Dienstag, November 26, 2024

Bei der Fusion von Unternehmen prallen oft sehr unterschiedliche Kulturen aufeinander. Den »weichen« Faktoren wird jedoch zu wenig Beachtung geschenkt: Mehr als die Hälfte der Zusammenschlüsse erfüllen nicht die strategischen und finanziellen Erwartungen.

Von Angela Heissenberger

Als die US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 Insolvenz anmeldete, nahm eine der schwersten weltweiten Finanzkrisen ihren Lauf. Um die Angestellten, die mit ihren in Pappkartons verstauten Habseligkeiten hastig das Bürogebäude in der Wall Street verließen, musste man sich trotzdem keine Sorgen machen. Der japanische Börsenspezialist Nomura übernahm für 225 Millionen US-Dollar die Asia-Pacific-Töchter, die Einheiten für Europa und den Mittleren Osten kosteten gar nur zwei Millionen Dollar. Nomura sicherte sich damit versierte Investmentprofis, die mit den Gepflogenheiten auf diesen Märkten vertraut waren.

Der Coup sollte die expansionshungrigen Japaner auf einen Schlag zu Global Playern machen, so der Plan. Die Rechnung ging nicht auf: Nomura schlitterte in ein finanzielles Debakel. Fast alle der mehr als 8.000 ehemaligen Lehman-Angestellten verließen das sinkende Schiff bereits nach wenigen  Monaten. Um die wichtigsten Mitarbeiter zu halten, bot das Unternehmen Spitzenboni für zwei Jahre Bindung. Nach dem Ende dieser Frist setzte dennoch ein Exodus der Top-Leute ein. Zu unterschiedlich waren die beiden Kulturen, zu gering die Bereitschaft, aufeinander einzugehen.

Die Lehman-Banker waren gewohnt, selbstständig und rasch Entscheidungen zu treffen und leistungsgerecht bezahlt zu werden. Nomura pflegte dagegen das asiatische Konsensprinzip. Für besonderen Unmut sorgten das Singen der Firmenhymne bei Morgenbesprechungen und detaillierte Kleidungsvorschriften. Frisch eingestellte Mitarbeiterinnen, darunter Harvard-Absolventinnen, wurden zu einem Lehrgang abkommandiert, wo ihnen adäquate Frisuren sowie die richtige Teezubereitung beigebracht werden sollten. Die selbstbewusst auftretenden Frauen stießen wiederum die zurückhaltenden Asiaten vor den Kopf. Die konservative Wertehaltung zeigte sich auch in der Konzernstruktur: Bis zum Schluss war der Vorstand ausschließlich mit japanischen Männern besetzt.

Emotionale Befindlichkeiten

Auch wenn ein solcher Clash der Kulturen nicht die Regel ist, völlig friktionsfrei laufen auch Fusionen innerhalb eines Kontinents oder gar eines Landes nicht ab. Jede Veränderung erzeugt Irritationen unter der Belegschaft. Aus dem Zusammenschluss zweier Firmen sollte das Unternehmen nach der Formel »1+1=3« gestärkt hervorgehen – das Gegenteil ist jedoch oft der Fall. Interne Querelen und Widerstände verhindern den erhofften Zuwachs an Marktanteilen und Erträgen oder führen letztlich zur Liquidierung des übernommenen Betriebes. »Unfassbar, was hier an Ressourcen, Humankapital und Energie regelrecht vernichtet wird«, erklärt PR-Stratege Wolfgang Rosam, der als »Change Communicator« schon einige Merger & Akquisitionen begleitete. Scheitern Übernahmen, liegt es meist an »emotionalen Befindlichkeiten«, weiß Rosam. Alle rechtlichen und finanziellen Details werden bereits im Vorfeld abgeklärt – auf die zwischenmenschliche Ebene vergisst man dagegen gerne. Neue Strukturen, andere Teamkollegen, geänderte Entscheidungswege führen zu klimatischen Verstimmungen, die möglichst schnell bereinigt werden sollten.

