Seit dem Verfassungsgerichtshof-Beschluss im Juni 2017 sind die Richtwertverordnung sowie das Richtwertgesetz unangreifbar. Doch Unsicherheiten bleiben. In Wien etwa ist kaum eine Wohnung zu finden, die tatsächlich dem Richtwert von EUR 5,81 entspricht.
Ein Kommentar von Sascha Verovnik, Rechtsanwalt, Kanzlei ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH
Mit Kundmachung im Bundesgesetzblatt vom 12.03.2019 wurde erneut der Mietzinsrichtwert für alle Bundesländer angehoben. Er gilt für die mietrechtliche Normwohnung und bildet die Basis für die Berechnung des angemessenen Hauptmietzinses für Mietverträge im sogenannten Vollanwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes. Da der Richtwert mittlerweile in zweijährigen Zyklen angepasst und stets kurz vor dem 01.04. publiziert wird, löst das Gesetz bei den Betroffenen raschen Handlungsbedarf aus: Denn nur wenn Verwalter von Liegenschaften sowie Eigentümer den neuen Mietzins vor Fälligkeit im nächsten Monat vorschreiben, wird dieser wirksam.
Der Richtwert gilt für jede Wohnung zwischen 30 und 130 m², die in einem brauchbaren Zustand ist und über die vom Gesetz geforderten Ausstattungsmerkmale verfügt. Dabei gelten auch Faktoren, die für den durchschnittlichen Anwender nur schwer zu bewerten sind: So kann man in Zeiten des Immobilienbooms beispielsweise vortrefflich darüber diskutieren, ob sich ein Gebäude im ordnungsgemäßen Erhaltungszustand befindet oder die Lage überdurchschnittlich ist.
Wie man die Lage einer Wohnung beurteilt, wurde in Literatur und Judikatur in den letzten Jahren massiv diskutiert. Einen Meilenstein setzt dabei der Verfassungsgerichtshof-Beschluss vom 28.06.2017, mit welchem die Richtwertverordnung sowie das Richtwertgesetz auf Verfassungsmäßigkeit hin geprüft und bestätigt wurden. Seitdem sind das Gesetz sowie die dazu erlassenen Verordnungen nicht mehr angreifbar.
Unsicherheiten bleiben
Dennoch stellt sich ständig die Frage, den gesetzlich zulässigen Mietzins auf Basis des Richtwertes korrekt zu eruieren. Einhellige Meinung ist, dass der in der Praxis sehr wichtige Lagezuschlag ohne die Einbindung eines Sachverständigen (außer in Wien) nicht ermittelbar ist. Dabei müssen jedoch die tatsächliche (bundesländerabhängige) Situation und die entsprechenden Ergebnisse gegenübergestellt werden: Für die Steiermark wurde etwa der Richtwert mit EUR 8,02 verlautbart.
Jedoch wird auf dem Grazer Wohnungsmarkt der entsprechende Richtwert für die betroffenen Objekte selten erreicht bzw. liegt der angemessene Mietzins über dem auf dem Markt erzielten Betrag. Vergleichsweise liegt der Richtwert für Wien (Standort der meisten betroffenen Wohnungen) bei EUR 5,81. Auch unter Berücksichtigung der sozialpolitischen Notwendigkeit einer Regulierung des Mietzinses zeigt die Recherche auf Wohnungsportalen, dass dieser Quadratmeterpreis nur selten zu finden ist. Außerdem ist das Ergebnis auch unter Berücksichtigung der möglichen Zu- und Abschläge für eine entsprechende Wohnung nur schwer abzubilden. Allein der bereits erwähnte Lagezuschlag beschäftigt immer wieder Gerichte sowie Sachverständige.
Auch die jüngst von der Wiener MA 25 geänderten Erläuterungen zur Anwendung der Lagezuschlagskarte weisen darauf hin, dass es sich nicht um Fixbeträge, sondern um maximal mögliche Werte handelt. Deshalb und aufgrund der diesbezüglichen Gerichtsentscheidungen kann keinesfalls von einem zuverlässigen System gesprochen werden: Einerseits ist die Ermittlung des zulässigen Richtwertmietzinses eine Rechtsfrage, andererseits gibt es auch überschießende Kategoriemerkmale, die nicht erfüllte Merkmale kompensieren können. Obwohl das Richtwertsystem zwar verfassungsrechtlich unbedenklich ist, muss man sich in der Praxis dennoch mit gewissen Unsicherheiten abfinden und jedes Objekt – ungeachtet von sonstigen Vorgaben – genau unter die Lupe nehmen.
Autorenbeschreibung: Mag. Sascha Verovnik ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH. Zu seinen Schwerpunkten zählen unter anderem Liegenschaftsverkehr, Miet- und Wohnrecht sowie Bauträgervertragsrecht.