Bei der letzten Nationalratswahl waren mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten über 50 Jahre alt. Entsprechend wenig Reformbereitschaft zeigten die Parteien im Wahlkampf: Wer am Pensionssystem rüttelt, verärgert bekanntlich Wähler*innen. Dabei machen die Pensionen einen beträchtlichen Teil des Budgets aus. Allein die Erhöhung um 4,6 % kostet den Staat 2025 rund drei Milliarden Euro. Ob das Pensionssystem angepasst werden sollte, hat Report(+) bei Expert*innen nachgefragt.
1. 2024 fließt ein Viertel des gesamten Budgets in die Pensionen. Ist das System langfristig finanzierbar?
"Der Betrag muss genauer betrachtet werden. Der Pensionsaufwand für Beamt*innen beträgt 2024 laut Bundesvoranschlag rund zehn Prozent des Bundeshaushalts (12,8 Mrd. Euro) und sinkt langfristig aufgrund abnehmender Beamt*innenzahlen. Die Steuermittel (für Hinterbliebenenleistungen, Kindererziehung, Arbeitslosigkeit etc.) machen rund 12,4 Prozent aus, dazu kommt noch ein Prozent für die Ausgleichszulage als Instrument der Armutsreduktion. Langfristig ist ein hohes Beschäftigungsniveau bis zum Regelpensionsalter notwendig, um die steigenden Pensionszahlen finanzieren zu können."
Christine Mayrhuber, Stv. Direktorin des WIFO, Vorsitzende der Alterssicherungskommission der Bundesregierung
"Finanzierbar ist, was die Politik beschließt. Aber um das österreichische Pensionssystem auch für nachkommende Generationen attraktiv zu erhalten, braucht es eine Reform aller drei Säulen. Die staatliche Pension steht außer Frage – höher wird sie aber kaum werden. Ein resilientes Pensionssystem steht aber nicht auf einer, sondern auf drei Säulen. So ist das in einem Großteil der europäischen Länder. Neben einer staatlichen Grundsicherung gibt es in diesen Ländern Pensionskassen-Zusatzpensionen für alle. In Österreich kommen nur eine Million Menschen in den Genuss einer solchen Zusatzpension. Solche Zusatzpensionen muss es künftig für alle Menschen im Lande geben."
Andreas Zakostelsky, Generaldirektor der VBV-Gruppe und CEO der VBV-Vorsorgekasse
"Ein finanzierbares Pensionssystem muss sich automatisch an geänderte Bedingungen anpassen, wie die steigende Lebenserwartung und die Bevölkerungsalterung. Solche automatischen Anpassungsmechanismen fehlen dem österreichischen System. Das hat Auswirkungen nicht nur auf die Finanzierung. Es entsteht eine Lücke zwischen der Nachfrage an Arbeitskräften und dem Angebot, welches im Gesundheits- und Pflegebereich bereits jetzt zu massivem Arbeitskräftemangel führt."
Bernhard Binder-Hammer, Ökonom am Institut für Demographie der Österreichische Akademie der Wissenschaften sowie an der TU Wien
2. Ist unser Pensionssystem ungerecht gegenüber den Jungen?
"»Junge« und »Alte« sind ökonomisch keine homogene Gruppe. Alleinerziehende und Mehrpersonenhaushalte mit drei und mehr Kindern haben das höchste Armutsrisiko, ebenso allein lebende Frauen im Pensionsalter. Tatsächlich bedeuten die veränderten Arbeitsmarkt- und Einkommensverhältnisse große Herausforderungen. Das einkommenszentrierte Pensionssystem schreibt die Ungleichheiten des Arbeitsmarkts fort, was zum Beispiel eine im EU-Vergleich überdurchschnittlich hohe Pensionslücke zu Lasten der Frauen in Österreich bedeutet."
Christine Mayrhuber
"Experten wie Rechnungshof oder Fiskalrat fordern Reformen beim Pensionssystem. Denn auf Grund der massiven Staatsverschuldung wird der Druck auf das staatliche Pensionssystem weiter steigen. Dazu kommen noch die sich ändernden sozialen und demografischen Anforderungen. Momentan ist ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung im Pensionsalter über 60 Jahre. Alle Prognosen gehen davon aus, dass ab 2050 nur mehr die Hälfte der Bevölkerung erwerbstätig sein wird. Um hier langfristig für Gerechtigkeit zu sorgen, muss man sich wohl bald an die Reform heranwagen."
Andreas Zakostelsky
"Das Pensionssystem ist vor allem ungerecht gegenüber Familien, insbesondere den Müttern. Diese halten mit ihren Leistungen für die künftigen Steuerzahler*innen das System am Laufen, bekommen selbst aber die niedrigsten Pensionen. Ungerechtigkeit gegenüber den Jungen entsteht auch durch den Missbrauch als Wahlkampfkasse: Die meisten Kosten für Pensionsversprechen fallen ja erst in Zukunft an. Die Jungen müssen mit stagnierenden Einkommen steigende Pensionsansprüche finanzieren, auf die sie selbst niemals Anspruch haben."
Bernhard Binder-Hammer
3. Sollte das gesetzliche Pensionsantrittsalter an die steigende Lebenserwartung angepasst werden?
"Zwei Punkte dazu: 1. Das Pensionsantrittsalter kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss in den Kontext der Lebensarbeitszeit gesetzt werden. Aus versicherungsmathematischer Sicht sollte das Antrittsalter nach 45 Beitragsjahren niedriger sein als nach 15 Beitragsjahren. 2. Ein höheres Pensionsantrittsalter wirkt dämpfend auf die Dynamik der Pensionsaufwendungen, wenn die Erwerbstätigkeit bis zum Pensionsantritt fortgesetzt wird. Hier sind mehr Betriebe erforderlich, die dies ermöglichen."
Christine Mayrhuber
"Ich bin überzeugt, dass es bei der staatlichen Pension eine vernünftige und transparente Regelung für den Pensionsantritt geben muss. Das vorgegebene Antrittsalter sollte an die Lebenserwartung gekoppelt sein und sich automatisch an die Lebensrealitäten anpassen. Gleichzeitig sollte man ab dem 60. Lebensjahr in Pension gehen können, wann immer man möchte. Eine Tabelle zeigt dabei an, wie viel Abschlag − bzw. über dem vorgeschriebenen Antrittsalter natürlich Zuschlag – man zum errechneten Pensionsantrittstermin bekommt. Das ermöglicht Flexibilisierung und Transparenz."
Andreas Zakostelsky
"Natürlich sollte das Pensionssystem an die steigende gesunde Lebenserwartung angepasst werden – aber auch die individuelle Situation besser berücksichtigen. Sozialsysteme wurden schließlich nicht eingeführt, um pumperlgesunden Menschen erwersbfreie Jahrzehnte zu finanzieren. Anpassung an Bevölkerungsstruktur und Lebenserwartung ist aber auch eine Notwendigkeit, weil die realen Ansprüche an Güter und Dienstleistungen sonst nicht erfüllbar sind. Wie im Pflegebereich durch das Fehlen von Arbeitskräften."
Bernhard Binder-Hammer