»Neuen Mitarbeitern muss man mit Ehrlichkeit begegnen, auf die alte Firmenkultur Rücksicht nehmen und klare Meilensteine für den Wandel definieren«, plädiert Robert Kremlicka, Partner der Unternehmensberatung A.T. Kearney, für einen »bedächtigen Kulturwandel: »Bedächtig heißt dabei nicht langsam, sondern unter Rücksicht auf die formellen und informellen Wertestrukturen des übernommenen Unternehmens. Die Mitarbeiter sind sich in der Regel bewusst, dass massive Änderungen auf sie zukommen, und je früher sie in die Realisierung eingebunden werden, desto leichter ist es »on the job« den Kulturwandel zu bewerkstelligen.« Viele Unternehmensberater halten sogar die sogenannten »weichen« Faktoren für Erfolg oder Scheitern einer Übernahme für entscheidend – unabhängig davon, ob diese »freundlich«, also in beiderseitigem Einvernehmen, feindlich oder zur Rettung eines maroden Betriebes erfolgt. Dem »Global M&A-Survey 2010« zufolge, für den die Beratungsgesellschaft Hewitt Associates 278 weltweit agierende Unternehmen befragte, erreichen mehr als die Hälfte aller Transaktionen weder das geplante finanzielle noch das strategische Ziel. 57 % der Unternehmen gaben an, während des Veränderungsprozesses wichtige Entscheidungsträger und talentierte Mitarbeiter verloren zu haben.

»Will eine Firma ihre Ziele und Erwartungen vollständig erfüllen, muss sie deutlich mehr Zeit für die Bewertung von Positionen wie zum Beispiel dem Humankapital, der Organisationsstruktur und der Führungskompetenz veranschlagen«, sagt Nadja  Varlese, Senior Consultant bei Hewitt Associates. Wichtig sei eine klare und effektive Strategie, um insbesondere das Managementteam und die Kerntalente im Veränderungsprozess zu motivieren und zu binden. »Nur so können sich Unternehmen auch in harten ökonomischen Zeiten einen stabilen Wettbewerbsvorteil verschaffen«, meint Beraterin Varlese.

Szenen einer Ehe

Drei Ebenen geben den Ausschlag, ob auch tatsächlich zusammenwächst, was ab nun zusammengehören soll: Ein erster Dämpfer ist meist das Ausbleiben wirtschaftlicher Erfolge. Tritt dann eine psychologische Dynamik in Gang, ziehen sich Mitarbeiter aus Angst vor neuen Strukturen in die innere Emigration zurück oder verlassen fluchtartig das Unternehmen. Das dritte Risiko ergibt sich durch fehlgeleitete Kommunikation – gerade bei Fusionen von ehemaligen Konkurrenten lassen sich über die Jahrzehnte aufgebaute Feindbilder später kaum noch revidieren. Als Lehrbeispiel für gescheiterte Merger ging der Zusammenschluss von Daimler und Chrysler in die Geschichte ein. Neun Jahre nach der »Hochzeit, die im Himmel geschlossen wurde«, wie Daimler-Chef Jürgen Schrempp 1998 euphorisch schwärmte, standen die beiden Autokonzerne vor den Trümmern ihrer Ehe. Rund 40 Milliarden Euro kostete die bis dahin größte Fusion der Industriegeschichte. Der Atlantik trennte die beiden Unternehmen auch in den Köpfen, die Unterschiede in Mentalität und Arbeitsauffassung blieben bis zuletzt unüberbrückbar. Die Amerikaner legten Wert auf persönliche Kontakte und setzten ambitionierte Ziele, was die eher konservativ kalkulierenden, detailliert planenden Deutschen auf die Palme brachte. Die Front zwischen den »Showmastern« und den »Spaßbremsen« verhärtete sich zusehends. Auch die Geringschätzung der Mercedes-Händler, die Chrysler-Modelle als »amerikanischen Schrott« abqualifizierten, erwies sich nicht gerade als förderlich.

Eine tiefe Abneigung muss dabei nicht einmal über Ländergrenzen hinweg reichen: Die Verschmelzung der »roten« Zentralsparkasse, in der zuvor bereits die Länderbank aufgegangen war, mit der »schwarzen« Creditanstalt führte 1997 noch zu Demonstrationen der Mitarbeiter vor der CA-Zentrale. Erst als sich das Fusionskarusell weiterdrehte und die Bank Austria von der deutschen HVB und später von der italienischen UniCredit übernommen wurde, entstand so etwas wie ein Gefühl von Zusammenhalt, der sich freilich als Bastion gegen die ausländische Konzernmutter versteht. Auch die kleinen Klüngel und Stammtische aus alten Zeiten bestehen weiterhin, so wie jeder altgediente Mitarbeiter selbstverständlich vom anderen weiß, aus welchem »Stall« er oder sie ursprünglich kommt.

»Eine hohe Ähnlichkeit bedeutet nicht zwangsläufig das Ausbleiben von Integrationsproblemen«, meint die deutsche Unternehmensberaterin und M&A-Expertin Silke Grosse-Hornke. »Gerade bei großer Ähnlichkeit der Kulturen kann es zu einer Kontrastverstärkung, also einer Überbetonung geringfügiger Unterschiede und damit zu Abgrenzungstendenzen kommen.« Bei der Vero Management AG, die durch mehrere Zukäufe zur Nummer drei auf dem österreichischen Versicherungsmarkt heranwuchs, nimmt man die emotionale Integration der eingegliederten Makler sehr ernst. »Versicherungsunternehmen gleichen sich nur auf den ersten Blick, schon allein die Entlohnungs- und Provisionssysteme unterscheiden sich. Dazu gibt es in jedem Betrieb lieb gewonnene Eigenheiten und unterschiedliche Geschwindigkeiten, das braucht alles Zeit«, sagt Vero-Vorstand Christian Kaiser.

