Sonntag, Dezember 22, 2024
»Die Preise werden nicht mehr steigen.«

Anlässlich des 150. Geburtstags der Porr hat der Bau & Immobilien Report CEO Karl-Heinz Strauss zum ausführlichen Interview gebeten. Er spricht über wichtige Meilensteine der Vergangenheit und die Zukunft des Bauens, über die Bedeutung echter Partnerschaft und verlorengegangenes Verantwortungsbewusstsein. Und er erklärt, wie sich die Porr auf einen möglichen Konjunkturabschwung vorbereitet.

Report: Die Porr feiert heuer ihren 150. Geburtstag und ist die älteste börsenotierte Gesellschaft des Landes. Die Porr hat im 19. Jahrhundert zahlreiche Ringstraßenbauten errichtet, dazu Pavillons und Hotels für die Weltausstellung, später den Ringturm oder auch die Großglockner Hochalpenstraße. Sie haben 2010 die Leitung der Porr übernommen. Welchen Stellenwert hat für Sie die Geschichte der Porr?

Karl-Heinz Strauss: Die Geschichte der Porr macht uns stolz. Sie ist motivierend, erfüllend, aber auch Verpflichtung. Stolz bin ich aber nicht nur auf die Geschichte, sondern vor allem auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die seit 150 Jahren die Leistung der Porr erst möglich machen.

Durch diese Geschichte gibt es für uns auch kaum echtes Neuland. Denn irgendwann haben wir in diesen 150 Jahren sicher alles schon einmal gemacht. Daraus ergibt sich aber auch eine enorme Verantwortung, der wir aber gerne nachkommen. Weil Bauen einfach Spaß macht.

Die 150 Jahre zeigen aber auch, dass man seinen Weg zwar unbeirrbar, aber am Boden bleibend gehen und man nicht alles so eng sehen soll. Wir haben so viele historische Ereignisse erlebt, so viele unterschiedliche Wirtschaftsphasen und Währungen, da muss man sich nicht über jede Kleinigkeit wie etwa eine Landtagswahl oder Ähnliches aufregen. Relevant ist, was wir aus den jeweiligen Situationen machen.

Report: Gelingt es, diese Gelassenheit auf die Belegschaft zu übertragen?

Strauss: Die Aufgabe von uns Führungskräften ist, umfassend zu informieren und zu motivieren, sich auch etwas zu trauen. Bauen ist unsere DNA. Die Herausforderung ist es, unsere Werte und unsere Prinzipien auf alle 20.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzuwenden. Wir haben unsere sämtlichen Leitbilder entrümpelt und dafür fünf zentrale Prinzipien entwickelt. Da geht es darum, wie wir innerhalb der Porr miteinander umgehen, was unsere Kundinnen und Kunden erwarten können und was Partner erwarten können. An der Umsetzung wird jeder Einzelne und jede Einzelne von uns gemessen, unabhängig von seiner oder ihrer Position. 

Report: Was sind aus Ihrer Sicht die Meilensteine von 150 Jahren Porr?

Strauss: Eigentlich sehe ich die ganzen 150 Jahre als Highlight (lacht). Die Porr wurde im Jahr 1869 gegründet, um den Herausforderungen der Zeit zu begegnen. Man hat jemanden gebraucht, der nach dem Schleifen der Wiener Stadtmauern die frei gewordenen Flächen bebauen konnte, der Bahnstrecken anlegen und die Donau regulieren konnte. Wann immer technologische Innovationen gefragt waren, war die Porr federführend. Das gilt noch heute. Das kann man aber nicht von oben verordnen. Für echte Innovationen muss die Bereitschaft aus der Belegschaft kommen.

Report: Wenn man von Innovationen spricht, geht es immer auch um Fehlerkultur. Wie würden Sie die Fehlerkultur der Porr beschreiben?

Strauss: Wir haben eine sehr gute Fehlerkultur. Ich habe meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer ermutigt, sich etwas zu trauen. Aber wenn etwas schief geht, ist es auch wichtig, das sofort aufzuzeigen. Fehler gehören dazu. Wer arbeitet, macht Fehler, nur wer nicht arbeitet, macht keine Fehler. Aus diesen Fehlern können wir ja auch lernen. Wobei es mir ehrlich gesagt noch lieber ist, von den Fehlern anderer zu lernen. Das ist billiger (lacht).

Report: Eine traditionsreiche Geschichte ist das eine, Gegenwart und Zukunft das andere. 2018 ist die Bauleistung laut vorläufigen Zahlen um 18 % auf 5,6 Mrd. Euro gestiegen. Die Auftragsbücher sind voll wie nie. Der Börsekurs bildet diese Performance aber nicht ab ...

