Mit etwas Verzögerung nimmt die Digitalisierung auch in der Bauwirtschaft nun richtig Fahrt auf. Dabei ist der Irrtum, dass Digitalisierung am Bau gleichbedeutend ist mit dem allgegenwärtigen Building Information Modeling (BIM), immer noch weit verbreitet. Eine aktuelle Studie und konkrete Beispiele aus der Praxis zeigen, dass der Paradigmenwechsel durch die Digitalisierung weit über BIM hinaus geht.
Das Verhältnis der Bauwirtschaft zum Megatrend der Digitalisierung ist kein einfaches und nach wie vor von zahlreichen Missverständnissen geprägt. Lange Zeit dachten viele Akteure, diesen Kelch ohne große wirtschaftliche Verluste an sich vorbeiziehen lassen zu können. Das stellte sich aber rasch als Irrtum dar. Schnell wurde klar, dass es etwa am sogenannten Building Information Modeling (BIM), das mithilfe eines digitalen Gebäudemodells Planung und Ausführung von Bauprojekten optimiert, für die Baubranche kein Vorbeikommen gibt. Die anfängliche Skepsis gegenüber der Digitalisierung wich der Begeisterung über die neuen Möglichkeiten durch BIM und so wurde gleich mal übers Ziel hinausgeschossen. BIM und Digitalisierung wurden – auch von Fachmedien und Experten – plötzlich synonym verwendet. Dabei ist BIM zwar ein wesentlicher, aber bei weitem nicht der einzige Aspekt der Digitalisierung der Bauwirtschaft. Um das Thema erstmals in seiner Gesamtheit zu erfassen und darzustellen, hat die Geschäftsstelle Bau der Wirtschaftskammer gemeinsam mit dem BMVIT an der TU Wien eine Studie zum Thema »Potenziale der Digitalisierung im Bauwesen« in Auftrag gegeben. Noch ist die Studie nicht abgeschlossen, erste Ergebnisse liegen Report(+)PLUS aber bereits vor (eine detaillierte Auswertung lesen Sie in der kommenden Ausgabe des Bau & Immobilien Report).
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Digitalisierung in den Phasen Planen, Bauen und Betreiben weiter vorangetrieben werden muss, damit die österreichische Bauwirtschaft über den gesamten Lebenszyklus eines Bauvorhabens effizienter wird und im internationalen Vergleich nicht an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Das reicht von einer besseren Kommunikation und Zusammenarbeit über Selbststeuerungsprozesse auf Baustellen und eine effizientere Baustellenlogistik bis zur Nutzung des digitalen Gebäudemodells bei Betrieb und Wartung (siehe unten).
An konkreten Maßnahmen für die Stakeholder der österreichischen Bauwirtschaft empfiehlt die Studie unter anderem eine Weiterentwicklung von BIM und der dafür notwendigen Datengrundlage sowie die Entwicklung eines Stufenplans für die Einführung von BIM bei öffentlichen Bauprojekten. Weiters werden unter anderem Pilotbaustellen etwa für die automatische Abrechnung oder die Erarbeitung eines digitalen Gebäudeausweises empfohlen. Und schließlich geht es um Themen wie die intelligente Baustelle und die Weiterentwicklung von Virtual und Augmented Reality speziell für die Bedürfnisse der Bauwirtschaft.
Interne Prozesse
Wie stark die Digitalisierung die internen Abläufe und Prozesse von Bauunternehmen beeinflusst, zeigt ein aktuelles Projekt der Strabag. So setzt man in Zusammenarbeit mit Microsoft beim Bau der britischen Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke HS2 auf eine durchgängige Vernetzung cloud-basierter Infrastrukturen. Damit sollen die Kosten für Server-Aufbau und -Abbau nachhaltig reduziert und gleichzeitig die Effizienz, Sicherheit und Umsetzungsgeschwindigkeit des Projektes maximiert werden.
Das Projekt zeigt eindrucksvoll, dass die Baustellenlogistik heute weitaus mehr umfasst als den möglichst reibungslosen und schnellen Transport von Maschinen und Baumaterial. Dezidierte Server-Infrastrukturen und
viele weitere Hardware-Lösungen sind längst ebenfalls unerlässlich geworden. Schließlich müssen Pläne, Zeitaufzeichnungen, Kalkulationen, Abrechnungen zentral verwaltet und auch mit den Kolleginnen und Kollegen in den Zentralen geteilt werden. Während früher physische Server bestellt, angeliefert und vor Ort installiert wurden, was nicht selten zu kostspieligen Verzögerungen führte, dauert es heute mit einer stabilen Internetverbindung nur wenige Stunden, bis die Cloud-Services eingerichtet sind und zur Verfügung stehen.
