Zwölf Parteien rittern bei der bevorstehenden Nationalratswahl um das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler. Report(+)Plus hat renommierte Politologen und Meinungsforscher um ihre Einschätzung gebeten.
1. Nahezu alle Parteien versuchen sich diesmal als Wirtschaftspartei zu präsentieren. Wem gelingt das überzeugender?
Peter Filzmaier, Politikwissenschaftler und geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Strategieanalysen (ISA):
Entscheidend ist, was die Wähler subjektiv glauben und nicht, wer objektiv Recht hat. In der Wahlforschung fragt man dazu »Welche Partei halten sie beim Thema Wirtschaft für am kompetentesten?«. Hier wird immer noch der ÖVP am meisten zugetraut. Doch das wissen die anderen Parteien, also interpretieren sie Wirtschaftspolitik einfach in ihrem Sinn, es würde primär um Arbeitsplätze gehen (SPÖ) oder gegen Korruption (Grüne). Das ist beiden bisher sehr gut gelungen, auch mit unfreiwilliger Hilfe der ÖVP.
Sophie Karmasin, Psychologin und Betriebswirtin, Geschäftsführerin der Karmasin Motivforschung:
Aus verschiedenen Untersuchungen (zuletzt für den ORF) wissen wir, dass den ÖsterreicherInnen die Themen »Schaffen neuer Arbeitsplätze« und »Ankurbeln der Wirtschaft« besonders wichtig sind. 92 % bzw. 86 % stufen diese beiden Themen als (sehr) wichtig für die Entscheidung für eine Partei bei der Nationalratswahl ein. Nicht umsonst bemühen sich alle Parteien, auf diese Fragen eine Antwort zu finden. Während die SPÖ vor allem mit Sicherheit und Arbeitnehmerschutz im Bereich Arbeitsplätze punktet, kann sich die ÖVP mit ihrer klassischen Wirtschaftskompetenz positionieren. Team Stronach, FPÖ, Grüne und BZÖ liegen in ihrer Kompetenz in beiden Bereichen deutlich abgeschlagen. Obwohl also die SPÖ und ÖVP Arbeitsplätze und Wirtschaft besetzen, sind die Zugänge doch sehr unterschiedlich: Die ÖVP versucht über das Stärken der Wirtschaft und der Unternehmen mehr Arbeitsplätze zu schaffen, die SPÖ sieht den Schwerpunkt auf dem Schutz von Arbeitnehmerrechten.
Peter Hajek, Politikwissenschafter und Geschäftsführer des Instituts Public Opinion Strategies:
Realiter: keiner Partei. Der Vorstellung von Wirtschaftspartei im anglo-amerikanischen Sinne – schlanker Staat, geringe Sozialabgaben – entspricht noch am ehesten Frank Stronach als Person, sein Team ist von diesem Gedanken eher weiter entfernt. Die ÖVP als österreichische Wirtschaftspartei ist stark vom sozialpartnerschaftlichen Gedanken geprägt, was ihr aber grundsätzlich nicht schadet. Leitl und Mitterlehner haben mit ihren Aussagen versucht, die ÖVP wieder stärker beim Thema Wirtschaft zu positionieren, was aber nicht wirklich geglückt ist. Das BZÖ hat nach wie vor kein Profil in diesem Bereich, Neos schärft diesbezüglich sein Profil mit der Nominierung von Haselsteiner.
2. Wird das Thema Korruption bei der Wahl eine entscheidende Rolle spielen?
Peter Filzmaier:
Ja. Offen ist nur mit welcher Aktualität und Intensität, also ob es neue Fälle gibt. So oder so ist das ein Selbstläufer für die Grünen. Diese sind als einzige Parlamentspartei nicht von entsprechenden Verdachtsfällen und teilweise sogar Verurteilungen betroffen. SPÖ, ÖVP, FPÖ/BZÖ und das Team Stronach (Stichwort Schloss Reifnitz) müssen – in unterschiedlichem Ausmaß – erklären, warum Ex-Parteifreunde ihre angebliche Wirtschaftskompetenz zum mutmaßlichen Wirtschaften in die eigene Tasche nutzten.
