Qualität von »Breaking Bad« oder der »Sopranos«, wenn der Content zunehmend als Fernsehrauschen neben dem Checken von Instagram und TikTok läuft; künstlich hergestellt und maximal mittelmäßig ist »good enough«. Das wird dank erfolgreicher Streiks jetzt so nicht stattfinden.
Systematisches Plagiieren
Außerhalb Hollywoods, vor allem online, wird kein ähnliches Zurückrudern passieren. In der Welt der millionenschweren »Content Creators« etwa auf YouTube ist systematisches Plagiieren längst ein ökonomisch rationales Geschäftsmodell – solange es klappt, ist das »good enough«. Die Techbranche macht’s in globalindustriellem Maßstab vor und versucht unter den Teppich zu kehren, dass die glorreiche KI-Zukunft wesentlich auf der technisch milliardenfachen und nonchalanten Enteignung ungezählter Copyright-Halter gründet, deren Werke ungefragt direkt ins kollektive Training so gut wie aller KI-Projekte eingeflossen sind. Der Output: good enough, zumindest besser, als dafür – wie bisher halbherzig üblich – auf irgendeine Art und Weise zu bezahlen. Dass dabei in Anfällen sanften oder auch heftigen Halluzinierens die Existenz Australiens geleugnet oder ein AI-Chatbot rustikal rassistisch wird, lässt die strenge Rechnung trotzdem nicht kippen.
Böse Technik? Nicht ganz: Die Entscheidung, was für uns als Konsument*innen angeblich »gut genug« ist, trifft noch längst keine KI, sondern gutbezahlte, ganz reale Menschen in den Chefetagen dieser Welt. Und wir selbst – wenn wir uns endlos mit etwas abspeisen lassen, das unsere angeblichen Bedürfnisse nur gerade so befriedigt. Vielleicht liegt ja genau darin ein Weg zurück aus dem Abstieg ins große Weniger.n