Elon Musk hat aus Twitter endgültig eine Waffe im Kulturkampf des globalen Rechtsradikalismus gemacht; eine Wahrheit, vor der viele
Nutzer*innen die Augen noch fest verschließen.
Die altehrwürdige US-amerikanische Zeitschrift The Atlantic neigt eigentlich nicht zur Schnappatmung. Umso schwerer wog der dürre Befund des seit 1857 bestehenden Magazins für Literatur, Politik und Kultur im Hinblick auf das, was unter Elon Musks Führung aus dem einstmals führenden Kurznachrichtendienst Twitter in den letzten Jahren geworden ist.
»Es lässt sich nicht länger abstreiten. … Elon Musks 44 Milliarden teurer Kauf von Twitter muss als explizit politischer Akt gesehen werden, um seine spezifische Ideologie zu befördern. Unter seiner Führung hat sich die Plattform in eine verwandelt, die einen Schutzraum für rechtsradikale Influencer bietet und die Interessen, Vorurteile und Verschwörungstheorien der rechtsgerichteten amerikanischen Politik voranbringen soll.« Der Titel dieses Kommentars lautet schlicht »Twitter ist ein rechtsradikales Social Network«, sein Autor Charlie Warzel sah sich bereits im Mai 2023 zu diesem Urteil gezwungen.
Fast exakt eineinhalb Jahre später, nach der Wiederwahl Donald Trumps in Weiße Haus, fällt Warzels neues Urteil über die weitere Entwicklung der Social-Media-Plattform noch drastischer aus. »X Is a White-Supremacist Site«, so der düstere Titel. Die Ideologie der »white supremacy«, der »weißen Überlegenheit« dient als Sammelbezeichnung für eine Vielzahl rassistischer Ideologien, darunter auch die nationalsozialistische Rassenlehre und die Rassenideologie im südafrikanischen Apartheids-Regime. Minutiös listet Warzel die neu implementierten Regel- und Benutzungsänderungen auf, die unter Musk Schritt für Schritt implementiert wurden und zu diesem Befund geführt haben. Auch wenn die Intention dahinter nicht direkt kommuniziert wurde, ergeben diese Änderungen im Maschinenraum der immer noch einflussreichen Social-Media-Plattform gemeinsam einen unbestreitbaren, gewollten und deutlichen systemischen Schwenk in eine eindeutige ideologische Richtung.
Vom Feigenblatt zur Komplizenschaft
»Nichts davon ist zufällig. Der Output einer Plattform zeigt, wofür sie designt wurde: Im Fall von X zeigt das ein System, das darauf hin optimiert wurde, hasserfüllte Ideologien zu verbreiten und jene zu belohnen, die sie vertreten. … Weiter auf X zu bleiben, mag keine explizite Unterstützung dieser Agenda sein; aber es hilft, sie weiter zu ermöglichen«, so der Autor. Als liberaler, nicht rassistischer Ideologie zugeneigter Nutzer von X sei man nichts anderes als das Feigenblatt, das den radikalen Umbau unter Musk in eine extreme Richtung nur weiter legitimiere.
Das Stockholm-Syndrom mag bei vielen Millionen Noch-Nutzer*innen den Schritt weg von X zur schweren Aufgabe machen, aber auch Journalisten, Politiker und offizielle staatliche Stellen halten aus Sorge um ihre Reichweite den Anschein aufrecht, X sei unter Musk weiterhin ein unverzichtbares, an sich wertfreies Trägermedium. Dass es das längst nicht mehr ist, zeigt sich von Tag zu Tag deutlicher. Das macht die Feigenblätter trotz bester Absichten letztlich zu etwas anderem: zu Kompliz*innen.