Mittwoch, Februar 26, 2025
Psychohygiene für Führungskräfte
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Einfach abschalten? Deadlines, Zielanforderungen und wirtschaftlicher Druck führen zu Stress und belasten Körper und Seele. Wie Führungskräfte in instabilen Zeiten Sicherheit geben und gestärkt durch Krisen kommen.


Der Stresslevel in Unternehmen ist so hoch wie nie zuvor – kein Wunder angesichts der laufenden Krisen, denen wir seit der Finanzkrise 2008 ausgesetzt sind. Begleitet wurden die ökonomischen und geopolitischen Verwerfungen von Herausforderungen wie Digitalisierung, Arbeitskräftemangel und Dekarbonisierung. Business as usual gab es in all den Jahren kaum.

Während der Coronapandemie erreichte der Stresslevel weltweit Rekordstände. Laut der Gallup-Studie »State of the Global Workplace«, die regelmäßig in 145 Ländern durchgeführt wird, fühlten sich 2022 rund 44 Prozent der Befragten sehr gestresst. Die Lage hat sich seither aber keineswegs entspannt. Wie der »Arbeitsklima Index« der Arbeiterkammer Oberösterreich belegt, fühlen sich sechs von zehn Beschäftigten in Österreich durch Zeitstress belastet – einer Kombination aus Zeitdruck, ständigem Arbeitsdruck, hoher Konzentration, Unterbrechung der Freizeit und klassischem Stress. Gesundheitliche Probleme wie Kreislaufbeschwerden, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Verdauungsbeschwerden sind häufig die Folge. Auch das Risiko für Herzprobleme steigt signifikant.

Dabei kann Stress als kurzfristige Emotion zunächst einen produktiven Zustand bewirken. Die Hormone Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet, das Gehirn arbeitet auf Hochtouren, alle Sinne sind geschärft. Manche Menschen brauchen sogar den Druck einer Deadline, um sich optimal fokussieren zu können. »Stress wird aber zu einem Problem, wenn die Ausnahme zum Normalzustand wird. Denn dann fühlen wir uns je nach Veranlagung müde, deprimiert, ausgebrannt oder werden sogar krank«, erklärt Pa Sinyan, Managing Partner bei Gallup Europe. Er beschreibt noch ein weiteres Ventil für Stress – wenn nämlich Frustration und Hilflosigkeit in Wut umschlagen. Im Arbeitsalltag äußert sich die Unzufriedenheit meist leise und oftmals unbemerkt, aber für das Unternehmen sind die Folgen ebenso fatal, etwa in passiv-aggressivem Verhalten oder innerer Kündigung.

Schlaflose Nächte
Gute Führungsqualität und ein wertschätzendes Arbeitsumfeld senken nachweislich den Stresslevel. Gerade in Krisenzeiten, die trotz vieler Unwägbarkeiten weitreichende Entscheidungen abverlangen, stehen aber auch Führungskräfte selbst stark unter Druck. »Die Verantwortung, die man an der Spitze eines Unternehmens innehat, ist enorm, und zwar sowohl juristisch als auch finanziell und persönlich«, gesteht Peter Lenz, Managing Director T-Systems Austria, offen ein. »Nimmt man seine Führungsrolle ernst, kann dies zu einigen schlaflosen Nächten führen. Man kann in herausfordernden Zeiten sehr einsam sein.«

Wenn hohe Erwartungen und Arbeitsdruck den Stresslevel erhöhen, ist geistige und körperliche Resilienz von entscheidender Bedeutung. Diese Fähigkeit hilft uns, nicht aufzugeben und größte Umwälzungen zu bewältigen. Viele Menschen sind jedoch in schwierigen Situationen wie gelähmt und nicht fähig, klare Gedanken zu fassen. Resiliente Führungskräfte schauen hingegen optimistisch in die Zukunft. Durch analytische Reflexion gelingt es ihnen, Ausmaß und Tragweite einer Krise realistisch einzuschätzen und einen möglichen Ausweg zu finden. Angesichts der Vielzahl an Volatilitäten und der Unmöglichkeit, weitere Entwicklungen vorherzusehen, gibt es oftmals nicht die eine richtige Lösung. Führungskräfte sollten sich deshalb von allzu perfektionistischen Ansprüchen verabschieden. Hohe Standards können zwar zu herausragenden Ergebnissen führen, in übertriebener Form überwiegen aber manchmal die negativen Auswirkungen: »Die Folgen sind überschrittene Deadlines, das Gefühl, nie fertig zu sein und ein ständig hohes Stressniveau«, weiß Gerald Käfer-Schmid, Geschäftsführer der Österreichischen Vereinigung für Supervision und Coaching (ÖVS). »Menschen, die das Gefühl haben, ständig zu scheitern, sind nur unter großer Anstrengung in der Lage, selbstbewusst und produktiv zu arbeiten.« Er rät zu einer »gesunden Fehlerkultur« im Unternehmen – auf allen Ebenen.