Strauss: Der Börsekurs bildet die Entwicklung aus meiner Sicht noch nicht ab. Dafür gibt es auch ganz logische Gründe. Als der letzte CFO das Unternehmen verlassen hat, hat er seine Anteile abgestoßen. Das ist völlig legitim, hat uns aber sicher nicht geholfen. Dann gab es internationale Analysten, die bei steigenden Zinsen  die Bauunternehmen als vermeintliche erste Verlierer identifizierten. Was aber ein absoluter Blödsinn ist. Dazu kamen Gewinnwarnungen einzelner großer Unternehmen. Dadurch kamen Bautitel europaweit unter Druck. Dem Trend konnten auch wir uns nicht entziehen. Aber wir sind eine stabile Aktie mit einem attraktiven Einstiegskurs.

Report: Werfen wir einen Blick in die Zukunft des Bauens: Aktuell gibt es viele vermeintliche Zukunftsthemen und Paradigmenwechsel, von Lean Management über kooperative Projektabwicklung bis hin zu Digitalisierung mit BIM, Robotik, Automatisierung, Virtual & Augmented Reality oder künstliche Intelligenz. Was sind aus Ihrer Sicht die nachhaltigsten Trends und Entwicklungen, die das Bauen in Zukunft prägen werden?

Strauss: Vieles davon ist heute schon Realität. Aber das Wichtigste wird aus meiner Sicht sein, den Gedanken der Partnerschaft mit den Auftraggebern zu leben. Das ist im skandinavischen und angloamerikanischen Raum viel ausgeprägter. Ich halte den Ansatz des Billigstbieterprinzips für schlichtweg falsch. Denn da lauert jeder nur auf die Fehler des anderen, um seine Ansprüche durchzubringen. Mit Lean Design und Lean Construction und dem ganzheitlichen Ansatz des Early Contractor Involving glaube ich auch, dass wir diesen partnerschaftlichen Gedanken tatsächlich leben. Das reicht von der Ausführungsplanung bis zur Datenübergabe. 

Wir arbeiten heute in hochenergetischen Netzwerken mit Echtzeitinformation. Das führt dazu, dass alle Beteiligten zur gleichen Zeit alle relevanten Informationen haben, um schnell Entscheidungen treffen zu können.

Wir planen mit dem Bauherrn komplett im digitalen Modell und setzen Projekte mit Lean Construction im Zeit- und Kostenrahmen gemeinsam mit dem Bauherrn um. So stelle ich mir das Bauen der Zukunft vor. Wir haben auch schon gezeigt, dass das geht, gemeinsam mit der öffentlichen Hand etwa am Smart Campus in Wien. Wenn der Bauherr partnerschaftlich, kundig und entscheidungsfreudig agiert, dann kann man jedes Projekt innerhalb der vorgegebenen Zeit, in einer tollen Qualität und unter Budget abschließen.

Report: Eine Studie des Bau & Immobilien Report hat gezeigt, dass trotz aller Bekenntnisse zum partnerschaftlichen Bauen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer immer noch großes Misstrauen herrscht.

Strauss: Das trifft teilweise sicher zu. Ich glaube schon, dass grosso modo die Partnerschaftlichkeit gelebt wird. Anders würde es ja gar nicht gehen. Das Problem, gerade bei großen öffentlichen Aufträgen, ist, dass sich die Leute zusätzlich absichern müssen, weil es immer weniger Personen gibt, die Verantwortung übernehmen. Wenn man Jahre später für eine Entscheidung belangt werden kann, die im besten Wissen und Gewissen getroffen wurde, dann ist das äußerst problematisch. Das ist der Niedergang der Baukultur.

Wenn Auftraggeber glauben, dass sie mit einem wortgewaltigen Vertragskonvolut, gespickt mit juristischen Feinheiten ein Allround-Modell erstellen, ohne zu berücksichtigen, dass jedes Bauprojekt Änderungen und Entscheidungen erfordert, dann sind sie auf dem Holzweg. Und wenn große öffentliche Auftraggeber glauben, dass sie einen Bauleiter vor Ort mit einer Entscheidungskompetenz von 5.000 Euro ausstatten können, dann kann nichts Gutes dabei herauskommen. So ein Projekt landet unweigerlich vor Gericht.

