Freitag, Mai 17, 2024

Die Energiekrise hat Europa hart getroffen und könnte auf lange Sicht und ohne Gegenmaßnahmen eine Deindustrialisierung auslösen – auch in Österreich. Doch Österreichs Industrie hat eine Sonderstellung, braucht aber eine bestimmte Energiestrategie, um den Weg aus der Krise zu schaffen. Ein Gastkommentar von Eva Poglitsch und Johannes Schneider, Energieexpert*innen bei PwC Strategy&.

Die Energiekrise könnte massive Verschiebungen der europäischen Wirtschaftsstruktur bis hin zu einer Deindustrialisierung auslösen. Zu diesem Ergebnis kommen wir in unserer jüngsten Analyse »Business Impact Energy Prices«, die ein Weckruf für Unternehmen in ganz Europa war. Vor allem die Abhängigkeit von russischem Gas setzt der europäischen Industrie zu. Die vor allem in Folge des Kriegs in der Ukraine gestiegenen Energiekosten beeinträchtigen alle Industriezweige und führten 2022 allein im deutschsprachigen Raum zu einer Steigerung der variablen Produktionskosten zwischen 15 und 43 Prozent.

Auch wenn aktuell nicht mehr mit den Höchstständen aus 2022 zu rechnen ist, werden die Energiepreise auf einem vergleichsweise hohen Niveau gegenüber der Situation vor Corona verharren. Daher erwarten wir, dass die Situation für die energieintensiven Industrien vorerst angespannt bleiben wird. Erst ab 2024 ist mit stabil sinkenden Preisen und einer Entspannung am Energiemarkt zu rechnen.

Am Weltmarkt verliert Europa dadurch als Produktionsstandort an Attraktivität – Schlüsselsektoren wie die Metall-, Chemie- oder Automobilindustrie geraten zunehmend unter Druck und könnten abwandern. Doch die Auswirkungen der gestiegenen Energiekosten unterscheiden sich zwischen den EU-Staaten aufgrund individueller Energiepolitiken und Beschaffungsstrategien deutlich. Spanien und die skandinavischen Länder stehen verhältnismäßig gut da, unter anderem, weil sie erneuerbare Energien bereits massiv ausbauen konnten. Länder wie Polen hingegen sind stark von russischem Gas abhängig und haben mit gestiegenen Produktionskosten von bis zu 150 Prozent im Jahr 2022 – beispielsweise bei einfachen Stählen – zu kämpfen.

Wir gehen davon aus, dass solche Kostenunterschiede langfristig zu Strukturverschiebungen innerhalb der europäischen Industrielandschaft führen können und beobachten bereits erste Umstrukturierungen: In besonders energieintensiven Branchen wie Zement oder Papier haben Unternehmen die Produktion in Ländern, in denen die Kosten am geringsten sind, erhöht und dort, wo Energie am meisten kostet, gedrosselt. 

Wie steht es um Österreichs Industriestandort?

Die Zeiten, in denen die Energiekosten für unsere heimischen Industriebetriebe einen leicht zu handhabenden Kostenfaktor und sogar einen Wettbewerbsvorteil darstellten, sind vorbei. Ohne stärkere wirtschaftspolitische Anreize könnten wichtige Sektoren abwandern und einer Deindustrialisierung Vorschub leisten.

Eine vorübergehende und teilweise Produktionsverlagerung fand bereits während der Energiepreis-Höchststände letztes Jahr statt – vor allem bei Unternehmen, die über internationale Produktionsstandorte verfügen und schnell reagieren konnten. Diese Dynamik wird sich voraussichtlich verstärken. Grundsätzlich orten wir aber auch bei diesen Unternehmen nach wie vor eine starke Absicht, am Produktionsstandort Österreich festzuhalten. Nur wie lange wird das noch möglich sein?

Johannes Schneider ist Partner bei PwC ­Strategy& Österreich.