Unsicherheit als Katalysator
»Krisen sind die ultimativen Stressmomente für Führungskräfte und Teams«, bestätigt Ragnhild Struss, Gründerin und Partnerin der Berufs- und Karriereberatung Struss & Claussen Personal Development. »Sie legen Unsicherheiten offen, schüren Ängste und stellen die Führung vor eine zentrale Frage: Wie navigieren wir durch stürmische Zeiten, ohne die Menschlichkeit und strategische Klarheit aus dem Blick zu verlieren?«

Viele Menschen reagieren unter Anspannung reflexartig. Statt durch Besonnenheit psychologische Sicherheit zu geben, verstärken impulsive Äußerungen und unüberlegte Handlungen das Gefühl von Chaos. Für Unternehmen ist fehlende Resistenz der Führungskräfte riskant: Ein dysfunktionales Stressverhalten kann die Stabilität der gesamten Organisation gefährden, denn häufig sind Konflikt, Fehl­entscheidungen und sinkende Produktivität die Folge.

Ein zentraler Faktor ist Unsicherheit, wie Beraterin Struss erklärt: »Sie wirkt wie ein Katalysator: Während manche Menschen darin eine Gelegenheit zur Anpassung und Flexibilität sehen, fühlen sich andere in ihrer Handlungsfähigkeit blockiert.« So kann beispielsweise die Implementierung von KI-Technologien als Chance wahrgenommen werden, gleichzeitig aber Fragen und Ängste auslösen: Sind Jobs gefährdet? Wie verändern sich Prozesse?

Führungskräfte spielen dabei eine Schlüsselrolle. Indem sie empathisch und klar kommunizieren, schaffen sie ein konstruktives Umfeld, das Vorbehalte nicht ignoriert. Der Führungsansatz Thoughful Leadership setzt hier an. Er verbindet die drei Prinzipien Selbstreflexion, Empathie und ethische Klarheit, um Führungskräfte zu befähigen, auch in schwierigen Zeiten Ruhe, Struktur und Orientierung auszustrahlen. 

Wie alle Menschen sind jedoch auch Führungskräfte nicht vor Ängsten gefeit. Insbesondere in Krisensituationen fühlen sie sich gar verpflichtet, Entschlossenheit und Stärke zu repräsentieren. Glaubenssätze á la »Ich darf keine Schwäche zeigen« oder »Alles hängt von mir ab« belasten zusätzlich, wenn sie unreflektiert bleiben. Leistungsorientierte Führungskräfte neigen zudem dazu, unter Stress noch mehr zu kontrollieren und Aufgaben selbst zu übernehmen, statt sie an Mitarbeiter*innen zu delegieren. Werden diese jedoch in Entscheidungen eingebunden, tragen sie das Vorhaben mit, was letztlich unverzichtbar für das Gelingen jeder Strategie ist. Bewusste Führung bedeute nicht, »alle Antworten zu kennen«, so Ragnhild Struss: »Es geht darum, mit Mut und Reflexion Räume zwischen Anforderung und Handlung zu schaffen, in denen Menschen wachsen können – auch und gerade in Krisen.«

 

Thoughtful Leadership

Dieser Führungsansatz fordert dazu auf, innezuhalten und bewusst Abstand von impulsiven Reaktionen zu nehmen. Stressbedingte Automatismen werden hinterfragt. Trotz der Belastungen kann das Team gemeinsam wachsen. Folgende Kernprinzipien bilden die Grundlage für nachhaltige Führung:

1. Selbstreflexion
Sie geht über das Erkennen eigener Unsicherheiten hinaus und verlangt, sich mit tieferliegenden Mustern auseinanderzusetzen, die das eigene Führungsverhalten prägen. Selbstreflexion ist ein Werkzeug, um innere Ruhe zu finden und klare, authentische Entscheidungen zu treffen und damit auch in Krisensituationen stabil und resilient zu führen.

2. Empathie
Teams, die sich verstanden fühlen, sind signifikant resilienter. Empathie in der Führung bedeutet aber nicht nur, sich in andere hineinzuversetzen, sondern aktiv auf die emotionale Dynamik in Teams einzugehen. Offene Feedbackrunden, in denen Mitarbeiter*innen Sorgen und Vorschläge äußern können, schaffen ein tragfähiges Klima der Zusammenarbeit. 

