Unternehmensgründer Helmut Fallmann werkt mit Fabasoft in vorderster Reihe bei E-Government und Cloud-Computing. Er sucht nach einer selbstbewussten, europäischen Antwort auf die herrschende Dominanz von US-Unternehmen in der IT-Branche.
Report Plus: In der IT-Branche dominieren derzeit vor allem Anbieter aus den USA den Markt. Vor welcher Herausforderungen steht dazu die europäische Wirtschaft? Sehen Sie diese Dominanz als Problem?
Helmut Fallmann: Vor einiger Zeit war Europa mit Unternehmen wie Olivetti, Nixdorf, Bull, ICL oder Siemens glänzend am Markt präsent, auf Augenhöhe mit IT-Unternehmen aus den USA. Diese Ära ist zu Ende gegangen. Oft werden heute europäische IT-Unternehmen spätestens beim Erreichen einer global relevanten Marktbedeutung von US-Konzernen geschluckt. Nehmen Sie beispielsweise FAST her, ein Suchmaschinenexperte aus Norwegen, der von Microsoft gekauft wurde – oder der Kauf des britischen Softwareherstellers Autonomy. Die Akquisition hat sich für HP am Papier zwar als Megadisaster mit 8,8 Milliarden Dollar Abschreibungen erwiesen, ist strategisch aber ein Erfolg. Es ist auch schön, wenn Bildungsinstitutionen wie die ETH Zürich enge Partnerschaften mit Google eingehen. Was aber hat der Wirtschaftsstandort Schweiz davon, wenn die besten, aufwendig mit Schweizer Steuergeld ausgebildeten Köpfe in die USA gehen und dort für amerikanische Gewinne sorgen?
So gehen nach und nach die europäischen Player kaputt. Auch wir bekommen regelmäßig Übernahmeangebote, denken aber nicht daran, zu verkaufen. Fabasoft wird ein europäisches Unternehmen bleiben.
Report Plus: Die Diskussion, an welchen Orten Unternehmen Daten gespeichert halten, ist durch den großen Trend zu Cloud Computing, aber auch durch Überwachungsskandale wie jenen rund um PRISM wieder angefacht worden. Was können europäische Unternehmen dem überhaupt entgegensetzen?
Fallmann: Da sehen wir einen klaren Weg: Unternehmen und Volkswirtschaften sollten ähnlich wie in der Energiewirtschaft nach einer Versorgungssicherheit auch in der IT streben. Es ist ja schon erstaunlich, wie abhängig wir uns bislang gemacht haben. Was passiert denn, wenn die Datenleitung nach USA einmal kaputt geht? Was funktioniert dann noch in Europa? Google jedenfalls wird niemand nutzen können.
Einen ähnlichen Weg hat man auch in der Flugzeugindustrie vor Jahrzehnten begonnen. Er wurde von Persönlichkeiten wie Franz Josef Strauß eingeschlagen, die oft auch undiplomatisch stets das sagten, was sie sich dachten. Strauß hat in einer Rede im Jahr 1970 den Aufbau einer europäischen Großraumflugzeugindustrie gefordert. Damals hatten Boeing und McDonnell zusammen 85 % Marktanteil, und Strauß wurde für seine Vision einfach ausgelacht. Man konnte sich damals eine so komplexe länderübergreifende Zusammenarbeit nicht vorstellen und hatte Angst vor scheinbar vorprogrammierten Verlusten. Heute ernten wir die Früchte dieser europäischen Zusammenarbeit und haben eine Airbus-Industrie, die auf Augenhöhe mit Boeing weltweit um Aufträge rittert. Wenn sich die Europäer einmal ein Herz nehmen und kompetitiv agieren, dann stellen sich auch die Erfolge ein. Wir haben die besseren Ingenieure. Und die besseren Hirne. (lacht)
Report Plus: Bei einer Mitbestimmung auf einem Markt geht es auch um Unternehmensgröße – letztlich müssten europäische IT-Dienstleister doch fusionieren, um ein strategisches Momentum zu erreichen.