Sophie Karmasin
88 % schätzen auch das Thema Korruption als wahlentscheidend ein. Die Grünen inszenieren sich am stärksten als Partei, der Sauberkeit und Anti-Korruption ein ganz besonderes Anliegen ist. Es stellt sich aber die Frage, ob es ausreicht, zu betonen, dass man gegen Korruption ist. Schließlich würde keine Partei das Gegenteil behaupten. Das Thema Korruption wird eher in der Negativselektion verwendet: Man schließt eine Partei aus, von der man annimmt, dass sie korrupt sei. So gesehen, wird das den Grünen nicht oder kaum passieren, wodurch sie also einen Vorteil über ihren Anti-Korruptionskurs besitzen.
Peter Hajek
Selbstverständlich! Ganz besonders die Grünen profitieren von diesem Thema. Erstens, weil sie in keinen Skandal involviert sind, zweitens, weil sie seit Jahren an der »Aufdeckung« arbeiten (siehe Moser, Holub, Pilz, Kogler) und drittens, weil sie es in der Kampagne (»100% bio, 0% korrupt«) exzellent begleiten. Alle anderen Parteien sind mehr oder weniger in Skandale verwickelt und sind daher auf ihre Kernwähler angewiesen, die trotzdem ihre Partei wählen.
3. Die größte Fraktion ist die der »Nichtwähler«. Warum sind immer mehr Menschen für die Politik unerreichbar?
Peter Filzmaier
Naja, ganz stimmt das nicht. 2008 hatte die erstplatzierte SPÖ mehr Stimmen, als es Nichtwähler gab. Auch haben wir international eine sehr hohe Wahlbeteiligung. Doch das Problem besteht. Die Gründe reichen vom Verlust der »Brot und Butter«-Themen (anders als nach 1945 sorgt Politik nicht für die Existenzsicherung) über ein mangelndes Lösungsvertrauen – welche Partei kann glaubhaft versichern, etwas gegen die Weltwirtschaftskrise zu tun? – bis zur generellen Politikerverdrossenheit durch Skandale.
Sophie Karmasin
Nichtwähler oder Noch-Unentschlossene sind nicht unerreichbar für die Politik, vor allem die Unentschlossenen sind ganz und gar nicht desinteressiert, sondern primär enttäuscht. Sie kennen die politische Landschaft durchaus genau, aber fühlen sich nicht ausreichend thematisch oder persönlich angesprochen. Die Gruppe der Unentschlossenen ist über die richtigen Themen und Personen für die Stimmabgabe zu motivieren, während dies bei deklarierten Nichtwählern um vieles schwerer fällt: Diese sind der Meinung, dass Wahlversprechen nicht eingehalten wurden und wenden sich daher frustriert von der Politik ab.
Peter Hajek
Wir haben in Österreich noch immer recht hohe Wahlbeteiligungen im internationalen Vergleich. Natürlich schwanken diese von Wahl zu Wahl und Wahlebene zu Wahlebene, aber im Großen und Ganzen haben wir – noch – kein Abdriften größerer Bevölkerungsteile vom demokratischen Prozess. Und nicht jeder Nichtwähler ist mit dem politischen System unzufrieden. Es gibt eben auch Menschen, die »das nicht interessiert« oder »die keinen Einblick haben« und deshalb nicht zur Wahl gehen. Ich empfehle einen entspannten Umgang mit den Nichtwähler. Alle Bürger haben das Recht, wählen zu gehen – und eben nicht wählen zu gehen. Wer sein Recht nicht wahrnimmt, nimmt sich also selbst die Chance mitzubestimmen. Diesen Gedanken gilt es den Menschen näher zu bringen: Es zahlt sich aus, wählen zu gehen.