3. Ethik
Der Druck kurzfristiger Entscheidungen stellt eine langfristige Perspektive oft in den Hintergrund. Ethik dient Führungskräften als Kompass, die Konsequenzen ihres Handelns zu überdenken, und stellt Werte wie Gerechtigkeit, Transparenz und Verantwortung in den Mittelpunkt. Ethik in der Führung ist kein Luxus, sondern für verantwortungsvoll agierende Unternehmen selbstverständlich. 

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Wie Sie als Führungskraft und Ihr Team resilient bleiben

Ein Kommentar von Siegfried Lachmair, Organisations-, Team- und Personalentwickler, systemischer Coach, Mediator und Co-Autor (gemeinsam mit Thomas Höhne) des Buches »Führung im Verein: Leader­ship, Change und rechtliche Aspekte« (Verlag LexisNexis Wien).

Die Zahl der Krisen hat in den letzten Jahren stark zugenommen und manche sprechen gar von Poly-Krisen bzw. dem »Age of Chaos«. Je stürmischer die Zeiten werden, umso wichtiger wird es, Halt zu haben bzw. zu finden. Und da kommt Resilienz(entwicklung) für Individuen, Teams bzw. Organisationen ins Spiel.
Die US-amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy E. Werner identifizierte folgende stärkende Faktoren als hilfreich: mindestens eine fürsorgliche, stabile Bezugsperson, ein stabiler sozialer (Familien-)Zusammenhalt, Ruhe und Selbstvertrauen, Kommunikationsstärke sowie Problemlösungsfähigkeit.
Persönliche Resilienz kann als die Fähigkeit bezeichnet werden, in herausfordernden Situationen (wie z. B. Krisen) auf seine immanenten Kompetenzen, Stärken, Talente sowie inneren und äußeren Ressourcen als Mensch zurückgreifen und sich an schwierige Umstände zuversichtlich anpassen zu können. Hinzu kommen der persönliche Wille, Neues ausprobieren und lernen zu wollen sowie Chancen zu erkennen und diese auch zu ergreifen. Resilienz ist nichts Statisches, sondern ein dynamischer Prozess – wie schon Paulo Coelho schrieb: »Die Welt ändert sich durch dein Vorbild, nicht durch deine Meinung.«

Drei Resilienz-Übungen

1. Atem-Anker

Setzen Sie sich möglichst entspannt und mit aufrechtem Rücken auf Ihren Lieblingssessel bzw. legen Sie sich auf eine Couch oder Yoga-Matte und schließen Sie Ihre Augen. Bringen Sie nun Ihre ganze Aufmerksamkeit zu Ihrem Atem und folgen Sie Ihrem natürlichen Atemfluss. Falls Ihr Geist abschweifen sollte, so kehren Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit wieder zu jenem Punkt in Ihrem Körper zurück, wo Sie Ihren Atem besonders gut wahrnehmen können. Bleiben Sie bei diesem Punkt (z. B. in den Nasenflügeln, im Brustkorb, im Bauchraum etc.) und atmen Sie möglichst ruhig und entspannt ein und aus. Atmen Sie immer etwas länger aus, als Sie eingeatmet haben.

2. Psychologische Sicherheit

Der Harvard-Professorin Amy Edmondson zufolge ist »Psychological Safety« der Schlüsselfaktor für erfolgreiche Teams. Was Sie und Ihr Team tun können, um psychologische Sicherheit gemeinsam zu entwickeln:

- offener und vorurteilsfreier zuhören
- hilfreiche Fragen respektvoll stellen
- Austausch auf Augenhöhe ermöglichen
- Unangenehmes ohne Wertung in Form »beschreibender Ich-Botschaften« ansprechen
- eigene Fehler (auch als Führungskraft) zugeben
- andere Sichtweisen akzeptieren
- Wünsche statt Vorwürfe formulieren
- Kooperation anstelle von Konkurrenz sowie miteinander stärkenorientiert und kreativ nach Lösungen suchen

3. Führen eines Journals

Nehmen Sie sich jeden Abend oder zumindest einmal wöchentlich für ca. fünf Minuten ungestört Zeit und halten für sich stichwortartig fest:

- Was ist mir (heute) gelungen?
- Wofür bin ich dankbar?
- Was hat mir Freude gemacht?
- Wem konnte ich (heute) eine Freude bereiten?

Sie werden nicht nur feststellen, wie sich Ihr persönliches Wohlbefinden verbessert, sondern so ganz nebenbei lernen Sie auch Ihre Stärken sowie sich selbst noch besser kennen.

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