Fallmann: Nun, es würde ausreichen, auf Basis gemeinsamer Standards zusammenzuarbeiten. Bei unserer Idee von den „United Clouds of Europe“ wären Zertifizierungen, Sicherheitsaudits und Authentisierungslösungen für die Anwender von Haus aus geregelt und klar. Besonders flexible IT-Dienste, die von Dritten bereitgestellt werden, leben von einer Agilität im Ausrollen und der schnellen Verfügbarkeit für die Anwender. Diese ist nicht möglich, wenn zuerst einmal die Rechtsabteilung im Unternehmen das Vertragswerk mit dem Cloud-Computing-Anbieter langwierig prüfen muss. Wir benötigen deshalb ein europäisches Vertragsmuster, das auf herrschende Gesetzgebungen eingeht und Qualitätsstandards garantiert, die letztlich vielleicht auch von EU-Behörden vorgegeben werden. Unternehmen können dann bei fairen Vertragsbedingungen IT-Dienste ohne Verzögerung in Anspruch nehmen und nutzen. Auch muss dabei der Ort, an dem Daten gespeichert werden, für die Kunden wählbar sein.
Report Plus: Fabasoft tritt hier als europäischer Anbieter auf. Was ist nun an ihren Services besser als bei der US-Konkurrenz?
Fallmann: Zunächst ist bei unseren Lösungen der Sourcecode nicht in der Hand Dritter, sondern liegt vollständig bei Fabasoft. Dann bieten wir die geforderte lokale Versorgungssicherheit, indem wir die IT-Dienste auf unserer eigenen Hardware und eigenen Software in europäischen Rechenzentren selbst betreiben. Unsere Kunden können das Rechenzentrum besuchen, sich selbst ein Bild machen und mit den Betriebsführern persönlich sprechen. Wir haben österreichische Dienstverträge, arbeiten hier im Land und werden nach österreichischem Recht gemessen. Wir machen uns nicht von anderen Softwareanbietern und deren monopolartigen Marktstellungen abhängig. Unsere Kunden wissen selbstverständlich, was mit ihren Daten passiert und wo diese gespeichert liegen. Wir können den Zugriff auf diese Daten auf einzelne Nutzer genau regeln. Anderswo sollten Unternehmen genau prüfen, auf welche Partner sie sich wirklich einlassen wollen. Nehmen Sie nur Youtube her: Sobald Sie dort ein Video hochgeladen haben, geben Sie die Rechte dafür ab. Sie werden enteignet.
Ich will aber US-Anbieter nicht nur kritisieren. Salesforce.com etwa ist ein Unternehmen, das positiv heraussticht. Salesforce bietet vernünftige Service-Level-Agreements und erlaubt seinen Unternehmenskunden, die Rechenzentren der Salesforce zu auditieren. Wir haben auch dort leider noch immer das Problem, dass die Daten in USA gehalten werden – und theoretisch von der US-Administration per Gesetz eingesehen werden können. Das Unternehmen hat versprochen, dies zu ändern und Daten künftig auch in Europa zu lagern. Es sind vielmehr durchsetzungsstarke Anbieter wie Google oder Microsoft, die zwar gute Produkte haben, dem Markt aber ihre Bedingungen diktieren können.
Report Plus: Auch auf politischer Ebene will Brüssel einen einheitlichen Binnenmarkt für die heimische IT-Industrie fördern. Wie weit ist man hier bereits gekommen?
