Das österreichische »Social Enterprise« Helioz generiert CO2-Zertifikate in Afrika und Asien und hilft nachhaltig den Menschen vor Ort.
Manchmal beginnen Geschichten von Unternehmen recht unangenehm. Martin Wesian erkrankte in den Neunziger Jahren bei einem Aufenthalt in Südamerika an Cholera. Der gebürtige Vorarlberger wird medizinisch versorgt, muss aber sehen: Mittellose vor Ort sind auf sich allein gestellt. Heilungschancen und auch der Zugang zu sauberem Trinkwasser sind in vielen Regionen der Welt von persönlicher Finanzkraft bestimmt. Zurück in Europa studiert Wesian Wirtschaftsingenieurwesen und beschäftigt sich fortan mit dem Thema Wasserdesinfektion. Mit dem Team seines Unternehmens Helioz – Niclas Schmiedmaier ist als CEO im Jahr 2018 hinzugestoßen – spezialisiert sich Wesian heute auf Lösungen zur biologischen Wasseraufbereitung. Im Mittelpunkt steht das UV-Messgerät WADI, mit dem die Dauer eines natürlichen Prozesses einfach und kostengünstig ermittelt werden kann. Der Prozess wird solare Wasserdesinfektion genannt: Mit der Zeit macht die UV-Strahlung der Sonne kontaminiertes Wasser wieder trinkbar. Das mit Solarzellen ausgerüstete WADI zeigt einen Smiley, wenn bis zu drei Liter große Wasserbehälter zu 99,999 % desinfiziert – Viren, Bakterien und Protozoen (Einzeller) abgetötet – sind. Je nach Sonneneinstrahlung und Ort im ländlichen Gebieten dauert dieser Vorgang zwischen ein und vier Stunden und sollte deshalb entsprechend genau gemessen werden.
»Wir haben Helioz bewusst nicht als NGO, sondern als Social Enterprise aufgesetzt. Damit können Anteilseigner langfristig in das Unternehmen investieren und gleichzeitig können wir den Bedarf an Wasseraufbereitung in Regionen wie Afrika und Asien kostenfrei erfüllen«, erklärt Niclas Schmiedmaier. So funktioniert das Geschäftsmodell konkret: »Beneficiaries«, wie die Anwender*innen genannt werden, bekommen die Technologie von Helioz, die Flaschen, das Training, aber auch Wissen zu Verhaltensänderungen etwa beim Thema Waschen, bis hin zu Regenwasserbehältern, Latrinen und sogar Bepflanzungsmaßnahmen bei Wasserquellen. Die umfangreichen, auf die Region abgestimmten Projekte helfen den Menschen vor Ort und treffen über die Wasseraufbereitung hinaus bis zu zehn SDGs (Anm. »Sustainable Development Goals«).
Bild: Niclas Schmiedmaier bringt mit dem Helioz-Team und lokalen Partnern die Themen Finanzierung, Umwelt und soziales Wirtschaften auf einen Punkt.
Assets für den Markt
Das Helioz-Team kommuniziert seine jährlichen Aktivitäten nicht mit einem Finanzbericht, sondern einem Social-Impact-Bericht. Womit die Projekte finanziert werden, ist nun der Clou des Geschäftmodells: Indem das WADI-Gerät das Abkochen von Wasser und damit die Verwendung von Brennholz ersetzt, werden CO2-Zertifikate für den freiwilligen Kohlenstoffmarkt generiert. Die Zertifikate, die aus den unterschiedlichen Klimaprojekten stammen, sind für Unternehmen von Interesse, die ihre Klimaneutralität gegenüber Kund*innen, Mitarbeiter*innen oder Shareholdern kommunizieren wollen. »Über alle unsere Projekte gesehen, reduzieren wir im Schnitt zwei Tonnen CO2 pro Haushalt und Jahr«, rechnet Schmiedmaier vor.