Insbesondere für den produzierenden Mittelstand – mit häufig eingeschränkter unternehmerischer Manövriermasse – sind Energiepreisschocks existenzbedrohend. Viele heimische Unternehmen befürchten Schließungen oder Insolvenzen. Denn die gestiegenen Energiekosten lassen erahnen, wie drastisch sich bereits eine Verdoppelung – von einer möglichen Vervielfachung ganz zu schweigen – auf die Profitabilität eines Unternehmens auswirken kann. Das gilt erst recht, wenn sich die gestiegenen Kosten nicht weitergeben lassen und Maßnahmen fehlen, um den Preisschock abzufedern. Die höheren Produktionskosten drücken die Gewinnmargen nach unten. Und schon ein paar Prozentpunkte weniger Marge können direkt den Verlust von Profitabilität bedeuten. Unternehmen sollten nun genau analysieren, welche Auswirkungen die Energiepreissprünge auf das eigene Geschäftsmodell und auf die Profitabilität haben.

Die Sonderstellung der Industrie

Was der österreichischen Industrie auch in der jetzigen Situation zugute kommt, ist ihr hoher Differenzierungs- und Spezifikationsgrad. Österreichs Industrielandschaft nimmt hierbei im europäischen Vergleich eine Sonderstellung ein. Es gibt hierzulande viele kleinere agile Unternehmen, die Produkte mit hoher Qualität anbieten und sich schon früh spezialisieren und in internationalen Nischen behaupten mussten. Dadurch können kurzfristige Kostensteigerungen besser weitergegeben werden und die negativen Auswirkungen auf Absatz und Margen sind vorerst noch geringer ausgefallen als in anderen Ländern.

Viele Unternehmen verfügen zudem noch über einen Puffer – denn trotz der ­Pandemie konnten sie in den letzten zehn Jahren vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren und verfügen nun über komfortable Eigenkapitalquoten. Das bietet ihnen aktuell oftmals noch die notwendige finanzielle Flexibilität, um die gegenwärtigen Herausforderungen bewältigen und den Kostenschock auffangen zu können.

Weniger Energie, mehr Strategie

Um trotz anhaltend volatiler Energiepreise wichtige Industrien im Land zu halten, ist der richtige Mix struktur­erhaltender und strukturerneuernder Maßnahmen notwendig, um die Inflation zu drücken und die Energietransformation zu beschleunigen. Das ist auch deshalb wichtig, weil die produzierende Industrie eine hochrelevante Quelle für Innovationsimpulse und damit einer der Träger unseres aktuellen und zukünftigen Wohlstands ist.

Eva Poglitsch ist Director Energy & Utilities bei PwC Strategy& ­Österreich.

Österreich läuft Gefahr zu glauben, dass wir auch ohne starke Strukturmaßnahmen mit einem blauen Auge davonkommen. Doch eine Deindustrialisierung ist ein schleichender Prozess – die aktuelle Situation ist ein Warnsignal und wirkt wie ein Brennglas, das uns zeigt, wo es hingehen könnte, wenn kein Strukturwandel erfolgt. Unternehmen müssen sich transformieren, nachhaltige Energiestrategien ausarbeiten und Investitionen in erneuerbare Energien aktiv vorantreiben, um die Widerstandsfähigkeit für zukünftige Krisen auszubauen. Dadurch – und mit dem Rückenwind aus der Politik – lässt sich die Zukunft der heimischen Industrie bestmöglich sichern.

Konkret geht es darum, die Weichen für ein erneuerbares Energiesystem zu stellen, das auch für die Großindustrie genügend Leistungsfähigkeit bereitstellen kann. Eine nachhaltige Energiestrategie hin zu erneuerbaren Energien erhöht die Resilienz – wie wir am Beispiel Spanien sehen – und ist unverzichtbar für die Zukunft des heimischen Produktionsstandorts.

Wir brauchen nun eine mutige Industrie- und eine kluge Energiepolitik, die den massiven Ausbau von erneuerbaren Energien, einer Wasserstoffinfrastruktur, der Netze und beschleunigte Genehmigungsverfahren beinhaltet. Eine weitere Rolle in der Transformation wird die anstehende Reformierung des Strommarktdesigns spielen. Was wir in Österreich brauchen, wissen wir schon lange. Wir müssen es nur umsetzen.

(Titelbild: iStock)

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