Fallmann: Aus Sicht der IT-Branche ist das Thema Datenschutz wahrscheinlich das wichtigste Vorhaben in der jetzigen Legislaturperiode. Die geplante Datenschutz-Grundverordnung wird ein einheitliches Regelwerk für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch Unternehmen bieten. Kommissarin Viviane Redding ist natürlich unglücklich darüber, dass ihr neues Gesetz zum Thema Datenschutz noch nicht verabschiedet ist. Und man kann sich als Europäer auch nur wünschen, dass es bald zustande kommt, auch wenn einzelne Mitgliedsländer einen Konsens hier nun schon viel zu lange verschleppen – darunter auch Deutschland. Mit der einheitlichen Verordnung, die auch für international tätige Unternehmen gelten wird, soll auch ein Recht auf die Löschung von persönlichen Daten eingeführt und generell der Datenschutz, der für alle EU-Bürger automatisch gelten wird, gestärkt werden.
Der Umgang mit personenbezogenen Daten wird heute in einem intransparenten Wirrwarr an nationalen Bestimmungen ja eher von den Konzern aristokratisch bestimmt. Auch wenn das Wirtschaftsleben in der EU vorrangig von einer breiten Basis der kleinen und mittleren Unternehmen getragen wird, sind es auch bei diesem Thema die Großen, die gegen schärfere Bestimmungen argumentieren und lobbyieren. Über Tricks, beispielsweise geringe Vergünstigungen bei Produkten, werden dann die Bürger dazu gebracht, ihre Daten der Wirtschaft sorglos zu Verfügung zu stellen. Nehmen Sie hier Gmail: Wer diesen kostenlosen Service nutzt, muss seine Persönlichkeitsrechte und den sonst üblichen Datenschutz aufgeben. Der Dienst finanziert sich über Werbung, die inhaltsbezogen zugeschaltet wird.
Dass einheitliche Standards für den Erfolg in der Industrie sorgen, haben uns Branchen wie die Energiewirtschaft oder die Automobilindustrie bewiesen. Oder haben Sie schon einmal einen BMW-Fahrer gesehen, der nur zu BMW-Tankstellen fährt? Es ist nun auch in der IT eine Infrastruktur nötig, in der sich die Unternehmen aussuchen können, welche Tankstellen sie nutzen.
Report Plus: Ist es nicht auch ein Problem der europäischen Wirtschaft, dass man in vielen Dingen zu vorsichtig und zurückhaltend ist?
Fallmann: Das sehe ich nicht. Wir haben hunderte Jahre für heute selbstverständliche Dinge wie ein Briefgeheimnis gekämpft. Ich glaube, dass den Menschen einfach nicht bewusst ist, was sie da aufgeben. Für die Wirtschaft sind personenbezogene Daten die neue Währung. Die einzige Chance, die Menschen in dieser oft komplexen Materie zu schützen, ist, übergeordnet geltendes Recht zu schaffen – im Sinne des europäischen Wertesystems.
Bei Videoplattformen etwa gibt es bereits einige europäische Anbieter, die genau dieses Thema adressieren. Die Rechte an den Videos bleiben da bei den Unternehmen. Die Anbieter sind auch persönlich greifbar, die Nutzungsverträge entsprechen EU-Werten. Das ist also keine Utopie, sondern bereits auch Praxis. Auch die EU-Kommission weiß hier sehr genau, was sie will, und verfolgt einen klaren Weg, auf den sich die Mitgliedstaaten nun endlich einigen sollten.
Report: Abgesehen von den Bürgerrechten: Wie wichtig ist das Argument einer transparenten, funktionierenden IT-Landschaft für den Wirtschaftsstandort Europa?
