Ordnung macht’s leichter – auch für Individualisten
Ein Kommentar von Winfried Kallinger, Kallco Bauträger GmbH
Die Hochbau-Architektur um den Millenniumswechsel ist weitgehend von einem Kriterium geprägt: Spektakularität. Diese Spektakularität hat uns dramatische Gebäudeformen, dynamische Fassaden, eindrucksvolle Architektenstatements, spektakuläre Fotos in Architekturzeitschriften und den neuen Beruf des glamourösen Stararchitekten beschert. Diese Errungenschaften stehen auf der Habenseite. Auf der Sollseite stehen hohe Baukosten, technische Risiken, energetisch zweifelhafte Lösungen, hoher Erhaltungs- und Wartungsaufwand, problematische Grundrisse und – mangelnde Flexibilität der Gebäude.
Schiefwinkelige Wohnzimmer, Schrägfassaden, ellipsoide oder ähnliche Gebäudegrundrisse, die irgendwann die Endflächen des Hauses zu kaum mehr einrichtbaren Tortenstücken verkümmern lassen, mögen ja aus dem Gesichtspunkt der Gebäudeskulptur ihre Berechtigung haben, individuell sind sie nicht, jedenfalls nicht in dem Sinn, dass Individualität möglichst freie und allemal möglichst leichte Anpassbarkeit des Raumangebotes an die jeweiligen Bedürfnisse des Individuums bedeutet.
Individualität nicht nur beim Erstbezug
Gebäude, die dem Nutzer bestimmte Grundrissformen aufzwingen, werden es schwer haben, ihre Zukunftssicherheit unter Beweis zu stellen. Individualität ist nämlich nicht nur ein Aspekt, der sozusagen punktuell bei Erstbezug gegeben sein muss, sondern vielmehr ein Zustand, der sich auch in Zukunft bei sich verändernden Lebens- und Nutzungsverhältnissen bewähren muss.
Ich neige dementsprechend dazu, den Begriff »Individualität« bei der Planung skeptisch zu beäugen und bin eher dafür, statt dessen von Variabilität und Flexibilität zu sprechen, die nicht nur dem ersten Nutzer, sondern auch künftigen Nutzern im Lebenszyklus des Gebäudes Anpassungschancen an die jeweiligen Wohn- oder Betriebsverhältnisse bietet.
Architekten und Planer sollten daher wieder die vielleicht schon vergessenen sinnvollen Tugenden der Grundrissraster entdecken und sich daran erinnern, dass sie nicht Skulpteure, sondern dienende Gestalter für Menschen sind, die die geplanten Gebäude und Grundrisse möglichst problemfrei benützen können sollen. Aus diesem funktionalistischen Ansatz heraus gute Architektur zu produzieren, scheint mir die wahre Kunst. Eine solche neue »atmosphärische Sachlichkeit« kann sicher durch neue Baumodule und effiziente Vorfertigungs- und Montagetechniken unterstützt werden, zu beachten ist dabei aber, dass die Modularität nicht zur Uniformität degeneriert, damit die im vorigen postulierte Variabilität und Flexibilität nicht auf der Strecke bleiben.
Trend zur Vorfertigung wird zunehmen
Der Wohnungsbau ist vor allem im großvolumigen Wohnbau durch einen extremen Kostendruck geprägt. In Verbindung mit der kleinteiligen Struktur von Wohnungsgrundrissen lässt dieser Druck den Einsatz modularer Elemente im Wohnungsinneren zweifelhaft erscheinen. Die Bauträger greifen dann halt doch lieber zur herkömmlichen Gipskartonständerwand, zum klassischem Vollwärmeschutz mit eher karger Basisausstattung und überlassen die Ausgestaltung und Individualisierung den Sonderwünschen ihrer Mieter, denen sie in der Regel zumindest beim Mietwohnungsbau aus Angst vor Problemen bei Mieterwechsel eher geringeren Spielraum einräumen.
Trotzdem aber denke ich, dass auch im mehrgeschoßigen großvolumigen Wohnbau der Trend zur Vorfertigung zunehmen wird. Vor allem, wenn die geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse leichtere Anpassung an künftige Marktnotwendigkeiten erfordern. Wenn dann noch der rechte Winkel bei den Zimmern wieder modern wird, weil man draufkommt, dass sich solche Zimmer halt einfacher und kostengünstiger (und flexibler) einrichten lassen und wenn manche Architekten sich endlich wieder damit abfinden, dann sehe ich auch im Wohnbau die Chancen für den Einsatz modularer Elemente steigen. Allerdings bedarf es dazu nicht nur grundrisslicher Vorsorgen, sondern auch eines Umdenkens in der Haustechnik, die im Wohnbau heutzutage geradezu archaische Konzepte pflegt, was Leitungsführung und Flexibilität betrifft. Hier beim (guten) Bürohausbau Anleihen zu nehmen, wäre in Verbindung mit einem klaren konstruktiven Raster durchaus kein Fehler.