Aufbruchstimmung

Elisabeth Leyser, geschäftsführende Gesellschafterin der Unternehmensberatung Hill International, ist überzeugt, dass die Integration in Merger-Prozessen nicht nur in den Köpfen, sondern vor allem auch auf emotionaler Ebene erfolgen muss. Hill wendet deshalb eine neue, von der britischen Beratergruppe »nowhere« entwickelte Methode an, die ursprünglich aus der Gestaltpsychologie kommt und bereits bei M&A in den USA, der Schweiz und China angewandt wurde. Mit sogenannten »Micro-Skills« – Interventionen von fünf Minuten bis zu ein-einhalb Stunden – wird die in Gruppen wirkende Energie gesteuert. Das Ergebnis sei, so Leyser, verblüffend: »Letztlich entsteht eine gemeinsame Idee, auf der alles andere aufbauen kann. Es geht nicht mehr um vorgegebene Strategien und Grenzen. Und was das Schöne daran ist: Es bleibt so lebendig, weil es sich immer wieder neu nährt. Ich bin überzeugt, dass diese Motivationsfaktoren gerade für junge Mitarbeiter der Generation Y eine wesentliche Rolle spielen werden.«

In großen Unternehmen und Konzernen werden für Integrationsworkshops gezielt Schlüsselpersonen ausgewählt, die den Merger positiv und aufgeschlossen mittragen. Auch wenn ein Betrieb samt Namen völlig in einer neuen Struktur aufgeht und zunächst ein Stück Identität verloren geht, eröffnen sich für viele Mitarbeiter meist interessante Karriereperspektiven: Die Aufstiegsmöglichkeiten sind in Betrieben mit mehreren Produktlinien oder Standorten breiter gesät. Insbesondere für Mitarbeiter der zweiten Ebene bietet sich die Chance , sich für leitende Positionen zu qualifizieren. Führungskräfte können sich durch aktives Management profilieren. Fruchtet die Kommunikationsarbeit, mündet der Neubeginn im Idealfall in eine Aufbruchstimmung, die das ganze Unternehmen mitreißt.


Facts - Der Fall Aventis
Die Verschmelzung der Hoechst AG (Frankfurt/Main) mit der Rhône-Poulenc S.A. (Straßburg) zur Aventis S.A. war eine der bemerkenswertesten und kurzlebigsten internationalen Fusionen. Auffallend war nicht nur die Geschwindigkeit, mit der 1999 der Zusammenschluss der beiden Chemie- und Pharmaunternehmen zu einem breit ausgerichteten »Life Science«-Konzern erfolgte, sondern auch die Radikalität, mit der eine neue Unternehmenskultur implementiert wurde. Als Leitbild formulierte man sieben Werte, die den mehr als 90.000 Mitarbeitern unterschiedlichster Herkunft Orientierung geben sollten. Zur Verankerung dieser Werte startete eine Reihe von Workshops; zunächst für 150 Top-Führungskräfte, später für weitere 500 Teilnehmer, die sich in Gruppen von bis zu 40 Personen in Europa und den USA trafen. Nach einem Jahr sollten so 7.000 Mitarbeiter weltweit erreicht werden.

Der große Aufwand machte sich nicht bezahlt. Trotz des wirtschaftlichen Erfolgs war der Fusionsprozess durch zahlreiche Konflikte geprägt. Schon während der ersten Monate verließen viele qualifizierte Mitarbeiter das Unternehmen, da ihnen die Unsicherheit zu groß erschien. Auch die Sprachprobleme entpuppten sich als gravierend. Etliche Mitarbeiter beherrschten die neue Konzernsprache Englisch nicht ausreichend, vor allem französische Führungskräfte hielten Besprechungen weiterhin in ihrer Muttersprache ab. Bedingt durch den Abbau von Hierarchieebenen und Verkäufe einiger Unternehmenssparten entfachte sich zwischen deutschen, französischen und amerikanischen Managern ein Kampf um die noch verbliebenen Führungspositionen. Die Querelen fanden ein jähes Ende: Mitte 2004 fusionierte Aventis mit dem französischen Pharmakonzern Sanofi-Synthélabo, der zuvor ein feindliches Übernahmeangebot gestellt hatte.

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