Regenerative Baustoffe wie Holz und Stroh haben große Game-Changer-Potenziale und könnten eine echte Bauwende einläuten. Davon ist der Züricher Architekt und Gründer von YR22 Regenerative Architecture and Urbanism, Fabian Hörmann, überzeugt.
Ein Kommentar von Fabian Hörmann
Die emissionsfreie Errichtung von Gebäuden ist quasi unmöglich. Unsere Zielsetzung muss angesichts der großen Einsparpotenziale in und für die Errichtungsphase daher lauten, baubedingte Emissionen maximal zu reduzieren. Mit einer zu erwartenden CO2-Bepreisung wird kurzfristig eine lenkende Wirkung auf konventionelle Baustoffe auf uns zukommen. Dadurch wird der Ersatz gesunder und regenerativer Materialien – weil vergleichsweise kostengünstig – unausweichlich. Gelingt es uns, nicht-monokulturelle Wälder weltweit zu vergrößern und einen Weg zu finden, das Wachstum, die Entnahme sowie die Produktion von Holz zu überwachen und zu verwalten, kann es zu einem der verfügbaren Schlüsselmaterialien avancieren.
Großes, aber ungenutztes Potenzial als nachhaltiger Baustoff hat auch Stroh. Inzwischen sind weltweit etliche Strohballengebäude in unterschiedlichen Regionen über 100 Jahre alt. Ihre Substanz ist in gutem Zustand, das unterstreicht ihre Widerstandsfähigkeit. Sogar hinsichtlich Erdbeben weisen sie hohe Resistenzen auf. Fachgerecht verbaut, erreicht eine solche Konstruktion Feuerwiderstandsklasse F90 – genauso wie EPS muss sie mit Flammschutzmitteln behandelt oder konstruktiv eingekapselt werden.
Umsetzbarkeit: Planungsgrundlagen sind vorhanden
Eine optimale Planung erfolgt durch ein frühzeitiges Zusammenspiel von Architektur, Bauphysik und Statik. Schon heute können bis zu drei Geschosse in lasttragender Strohballenbauweise errichtet werden. Bis zu zwölf Geschosse werden aktuell in Mischbauweise für ein Projekt in Schweden geplant. Mit den Strohbaurichtlinien der FASBA (Fachverband Strohballenbau Deutschland e.V.) liegen Dokumente als Grundlage für die Planung und Ausführung vor; für 2024 ist zudem eine DIN-Norm angekündigt. Die eingreifende EU-Taxonomie und die CO2-Befreiung werden zur Dynamisierung dieser Bauweise führen. Schließlich stellen sich Portfoliomanager, Liegenschaftsverwaltungen oder Investoren die grundlegende Frage, wie sie ihre »Immobiliensammlung« zukunftsfähig halten können. Auch für vermeintliche Stranded Assets gibt es Strategien, um diese wieder auf Kurs zu bringen – Problemverschiebung oder Abriss stellen keine gesellschaftsfähigen Lösungen (mehr) dar.
Klimapositive Bauwende
Auf dem Sprint zur klimapositiven Bauwende sind folgende Komponenten und Akteure unverzichtbar. Erstens: Ebenbürtig ausgestattete Forschungsstätten zu regenerativen Materialien als Schlüssel, um den Substitutionsprozess mit Hochgeschwindigkeit voranzutreiben. Zweitens: Kluge, strategisch denkende Planende, die als Team agieren und ihre Expertise zu fairen Honoraren in die Waagschale werfen – ihre Fähigkeit, innovative Ideen in die Praxis umzusetzen, wird den Wandel im Bauwesen maßgeblich beeinflussen. Drittens: Öffentliche und institutionelle Auftraggebende, die vorbildlich neue Wege und Prozesse mit anderen Materialien beschreiten. Viertens: Der Mut jedes Einzelnen, gestärkt durch die Kraft des kollektiv handelnden Teams.
Diese Bauwende ist keine ferne Utopie, sondern eine realisierbare Zukunft. Mit Forschung, intelligenter Planung und kollektivem Mut können wir den Wandel gestalten und eine nachhaltige, lebenswerte Umwelt für kommende Generationen schaffen. Jetzt ist die Zeit zu handeln.
Fabian Hörmann, Architekt und Gründer von YR22 Regenerative Architecture and Urbanism in Zürich, setzt sich aktiv für klimapositive Entwicklungen ein. Als Mitglied von Countdown 2030 engagiert er sich für nachhaltige Städte und Gebäude. Sein Buchprojekt »The Real Deal – Post-Fossil Construction For Game Changers« zielt darauf ab, Entscheidungsträger in der Baubranche zu inspirieren und zu motivieren, die Bauwende voranzutreiben.