Der Arbeitskräftemangel ist großteils hausgemacht. Unternehmen müssen endlich in den »Driver-Seat«, Verantwortung übernehmen und handeln. T-Systems testet die Viertagewoche – die ersten Ergebnisse sind überzeugend. Ein Kommentar von Gertrud Götze, Vice President HR bei T-Systems Austria.
Laut Statistik Austria waren in Österreich letztes Jahr durchschnittlich 206.500 Stellen unbesetzt. Allein in der IT-Branche fehlen rund 24.000 Arbeitskräfte. Der direkte und indirekte Wertschöpfungsverlust pro unbesetzter Stelle beläuft sich auf 175.000 Euro pro Jahr, insgesamt also 4,2 Milliarden Euro.
Meine provokante Hypothese: Das Problem ist von uns allen selbst verursacht. Profitdenken, kontinuierliches Wachstumsdenken um jeden Preis, Ausblenden von offensichtlichen Entwicklungen und Handeln für den kurzfristigen Erfolg haben uns das eingebrockt. Und als wäre das nicht schon eine harte Nuss für sich, die es zu knacken gilt, sind wir zudem weiteren multidimensionalen Bedrohungen ausgesetzt, die unser aller Wertegefüge neu sortieren.
Egal welche Altersgruppe betrachtet wird: Die Pandemie, der Ukraine-Konflikt, die Klimakrise, die Flucht oder Vertreibung unzähliger Menschen verändern uns. Auf die arbeitende Gesellschaft gespiegelt, zeigt sich das in unserer Arbeitsmotivation und bei unseren Arbeitsmotiven. Wir müssen alle für unseren Lebensunterhalt arbeiten – an dieser Tatsache hat sich nichts geändert. Geändert hat sich aber der Ort und die Menge an Zeit, die wir bereit sind, für unser tägliches Auskommen zu investieren. Wurde man früher für Siebzig- oder Achtzigstundenwochen im Büro bewundert, so wird man heute eher für den offensichtlichen Knochenjob bemitleidet.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Mitarbeitenden von heute sagen an, wo und wie viel sie arbeiten wollen. Geändert hat sich darüber hinaus, dass die arbeitende Generation für die Zeit, die sie in Unternehmen investieren, Sinnstiftung, ein gutes soziales Klima und Selbstbestimmung fordern, außerdem dabei die Möglichkeit haben möchten, selbst zu lernen und zu wachsen.
Unternehmen, die sich weiterhin vor dieser Entwicklung verschließen und den Kopf in den Sand stecken – oder schlimmer noch: darauf warten, dass Regierungen oder undefinierte »andere« ihr Problem lösen –, werden nicht überleben. Jedes Unternehmen, das noch einen (Über-)Lebensgeist in sich spürt, muss wieder in den Driver-Seat, die Verantwortung übernehmen und handeln. Und es muss dabei flexibel sein, denn gäbe es eine klare Lösungsstrategie aus der aktuellen Lage, die für alle passt, hätte man sie vermutlich schon gefunden und weitflächig umgesetzt. Nein, jedes Unternehmen wird seinen eigenen Weg suchen und gehen müssen.
Deutliche Steigerung
Wir bei T-Systems haben uns durch unzählige Studien und Austrittsinterviews ehemaliger Kolleg*innen gelesen, um daraus zu lernen, was unsere Mitarbeitenden hält bzw. neue anzieht. Flexibilität und Zeit haben wir als größten Hebel hinsichtlich Nachhaltigkeit und Resilienz unserer Belegschaft gefunden. Deshalb starteten wir Anfang Jänner 2023 ein Pilotprojekt mit der Viertagewoche: 36 Stunden an vier Tagen arbeiten, bei gleichem Gehalt, aber auch gleichem Leistungsergebnis. Wir konnten zehn Prozent unserer Mitarbeitenden dafür gewinnen, das neue Modell mit kontinuierlicher Begleitung durch unser Controlling, dem Betriebsrat, unserer HR-Abteilung und unter strenger Beobachtung unserer Konzernmutter zu testen.
Die ersten Ergebnisse sind enorm: Nach einer Umgewöhnungsphase berichtet die Pilotgruppe über eine deutliche Steigerung ihrer allgemeinen Zufriedenheit und Work-Life-Balance bei gleichzeitig geringem bis keinen negativen Impact auf ihre Leistung und Ergebnisse. Auch die Führungskräfte berichten weder von Kommunikations- noch von Leistungsengpässen. Um weitere Schritte besonnen setzen zu können, brauchen wir noch mehr Daten und Erfahrungswerte. Daher haben wir beschlossen, den Beobachtungszeitraum um ein Quartal zu verlängern. Ein ganzes Unternehmen mit einem neuen Arbeitszeitmodell zu versehen, ist ein großer Kraftakt. Einer, der sich lohnt – davon bin ich schon jetzt überzeugt.
(Titelbild: T-Systems)