Report: In einem Interview mit dem Bau & Immobilien Report haben Robert Tucheslau und Christa Pachler vom österreichischen Estrichverband ganz ähnliche Kritik geäußert. Dass niemand mehr Verantwortung übernimmt, dass man sich auf digitale Modelle verlässt, statt vor Ort Entscheidungen zu treffen und dass Auftragnehmer stark unter Druck gesetzt werden. Allerdings ging diese Kritik in Richtung Bauindustrie. 

Strauss: Dafür habe ich auch durchaus Verständnis. Aber wenn von Bauherrenseite immer nur der Preis zählt, dann wird dieser Druck natürlich weitergegeben. Und ich stimme Herrn Tucheslau und Frau Pachler auch zu, wenn sie kritisieren, dass Verantwortung heute nicht mehr en vogue ist. Das tut keiner Baustelle gut, denn Bauen braucht Entscheidungen. Selbst eine falsche Entscheidung ist besser als keine Entscheidung.

Teilweise muss man den Bauherrn, vor allem bei Einzelvergaben, aber auch den Vorwurf machen, dass sie mit völlig unrealistischen Budgets in Projekte gehen. Da wäre es klüger, mehr Zeit in die Planung zu investieren und damit echte Zeit- und Kostensicherheit zu bekommen. Wenn man kurze Bauzeiten will, braucht man den General- oder Totalunternehmer, der von Anfang an in das Projekt involviert ist. Die Entwurfsplanung kommt dabei immer noch vom Bauherrn, aber alles andere machen wir. Und wir optimieren dann die Einzelheiten, von der Ausführungsplanung über die Statik und die Bauzeiten bis zu Schalungsstrukturen. Das alles erfolgt digital, wird in digitale Kalkulationsmodelle übertragen und fließt in digitale Abwicklungsprogramme ein. Das hat auch Auswirkungen auf die Baustellen und die Baustellenlogistik.

Report: Wie sehen diese Auswirkungen aus?

Strauss: Auf der Baustelle werden auch in Zukunft immer noch Menschen arbeiten, keine Roboter und keine 3D-Drucker. Aber rund um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt es neue Prozesse und Logistikketten. Das Projekt ist schon im Vorfeld fertig gedacht, mit Augmented Reality kann man den tatsächlichen Baufortschritt mit dem Plan abgleichen. Wir arbeiten mit Echtzeitwetter- und -verkehrsdaten. Gibt es einen Stau, werden sämtliche Lieferanten umgeleitet oder Produktionskapazitäten von einem Standort zu einem anderen verlegt. Telematikdaten von Baumaschinen liefern uns eine verlässliche Leistungsübersicht und helfen uns, Störungen im Sinne einer Predictive Maintenance schon zu beheben, bevor sie tatsächlich eintreten.

Das ist vieles heute schon Realität oder zumindest in Versuchsbaustellen im Einsatz. Für viele dieser neuen Entwicklungen braucht man aber natürlich den richtigen Bauherrn, die richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch die richtigen Subunternehmen. Daran scheitert aktuell der flächendeckende Einsatz. 

Report: Noch geht es der Konjunktur gut, speziell der Bau boomt weiterhin. Spätestens Mitte, Ende 2020 soll sich das laut vielen Wirtschaftsforschern aber ändern. Teilen Sie diese Einschätzung und wie bereitet sich die Porr auf den Konjunkturabschwung, wann auch immer der kommt, vor?
Strauss: Wir sind in den letzten zwei Jahren um fast 40 Prozent gewachsen und wollen uns jetzt auf diesem hohen Niveau konsolidieren und intelligent weiterwachsen. Natürlich bereiten wir uns auf verschiedene Szenarien vor und spielen diese auch durch. Etwa die Frage: Was tun, wenn der Umsatz um 30 Prozent einbricht?

Report: Wie würde denn die Porr auf so ein Szenario reagieren?

Strauss: Das werde ich nicht öffentlich kommunizieren, aber wir hätten auch dafür eine Lösung. Ich sehe aber in den nächsten fünf Jahren weder im Tiefbau noch im Infrastrukturbereich einen Abschwung, in den nächsten zwei Jahren auch nicht im Hochbau. Die Frage wird sein, ob Zinserhöhungen kommen oder nicht. Das muss man abwarten.

Ich gehe aber auch davon aus, dass die Preise nicht steigen werden. Deshalb sind Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen enorm wichtig. Es geht zum einen um eine Vereinfachung der Prozesse durch Standardisierung, Harmonisierung und Automatisierung. Ertrag steht dabei vor Wachstum.
Wir blicken vorbereitet und vorsichtig optimistisch in die Zukunft.

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