Fallmann Plus: Heute können Sie ohne IT in keinem Marktsegment mehr erfolgreich sein. Die Banken sind da sehr weit, und auch Branchen mit einem starken kooperativen Fokus, wie die Automotiveindustrie. Die eigentliche Herausforderung ist nun, die internen Unternehmensprozesse, die bei den meisten bereits sauber auf IT-Basis umgesetzt sind, auch gegenüber Dritten zu ermöglichen. Auch die Verwaltung geht dazu gerade in Österreich mit gutem Beispiel voran. Und wieder benötigte es zunächst gesetzliche Grundlagen für die Abwicklung des elektronischen Rechtsverkehrs. Wir haben die mobile Version der Bürgerkarte, mit der sich Nutzer mit einer staatlich garantierten Identität rechtssicher mit dem Handy authentifizieren können. Das ermöglicht den Zugang zu bestimmten Diensten oder auch zu meinem Arbeitsplatz auch aus 1000 Kilometern Entfernung. Mit dem digitalen Firmenbuch, Grundbuch, Ediktsdatei der Justiz, dem elektronischen Rechtsverkehr mit Gerichten und vielem mehr haben wir das Zeitalter der Stempelmarken abgelöst. Daran könnten sich viele Unternehmen, die nach wie vor zu viel Papier verschicken, ein Beispiel nehmen. Freilich ist auch E-Mail nicht das ideale Medium, um Rechnungen zu verschicken – aber immer noch besser als die Briefpost.
Ich wäre auch dafür, dass die Geheimniskrämerei um unternehmerische Zahlenwerke aufhört und jedes Unternehmen unabhängig von seiner Größe jenen Publikationspflichten unterliegt, die für Börsennotierte selbstverständlich sind. In der Wirtschaft dreht sich vieles um das Thema Vertrauen. Wenn ich mit jemandem zusammenarbeite, dann möchte ich doch sehen können, wie es meinem Partner wirtschaftlich geht. Der Konkurs der Alpine ist ein gutes Beispiel: Auch hier haben einige Unternehmer draufzahlen müssen, die sich nicht vorstellen konnten, wie es um die Alpine gestanden ist. Hätte es saubere, nachvollziehbare Unterlagen transparent gegeben, die von Konzernvorständen verantwortet werden, hätten wir heute ein paar Probleme weniger. Ich würde überall sauber publizierte Bilanzen den Informationen aus den Gerüchteküchen vorziehen. Bei Fabasoft ist offengelegt, dass wir keine Schulden haben, und über welchen Cash- und Mitarbeiterstand wir verfügen.
Ich sehe auch nicht ein, warum es in Europa in jedem Land eigene Rechnungslegungsvorschriften gibt und ich in jedem Land dreimal bilanzieren muss – handelsrechtlich, steuerrechtlich und einen Abschluss nach International Financial Reporting Standards (IFRS). Ein europaweit einheitliches Rechnungslegungsgesetz würde auch ermöglichen, dass auch die Bilanzen von anderen Unternehmen leicht verstanden werden können. Detailwissen zu UK-GAAP, dem deutschen Handelsrecht, österreichischen UGB und Vorschriften aus den anderen Ländern sind dann nicht mehr nötig. Überhaupt ist Transparenz ein wesentlicher Begriff unserer Zeit. Transparenz und das europäische Wertesystem werden unsere Zukunft und auch die Unternehmen und ihre Produkte und Services bestimmen. Dies betrifft die Art und Weise, wie Kleidung in Asien produziert wird, ebenso, wie Kakaobohnen geerntet und IT-Dienste angeboten werden.
Ich sehe mich in erster Linie als Europäer. Ich bin zwar stolz, in dem Teilstaat Österreich leben zu dürfen, hätte aber trotzdem lieber einen europäischen Pass. Die Vereinigten Staaten von Europa sind ein großer persönlicher Wunsch. Dazu gehört nun Mut und auch die Kraft, politische Themen und Diskussion nach Brüssel abzugeben. Sind wir ehrlich: Allein Datenschutz ist ein so komplexes Feld, dass es von hiesigen Politikern kaum verstanden wird. Es betrifft grenzüberschreitend und themenübergreifend so viele Bereiche, dass es besser auf einer höheren Ebene in Brüssel verhandelt werden muss. Freilich wird es weiterhin viele Themen geben, die lokal behandelt und diskutiert werden sollen. Europäische Themen haben aber klar ihren Platz in Brüssel und gehören dort geregelt.