Die stillste Zeit im Jahr erinnert uns alljährlich auf besinnliche Art und Weise an die wesentlichen Dinge im Leben: dass man rechtzeitig drauf schaut, dass man’s hat, wenn man’s braucht.
Von Rainer Sigl
Einen schönen guten Abend, ave, ave! Ja, das ist ein Anblick von Mutterglück, gratuliere dem frischgebackenen Herrn Papa! Ach, Sie sind gar nicht der Papa …? Na, dann eben der Frau Mama alles Gute! So ein hübscher Bub, und wie Sie diesen Stall gemütlich eingerichtet haben, also ganz toll! Ich steh ja auf das Rustikale, diesen simplen Landhaus-Chic, nicht wahr! Alles seeehr authentisch hier, sogar Ochs und Esel da drüben, jaja, die Haustiere sind ja auch bei mir zu Hause echte Familienmitglieder. Und die Krippe ist herz-aller-liebst!
Aber entschuldigen Sie, dass ich hier so unangekündigt in Ihrer Freudenstunde reinplatze, erlauben Sie, dass ich mich vorstelle, mein Name ist Marcus Lucius Pichler von der Finanzberatung König, König & König und ich hab da eine wirklich gute Nachricht zu verkünden: Wir haben gerade Aktionswochen für Neugeborene im Staatsgebiet des römischen Reiches, und Sie werden Augen machen, was ich Ihrem Sohnemann da alles anbieten kann! Übrigens, haben Sie’s bemerkt? Dieser eine, ganz helle Stern, den man seit heute am Himmel sieht? Also, das hat sich der Gaius Julius Niederl aus der PR-Abteilung ganz allein ausgedacht, ja, keiner hat’s gewusst, und plötzlich steht er da und zeigt uns, was er da in seiner Freizeit als Werbung für unser Unternehmen organisiert hat — einen leibhaftigen Stern! Fragen S’ mich nicht, wie er das geschafft hat, aber der Chef war begeistert! Ein Bombenerfolg, sag ich Ihnen! Jaha, Sie sehen, »Mit König, König & König stehen Sie unter einem guten Stern!« ist unser Motto!
Aber entschuldigen Sie, eigentlich geht es hier natürlich um Sie, um die Zukunft Ihres neugeborenen Sohns. Wissen Sie, heutzutage kann man gar nicht früh genug anfangen, für die Zukunft vorzusorgen. Also, was ich Ihnen unbedingt empfehlen kann, ist unser Pensionsvorsorgefonds »Abraham — Steinalt in die Antike«, unsere Krankenversicherung »Hiob«, eine Erlebens- und eine Ablebensversicherung »Lazarus« sowie eine fondsgestützte Altersvorsorge mit Lebensversicherung mit dem schönen Namen »Methusa-Lemsversicherung«. Der ist gut, was? Dieser Niederl aus der PR-Abteilung, der hat’s drauf!
Außerdem würd ich Ihnen dringend zu einer Rechtsschutzversicherung raten. Jaja, wir haben ja eh einen super Rechtsstaat im römischen Reich, aber es kann nicht schaden, da professionelle Hilfe zu haben, wenn man’s braucht! Ich kann Ihnen Geschichten erzählen, meine Lieben …! Schwups, wird da einer verurteilt, ein Räuber kommt wiederum frei, alle putzen sich ab, waschen ihre Hände in Unschuld und zack! Drum sag ich’s Ihnen: Das Kreuzerl, das Sie da auf diesem Formular bei »Rechtsschutz von Pontius zu Pilatus« machen, das macht sich bezahlt!
Aber wo, Sie können sich keine Versicherung leisten! Schauen Sie sich alles einmal an. Sie werden sehen, das geht sich schon irgendwie aus! Das ist eine Investition in die Zukunft! Darf ich fragen, was der kleine Mann einmal beruflich …? Ah, Tischler, ja, das ist sehr gut, Handwerk hat goldenen Boden, nicht wahr! Die Hauptsache ist, er lernt einen anständigen Beruf, was Handfestes. Halten S’ ihn bloß fern von den Geisteswissenschaften, also Philosophie und Theologie und so, ich sag Ihnen, das ernährt keine Familie! Ich seh das ja täglich im Büro, diese religiösen Typen … ich sag Ihnen, das ist nur so ein Trend in der heutigen Jugend. Wissen S’, wir haben ja unsere Räumlichkeiten im Jerusalemer Tempel, das Zentralbüro sozusagen, jaja, da bei den Standeln, gleich neben den Pharisäern. Sie glauben ja nicht, wie dieses dauernde Gebete und diese öden Zeremonien im Büroalltag störend sind!
So, ich schlag vor, ich lass Ihnen unsere Unterlagen einmal da, dann können Sie in Ruhe alles anschauen und sich’s überlegen. Mein Gott, fast hätt ich’s vergessen, wir haben ja auch Einstandsgeschenke für den Kleinen, also hier einmal unsere Vorsorgefibel »Selig, die vorsorgen«, dann unser Versicherungsleitfaden »Gottvertrauen ist gut, Versichern ist besser« und dann natürlich unser personalisierter Schreibgriffel für die ganze Familie, Moment, da meißel ich Ihnen schnell Ihre Namen drauf ein … also der Herr Josef, die Frau Marie und der kleine Jesus … Moment … also, da ist a bisserl zu wenig Platz, jetzt hab ich’s abgekürzt auf »Jessasmarantjosef«, ich hoff, das geht in Ordnung!
Und eins noch: Ich muss Sie warnen, jetzt sind grad überall ausländische Versicherungskeiler unterwegs, die hier die Gutgläubigkeit der Leute ausnutzen wollen. Seit der Reichserweiterung unter Augustus stürmen jetzt die ganzen Orientalen in unsere Branche, es ist furchtbar. Also, wenn Ihnen wer etwas andrehen will, machen S’ am besten gar net die Tür auf! Die ködern die Kunden mit Geschenken, Räucherstäbchen und Myrrhe und so, aber Vorsicht! Das Kleingedruckte!
Also dann, noch alles Gute, schöne Feiertage noch, und wir sehen uns! Wissen S’ was, besuchen Sie uns ruhig einmal im Tempel! Oder schicken Sie den Buben, wenn er älter ist, mal im Tempel vorbei, damit er mal was sieht von der Geschäftswelt. Grüß Sie!