Warum die Blockchain einen Paradigmenwechsel bringen wird, Unternehmensanwendungen aber nicht mit Bitcoin vergleichbar sind – Alfred Taudes steht dem Forschungsinstitut für Kryptoökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien vor und ist wissenschaftlicher Leiter und Koordinator des Forschungszentrums Austrian Blockchain Center (ABC).
Begriffserklärung: Was ist Kryptoökonomie?
Der zentrale Faktor von kryptoökonomischen Systemen ist eine Unveränderbarkeit der Dokumentation aller Prozesse, die durch Datenverschlüsselung erreicht wird. Mit Elementen aus der Spiel-theorie wird eine Manipulation – beispielsweise eine widerrechtliche Wiederholung einer bereits erfolgten Auszahlung – wesentlich erschwert: Es wäre dazu ein vergleichsweise hoher Aufwand notwendig, der einen künstlichen Eingriff letztlich unrentabel macht. Die Transparenz und Erschwernis von Fälschungen sollen ein hohes Vertrauen bei den Teilnehmern bewirken.(Quelle: Wikipedia, Report)
Report: Wird der Hype, der um die Blockchain derzeit herrscht, wieder vorübergehen?
Alfred Taudes: Nein, ganz sicher nicht. Es gibt mehrere Typen von Innovation. Die meisten sind eher punktuell. Sie verbessern bestimmte Bereiche, haben gesamtwirtschaftlich aber keinen profunden Effekt. Die Blockchain ist dagegen ein neues Kommunikationsprotokoll der Werte, ähnlich wie es das Internetprotokoll für Informationen gewesen ist, die plötzlich über alle Grenzen hinweg geteilt werden konnten. Ein anderes Beispiel ist die Eisenbahn, mit man innerhalb von wenigen Jahren Ausbau entfernte Regionen erreicht hat. In allen diesen Fällen kam es zunächst zu einem Hype am Aktienmarkt. Danach begannen die Systeme, die Wirtschaft grundsätzlich zu verändern. Auch die Blockchain wird das tun.
So überschätzt oft Innovationen in einer anfänglichen Phase sind, so unterschätzt werden die langfristigen Auswirkungen. Es ist gut möglich, dass in zehn Jahren die wertvollsten Unternehmen Blockchain-Unternehmen sein werden, ähnlich wie es Internetunternehmen heute sind.
Report: Der Blockchain-Technologie wird ein enormer Ressourcenhunger nachgesagt. Warum sollte sich ein solches Protokoll rein ökonomisch durchsetzen, zumal auch herkömmliche IT-Systeme die Nachvollziehbarkeit ihrer Prozesse bieten können?
Taudes: Der hohe Energieverbrauch betrifft öffentliche Blockchains wie Bitcoin oder Ethereum. In diesen Systemen ist nicht bekannt, aus wie vielen Netzknoten diese bestehen. Man kann also davon ausgehen, dass nicht alle Teilnehmer hehre Ziele verfolgen. Eine Möglichkeit, einen konsistenten Datenzustand zu bekommen, ist der Zwang zu einem sehr hohen Aufwand an Rechenleistung. Es ist der Preis für Peer-to-peer-Money, für ein Währungssystem, an dem jeder teilnehmen kann.
Unternehmensanwendungen basieren dagegen auf begrenzten Systemen. Man spricht hier von »Distributed Ledger Technologies« , bei denen zum Beispiel sämtliche Teilnehmer einer Lieferkette identifiziert sind. Die energieintensiven »Proof of work«-Methoden kommen hier nicht zum Einsatz, man setzt auf effizientere Protokolle. Dort ist es dann auch möglich, einem Konsortium von Akteuren mehr Rechte zu verleihen, um etwa über die Aufnahmeregeln für neue Teilnehmer zu entscheiden. Der Datenbestand ist weiterhin dezentral, aber man weiß: Diesen Knoten betreibt beispielsweise die WU. Die Lösungen haben einen Stromverbrauch wie herkömmliche Client-Server-Anwendungen. Sie schaffen so auch einen viel höheren Durchsatz.
Report: Bei Blockchain-Technologien spricht man von einer Demokratisierung von Infrastruktur – zu Recht?
Taudes: Die Strukturen sind im Gegensatz zu klassischen zentralen Systemen – mit jeweils einer Oberhoheit an der Spitze einer Organisation – tatsächlich demokratischer. Ich empfehle aber, genau hinzuschauen. Bei Bitcoin weiß man von wenigen Wallets, welche die meisten Währungseinheiten vereinen. Die größten Mining-Pools bündeln mehr als 51 % der sogenannten Hash-Power und könnten das Netzwerk nach Belieben dominieren.
In der realen Ökonomie sorgt der Staat für Sozialpolitik und Ausgleich. In der Kryptowelt gibt es den Staat nicht. Damit können auch ungeplante Machtkonzentrationen entstehen.