Die Zertifikate nach dem Gold-Standard werden auf »voluntary carbon markets« in Europa, USA und Australien verkauft. Die Klientel sind Unternehmen, die unvermeidbare Emissionen ausgleichen wollen, aber nicht dem gesetzlichen Emissionshandel unterworfen sind. Das Resultat – ob »mandatory« oder »voluntary« – ist letztlich dasselbe: Klimaprojekte an einem Ort werden durch den finanziellen Einsatz an einem anderen Punkt der Welt gestützt. Unterm Strich findet die CO2-Reduktion global statt.
Eine dieser Handelsplattformen und Partner von Helioz ist myclimate, auf der Kompensationen von derzeit 20.000 Haushalten umgesetzt werden. Bis Jahresende soll das Angebot auf 30.000 bis 35.000 erhöht werden. In einer jüngsten Finanzierungsrunde, knapp vor Covid, wurden die Mittel für ein weiteres »Water for Climate«-Projekt in Indien beschafft. Damit werden 50.000 Haushalte versorgt und gesamt rund 100.000 Zertifikate geschaffen. Das aktuelle Ausbaumodell »in den nächsten zwölf bis 18 Monaten« reicht bis 150.000 Haushalte, berichtet Schmiedmaier.
Lokale Wirtschaft
Indien gehört zu den Ländern mit der größten Wasserknappheit der Welt. Die Gründe dafür sind nicht nur saisonale Schwankungen mit starken Regenfällen und Dürren, sondern vor allem das Fehlen einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Wasserressourcen und der Zugang zu sicheren Wasserquellen. Durchfall ist die Ursache für 60 Prozent aller Todesfälle in Indien, es ist die häufigste Todesursache. Die Helioz-Projekte werden stets in Zusammenarbeit mit lokalen Implementierungspartnern und deren Netzwerken und Teams umgesetzt und entwickelt. Diese arbeiten wiederum mit Sub-NGOs auf Bezirksebene bis zum einzelnen Dorf zusammen. »Bei 50.000 Haushalten, die wir erreichen, sind das je nach Region 200 bis 250 Vollzeitäquivalente. Wir schaffen damit nachhaltig auch Arbeitsplätze«, sagt der Manager.
Die politische Wegrichtung zu Nachhaltigkeitsthemen weltweit spielt den neuen Vertreter*innen einer verantwortungsvollen Wirtschaft in die Hände. So hat Indien ein CSR-Gesetz geschaffen, das Unternehmen ab einer bestimmten Schwelle die Investition von zwei Prozent des Jahresgewinns in CSR-Projekte vorschreibt. Der Markt auf dem Subkontinent wurde 2018 – vor einem Covid-bedingten Knick – auf bereits 900 Millionen Euro geschätzt, davon 470 Millionen im Bereich Wasser und Sanitär.
Verständnis für die Welt
Derzeit arbeiten die Österreicher emsig an einer Vervielfältigung ihrer Projekte und auch das Messgerät soll einem Re-Design und einer Erneuerung der Elektronik unterzogen werden. Kooperationspartner und Lieferant ist der südafrikanische Fair-Trade-Hersteller Suntoy, dessen Gründer Harald Schulz ebenso wie Martin Wesian Vorarlberger ist. »Uns ist auch wichtig, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, die ein gleiches Verständnis von der Wirtschaft haben«, sagt Helioz-CEO Schmiedmaier.
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser betrifft Milliarden Menschen. Klimaschutz-Maßnahmen können nicht mehr auf Landesgrenzen beschränkt werden. »Wir alle werden global denken müssen und deshalb wollen wir auch den Lebensstandard von Menschen außerhalb Europas heben«, ist Niclas Schmiedmaier überzeugt und gibt sich bescheiden: »Wir tragen einen kleinen Teil dazu bei.«
Bild: Das UV-Messgerät der Helioz-Projekte ist in der Regel die letzte Station eines mehrmonatigen Wissenstransfers und von Infrastrukturmaßnahmen in ruralen Regionen.