Mit der Cloud-Lösung Microsoft Azure verwaltet die Strabag baustellenbezogene Daten in einer zentralisierten Cloudumgebung. Die redundant aufgebauten zentralen Fileserver ermöglichen dabei ein verbessertes Sicherheitskonzept und sorgen für erhöhte Ressourceneffizienz. Gleichzeitig gehört dank dem universellen Cloud-Zugriff mithilfe mobiler Endgeräte der aufwendige Auf- und Abbau der jeweiligen Server-Infrastrukturen auf den Baustellen endlich der Vergangenheit an.
3D Druck
Eine weitere interessante Spielart der Digitalisierung auch in der Bauwirtschaft ist der 3D-Druck. Während es sich bei vielen Projekten, wie den berühmten gedruckten Häusern, zwar nicht mehr um reine Wunschvorstellungen, aber doch um Prototypen und Proofs of Concept handelt, arbeitet man bei Baumit an praxisnäheren Lösungen. Das Ergebnis ist eine Kombination aus 3D-Drucktechnologie und Spezialmaterial, die es erstmals möglich macht, komplizierteste Formen und Bauteile aus Beton zu drucken. Der 500 kg schwere BauMinator besteht aus einem Roboterarm von ABB mit einer speziellen, selbst entwickelten Druckdüse und einer Mörtelpumpe. Damit können Bauteile, Objekte und Formen zwischen 50 cm und fünf Metern Größe direkt im CAD geplant und ausgedruckt werden. »Ob Betonfertigteile, Wandelemente, Rohre, Schächte, Zaunelemente, Outdoor-Möbel, Dekor- oder Kunstobjekte, den Möglichkeiten, aus Beton freigeformte Elemente herzustellen, sind kaum Grenzen gesetzt«, sagt Robert Schmid, Geschäftsführer der Baumit Beteiligungen GmbH. Was alles möglich ist, wurde jüngst dem staunenden Publikum in der Kremser Galerie Göttlicher vorgeführt. Esrtmals wurden Wandtrennelemente aus Beton in Form einer Gesamtinstallation gedruckt. Darin finden sich auch funktionelle Elemente, wie Sitzmöglichkeiten, Wandbilder oder Stellplätze für Pflanzen.
Jobkiller oder Chance
All diese Entwicklungen haben natürlich auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. »Arbeitsplätze werden verloren gehen«, stellte auch der oberste Baugewerkschafter Josef Muchitsch im Rahmen des Neujahrstreffens der Gewerkschaft BauHolz GBH nüchtern fest. Laut einer IHS Studie aus dem Vorjahr weisen 18 % der Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft eine hohe Automatisierungswahrscheinlichkeit auf, 80 % haben ein mittleres Risiko und nur zwei Prozent ein geringes. Während die Automatisierungswahrscheinlichkeit bei Ingenieuren bei 35 % liegt, beträgt sie bei Hilfsarbeitern im Baugewerbe stolze 66 %. »Deswegen betone ich immer wieder die Bedeutung von Ausbildung, Weiterbildung und lebenslangem Lernen«, sagte Bundesinnungsmeister Hans-Werner Frömmel beim Neujahrstreffen. Für die Bau-Sozialpartner bietet die Digitalisierung aber auch die Chance, den Wettbewerb gerade im Baubereich fairer zu machen und Lohn- und Sozialdumping zu bekämpfen. »Mit der elektronischen Erfassung aller Arbeitszeiten, mit Zeitkonten für die Jahresbeschäftigung und mit einer Bau-Card, die Transparenz und ein Ende der Zettelwirtschaft am Bau bringt, kann uns das gelingen«, so Muchitsch.
Chancen der Digitalisierung im Bauwesen
… in der Planung:
> bessere Kommunikation und Zusammenarbeit
> durchgängige Datenkette über den Lebenszyklus
> Visualisierung und Gebäudesimulation
> Fehlerreduktion durch Kollisionsprüfungen
> Effizienzsteigerung
... in der Ausführung:
> dynamische Kosten- und Terminanpassung
> Kommunikation am Modell
> Automatische Massenermittlung und Abrechung
> Selbststeuerungsprozesse auf Baustellen
> Effizientere Baustellenlogistik
... im Betrieb:
> Nutzung des digitalen Gebäudemodells im Facility Management
(Auswahl; Quelle: TU Wien)