Freilich disziplinieren auch hier Ausstiegsmöglichkeiten. Wären genügend Leute mit dem herrschenden Bitcoin-System unzufrieden, könnte jederzeit mit einer »Fork« der Sourcecode der Blockchain dupliziert und abgeändert betreiben werden.
Report: Es braucht also mehr Regulierung auch von staatlicher Seite?
Taudes: Es gibt in Österreich sehr wohl eine Regulierung der ICOs, der »Token Offerings«, die für die Finanzierung von Risikokapital verwendet werden. An den Regeln dazu hat auch unser Forschungsinstitut mitgearbeitet. Mit Sandboxes wird es die Möglichkeit geben, gemeinsam mit der Regulierungsbehörde neue Geschäftsmöglichkeiten auszuprobieren. Das war übrigens auch einer der Erfolgsfaktoren Londons als Standort für Fintech-Startups.
Ich bin derzeit nicht überzeugt, dass es auch eine Regulierung des Handels von Kryptowährungen geben sollte. Das Problem wird überschätzt. Derzeit haben die Firmengründer von Google weit mehr Kapital vereint, als die Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen zusammengenommen ausmacht. Laut einer Untersuchung der Nationalbank besitzen zwei Prozent der Österreicher Kryptowährungen. Der jüngste Bitcoin-Crash mit 90 % Kursverlust hatte keinerlei Auswirkung auf die Realwirtschaft. Klar gibt es auch immer wieder Gauner, die mit Renditen – die zu schön sind, um wahr zu sein – ihre Mitmenschen abzocken. Wenn, dann sollte der Staat grundsätzlich mehr in eine Bildung in Ökonomie investieren. Das würde niemandem schaden.
Report: Welches sind gute Beispiele für Anwendungen im Unternehmensbereich?
Taudes: Wir haben im Austrian Blockchain Center zahlreiche Use-Cases. Niemand weiß heute zum Beispiel, was in den Lieferketten tatsächlich passiert. Also setzen wir dort auf eine Qualitätssicherung und Verfolgbarkeit entlang der Supply-Chain. Man sieht, wer die Produzenten und Lieferanten sind, unter welchen Bedingungen etwas hergestellt oder gewachsen ist.
Weiters werden in einer »Machine Economy« Maschinen untereinander Kryptowährungen austauschen.
Im öffentlichen Bereich, auch bei Banken geht es wiederum um die Verbesserung der Verwaltungsprozesse bei Compliance-Fragen. Der klassische Fall dazu ist »KYC – Know Your Customer«. Wollen Sie als Firma ein Konto bei einer Bank eröffnen, werden Sie in einen Papierkrieg ohne Ende reingezogen – insbesondere, wenn Sie auch ausländische Gesellschafter haben. Nach einer gewissen Zeit verfällt die Gültigkeit von Dokumenten. Damit beginnt der Bankenlauf wieder von vorne. Mit einer einheitlichen Blockchain könnten alle datenschutzgerecht auf die unterschiedlichsten Zertifikate zugreifen. Das würde auch dem Staat nutzen.
Ein anderer Bereich, der sicherlich wachsen wird, sind Community-Märkte für Energie. Wenn jeder mit einer Photovoltaikanlage am Dach zu seinem eigenen Energieproduzenten wird, könnte man den Überschuss direkt mit dem Nachbarn handeln.
Ähnlich sehe ich es bei Wertpapierabwicklungen mithilfe von »Security Tokens«. Ene Aktie ist eine werthaltige Einheit, ebenso wie es Bitcoin ist. Die Prozeduren, die wir im Aktienhandel haben, stammen allerdings aus der Postkutschenzeit. Deshalb dauert die Abwicklung eines Verkaufs bis zu zwei Tage. Auf einer Blockchain handeln Sie im Augenblick. Wir könnten damit die in Österreich immer noch unterentwickelte Risikokapitalfinanzierung auf eine neue Stufe heben.
ABC – das jüngste COMET-Zentrum
Mit dem »Austrian Blockchain Center (ABC)« wurde Ende 2018 ein K1-COMET-Zentrum (»Competence Center for Excellent Technologies«) zur Bündelung von Kompetenzen im Bereich der Grundlagen und der Anwendung von Blockchain-Technologien in Österreich ins Leben gerufen. Daran beteiligt sind 21 wissenschaftliche Einrichtungen, 54 Unternehmen und 17 assoziierte Mitwirkende, darunter 16 internationale Player. Zu den Forschungsschwerpunkten des Zentrums gehören Industrie 4.0, die Finanz-, Energie- und Logistikbranche sowie Anwendungen im öffentlichen Bereich und in der Verwaltung. Das ABC wurde Anfang April im Rahmen der Konferenz »ANON Blockchain Summit Austria« eröffnet.
blockchain-center.at