Österreich – Insel der Seligen oder Land am Rand des Abgrunds? Die Alpenrepublik kämpft tapfer gegen die Konjunkturflaute, andere Länder ziehen aber bereits an uns vorbei. Report(+)Plus hat renommierte Experten und Entscheidungsträger um ihre Einschätzung gebeten.
Bei den Themen Pensionen, Steuern, Bildung, Forschung herrscht seit Jahren weitgehend Stillstand. Was bedeutet das für die wirtschaftliche Zukunft Österreichs?
Report (+) Plus: Im Wahlkampf sorgte die Aussage »Österreich ist abgesandelt« für große Aufregung. Steht unsere Wirtschaft wirklich so schlecht da?
"Wir sind in der Beschäftigung, beim Export oder bei der Wirtschaftsleistung des Landes sicher noch gut. Was die Zukunftserwartungen für den Standort betrifft, verlieren wir hingegen schleichend an Boden. Andere vergleichbare Länder wie Schweden oder die Schweiz sind auf der Überholspur – bei uns drohen neue Erschwernisse für Betriebe, ob durch Eigentumssteuern, die Bestrafung von Überstunden oder generell sechs Wochen Urlaub für alle. All das schadet dem Standort und torpediert Wachstum und Beschäftigung."
Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich
"Die Faktenlage bestätigt diese Aussagen nicht, im internationalen Vergleich schneidet Österreich sehr gut ab. Wir haben beim BIP pro Kopf und bei der Beschäftigung eine Spitzenposition. Die Arbeitskosten liegen im EU-Vergleich im Mittelfeld, die Arbeitsproduktivität aber an der Spitze. Die Industrieproduktion hat sich weit über dem Durchschnitt der Länder der Eurozone und der EU insgesamt entwickelt. Wichtig ist, dass Österreich dringend alles unternimmt, um diese Position so zu halten und zu verbessern."
Erich Foglar, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes
"Zweifelsohne gibt es in der österreichischen Wirtschafts- und Bildungspolitik viele »Baustellen«, in der Allgemeinheit ist diese Aussage jedoch sicher maßlos überzogen. Im internationalen Vergleich hat Österreich die Finanz- und Wirtschaftskrise relativ gut überstanden, wenn man die Wachstums- und Arbeitslosenentwicklung betrachtet. So schlecht kann es also um die Qualität, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft nicht bestellt sein."
Harald Badinger, Professor am Department für Volkswirtschaft, Wirtschaftsuniversität Wien
Report (+) Plus: Österreich wird in internationalen Rankings als Land mit zunehmender Korruption, Bürokratie und hohen Steuern wahrgenommen. Haben wir ein Imageproblem?
"Von meinen vielen Auslandsreisen weiß ich, dass unser Land zuallererst als Erfolgsstory wahrgenommen wird. Unterlassene Reformen oder undurchsichtige Geschäftspraktiken sind diesem guten Ruf klarerweise nicht zuträglich. Daher wurden in puncto Korruptionsbekämpfung klare Schritte gesetzt, Vorkommnisse der Vergangenheit werden nun von der Justiz umfassend aufgearbeitet. Das ist richtig und gut so. Bei der Steuer- und Abgabenbelastung dürfen wir nicht noch eines draufsetzen, sondern müssen in Richtung Entlas-tung gehen. In der Verwaltung ist mehr Effizienz unerlässlich."
Christoph Leitl
"Rankings sind das eine – man muss auch die Interessen jener, die Rankings publizieren, im Auge behalten –, und die Fakten das andere: Die hohe Steuerlast kann man nicht leugnen, dem gegenüber steht aber ein hohes Maß an sozialer Sicherheit. Und wen betrifft die Steuerlast? Bei Steuern und Abgaben auf Arbeit ist Österreich international im Spitzenfeld, bei den Vermögensteuern jedoch liegen wir weit abgeschlagen zurück. Kritik an der Bürokratie ist berechtigt, wenn sie konkret und konstruktiv ist, aber oft schwingt ein unreflektiertes, liberales Überbleibsel der Losung »Weg mit dem Staat« mit. Es war aber letztlich genau der kritisierte Staat, der auf dem Höhepunkt der Finanzkrise die Vermögen derer gerettet hat, von denen diese Aburteilung des Staates ausging."
Erich Foglar
"Die Korruptionsfälle der jüngeren Vergangenheit haben zweifelsohne einen Imageschaden hinterlassen. Auch wenn die OECD Österreich bei der Korruptionsbekämpfung gar kein so schlechtes Zeugnis ausstellt: Perception matters, und darin hat sich Österreich im internationalen Vergleich tatsächlich verschlechtert. In dem Ranking von Transparency International ist Österreich seit 2005 von Platz 10 auf Platz 25 abgerutscht. Imagepflege durch eine konsequente und glaubwürdige Korruptionsbekämpfung ist eine wichtige Aufgabe und Länder wie Dänemark können hier als Vorbild dienen."
Harald Badinger
Report (+) Plus: Welche Maßnahmen sollte die neue Regierung unbedingt setzen, um die Wirtschaft zu stärken?
"Auch wir können wieder zu den Besten gehören, wenn wir bestehende Defizite offen und ehrlich diskutieren und die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. Wir müssen Erneuerungen durchführen und dürfen unsere Betriebe, von denen das Schaffen von Arbeit erwartet wird, nicht ständig mit neuen Belastungen konfrontieren. Zudem sind angesichts der nach wie vor lauen Konjunktur gezielte Impulse nötig, etwa Anreize für Investitionen oder ein Sanierungsbonus, also die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerarbeiten."
Christoph Leitl
"Die wichtigsten Ziele des ÖGB sind, dass die Regierung Rahmenbedingungen und Stimulanz für Wachstum und Beschäftigung, die Senkung der Arbeitslosigkeit und faire Einkommen schafft. Daneben ist auch der Anstieg der Lebenshaltungskosten zu kontrollieren: Mehr als die Hälfte der ArbeitnehmerInnen-Einkommen geht für Nahrungsmittel, Wohnen und Energie auf – und dort gibt es die größten Preissteigerungen. Entscheidende Bereiche sind auch Bildung, Forschung, Entwicklung und Innovation."
Erich Foglar
"Langfristig wird sich die österreichische Wirtschaft nur über einen Qualitätswettbewerb behaupten können. Um darin international erfolgreich bestehen zu können, braucht es stabile Rahmenbedingungen, innovative Unternehmen und bestens ausgebildete Arbeitskräfte. Das erfordert weitere massive Investitionen in die Qualität unseres Bildungssystems, von den Volksschulen bis hin zu den Universitäten, und eine aktive Politik der Forschungsförderung. Im Grundsatz wird das niemand bestreiten. Es ist zu hoffen, dass sich die künftige Bundesregierung dieser Themen mit neuem Schwung annehmen wird."
Harald Badinger